Filme

Ivo, Regie: Eva Trobisch

Europa
Regie: Sudabeh Mortezai
AT, GBR 2023, 97 Minuten
(VOD CLUB)

Die junge ambitionierte Managerin Beate Winter ist in beruflicher Mission für einen multinationalen Konzern namens EUROPA am Balkan unterwegs, allem Anschein nach um Philanthropie, Strukturentwicklung und Investitionen in unterentwickelten Regionen zu fördern. Ihre Reise führt sie in ein kaum besiedeltes, abgelegenes Tal in Südalbanien, wo sie versucht, für eine zunächst unklare Agenda den wenigen verbliebenen Einheimischen ihr Land abzukaufen. Sie trifft auf eine kleine, traditionelle Gemeinschaft autarker Bauern und gerät in Konflikt mit Jetnor, einem eigensinnigen und tief spirituellen Bauern und Imker, der sich weigert, das Land seiner Vorfahren aufzugeben.


May December
Regie: Todd Haynes
USA 2023, 113 Minuten
(im Kino)

Die Phrase „May December“ beschreibt im englischen Sprachgebrauch den erheblichen Altersunterschied in einer Beziehung. Gracie (Julianne Moore) und Joe (Charles Melton) sind ein glückliches Paar, die beinah erwachsenen Kinder sind dabei, das Haus in Savannah zu verlassen. Doch ganz friktionsfrei war ihre erste Begegnung nicht. Die damals verheiratete 36-jährige Familienmutter verführte in der Abstellkammer einer Zoohandlung den erst 13-jährigen Joe. Ein Skandal, eine willkommene Coverstory für den Boulevard. Trotz einer verbüßten Haftstraße und der gesellschaftlichen Ächtung hielt die Liebe an. Als die Hollywood-Schauspielerin Elizabeth (Natalie Portman) die Familie besucht, um für eine anstehende Verfilmung von Gracies Leben zu recherchieren, droht die fragile Struktur zu zerfallen.
Von wahren Begebenheiten inspiriert entwirft Regisseur Todd Haynes nach einem Drehbuch von Samy Burch ein dichtes Beziehungsgeflecht, eine Reflexion über Moralvorstellungen, die mit Doppeldeutigkeiten und Täuschungen genussvoll spielt. Elizabeth studiert Gracie und ihr Leben und findet vermeintliche Antworten. Portman verleiht ihrer Figur eine unheimliche, mysteriöse Aura, die zur beunruhigenden Stimmung beiträgt. Moore hingegen spielt mit Überzeugung die neurotische, naive Mutter. Newcomer Melton gelingt es, in seiner Figur Reife und Jugendlichkeit zu vereinen. Ein irritierend genussvolles Erlebnis. (Martin Nguyen)


Die Herrlichkeit des Lebens
Regie: Georg Maas, Judith Kaufmann
D/Ö 2024, 98 Minuten
(im Kino)

Mai.2023 Berlin Franz Kafka ( Sabin Tambrea ) Dora Diamant (Henriette Confurius ) Regie Georg Maas / Kamera Judith Kaufmann Im Sommer 1923 treffen am Ostseestrand zwei ungleiche Menschen aufeinander. Dora ist braungebrannt und barfuß, Franz trägt zu jeder Zeit einen Anzug und elegante Schuhe. Aus der Begegnung entsteht eine Liebe, die sich über Franz Kafkas letztes Lebensjahr zieht und in der beide ihr Glück finden.

Franz Kafka starb am 3. Juni 1924. Dora Diamant war bei ihm. Wer war Dora Diamant? Nach der TV-Serie „Kafka“ beschäftigt sich der Spielfilm von Georg Maas und Judith Kaufmann im Todesjahr des berühmten Prager Schriftstellers mit dessen großer Liebe. Dora und Franz laufen sich im Sommer 1923 an einem Ostseestrand über den Weg. Die 25-jährige polnische Jüdin betreut Kinder aus Berlin in einem jüdischen Ferienheim. Die Tage sind unbeschwert, das Leben leicht. Franz, geschwächt von einer Tuberkulose, soll an der Ostseeluft Erholung finden, doch mehr Freude findet der 40-jährige „Herr Doktor“ an den Treffen mit Dora, einnehmend von Henriette Confurius gespielt. „Auf der Schwelle des Glücks“ beschreibt Franz (blass: Sabin Tambrea) damals sein unverhofftes Lebensgefühl.
Nach dem gleichnamigen Roman von Michael Kumpfmüller konzentriert sich der Film auf die Liebe gegen alle Widerstände in Kafkas letztem Lebensjahr. Das konfliktreiche Verhältnis zum Vater, notorischer Geldmangel und sein sich verschlechternder Gesundheitszustand trüben das kurze Glück. Die biedere Inszenierung erreicht nie die behauptete Intensität der Liebenden, auch wenn der Film dem gängigen Bild des depressiven Kafka einen zärtlichen, liebevollen Franz gegenüberstellt. Und wenn eines bleibt, dann der klingende Name: Dora Diamant. (Martin Nguyen)


Julie – eine Frau gibt nicht auf (OT: À pleins temps)
Regie: Éric Gravel
F 2022, 88 Minuten
(ab 14.6. im Kino)

Der Wecker läutet. Die alleinerziehende Julie (Laure Calamy) macht zu nächtlicher Morgenstunde ihre beiden Kinder in einem Pariser Vorort für die Schule fertig. Schon die treibende Musik deutet an: Viel Zeit hat Julie nicht. Sie gibt die Kinder bei der betagten Nachbarin ab, eine knappe Verabschiedung und schon geht es im Laufschritt zum Bahnhof. Doch heute und auch die nächsten Tage wird kein Zug Paris erreichen. Die öffentlichen Verkehrsbetriebe streiken.
Regisseur Éric Gravel inszeniert Julies Alltag als kurz getakteten, stressvollen Überlebenskampf mit einer mobilen Handkamera und schnellen Schnitten. Allein das Zuschauen stresst. Julie schupft als leitendes Zimmermädchen das Team eines Fünf-Sterne-Hotels. Doch höher qualifiziert bewirbt sie sich gleichzeitig für einen neuen Job, denn die Bankberaterin hängt ihr mit den Kreditraten im Nacken, während der Ex-Mann keine Alimente bezahlt. Es ist ein ständiges Jonglieren, das die disziplinierte, aber zugleich überforderte Julie täglich mit Bitten, Betteln und Drohungen improvisiert, während die Fassade des Funktionierens zunehmend bröckelt. Doch Calamy legt ihre Figur nicht als Opfer an, sondern als unnachgiebige Kämpferin, die auch mit Tricks und Lügen im Hamsterrad läuft – bis zum zweideutigen Ende. (Martin Nguyen)


Ivo
Regie: Eva Trobisch
D 2024, 105 Minuten
(ab 21.6. im Kino)

Das Sterben ist ihr ständiger Begleiter: Ivo (Minna Wündrich) betreut als mobile Palliativpflegerin Patientinnen und Patienten im eigenen Heim. Ein neues Haus, ein neues Schicksal. Das letzte Stück Leben lebenswert machen, obwohl der Tod einem schon zuwinkt. Doch mit einer ihrer Patientinnen, Solveigh (Pia Hierzegger), ist Ivo sogar eng befreundet, doch Sol, wie Ivo sie liebevoll nennt, will nicht mehr. Sie bittet um assistierten Suizid. Aber auch mit Solveighs Mann Franz (Lukas Turtur) ist Ivo verbunden. Sie haben eine Affäre, spenden sich gegenseitig Trost und ein wenig Normalität.
Eva Trobischs Spielfilm ist trotz des schweren Themas angenehm unaufgeregt, sensibel inszeniert. In den beinah dokumentarischen Hausbesuchen lässt Trobisch professionelle Sachlichkeit auf singuläre Ausnahmesituationen treffen. Jedes Schicksal ist anders, jedes Mal muss sich Ivo neu einstellen. Zwischen den Betreuungen raucht, weint Ivo in ihrem Auto, sucht auf Dating-Apps Ablenkung. Für einen kurzen Moment denkt sie an sich selbst. Denn zuhause ist ihre beinah erwachsene Tochter dabei, die Wohnung zu verlassen. Ein weiterer Verlust.
Wündrich begeistert mit einem stillen, eindringlichen Spiel, das mit wenigen Gesten und Worten eine komplexe Figur aus Stärken, Schwächen und Sehnsüchten zeichnet. Selten darf in einem Film eine Figur so nah an der komplizierten Realität sein. (Martin Nguyen)


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