Filme

Deliverance, 1972, John Boorman. Foto Filmarchiv Austria


Daaaaaali!
Regie: Quentin Dupieux
F 2023, 79 Minuten
(ab 6. September im Kino)

Wer ist geeigneter, einen Film über den Surrealisten Salvador Dalí zu drehen, als Quentin Dupieux? Der französische Filmemacher, Künstler und Musiker ließ etwa in „Rubber“ (2010) einen Autoreifen mit telekinetischen Kräften morden, in „Mandibules“ (2020) dressieren zwei vertrottelte Gangster eine Riesenfliege als Bankräuber. Man darf sich somit kein klassisches Biopic über Dalí erwarten. In absurden Sketchen, die an den Humor von Loriot und Monty Python erinnern, stellen gleich fünf unterschiedliche Darsteller den exzentrischen Spanier mit französischem Akzent dar. Wie könnte ein Schauspieler die Strahlkraft besitzen, um den Maler mit dem markanten Schnurrbart darstellen zu können? Schon Dalí selbst sagte, seine Persönlichkeit sei sein größtes Meisterwerk.
Die lose Rahmenhandlung treibt die Jungjournalistin Judith (Anaïs Demoustier) voran: Sie soll den Meister für ein Magazin interviewen, doch dieser verweigert zunächst ein Gespräch, als sie nur mit Papier und Stift erscheint. Erst als Judith – vom schmierigen Filmproduzenten Jérôme (Romain Duris) angeleitet – ein großes Set und eine große Kamera verspricht, taucht Dalí wieder auf, um sogleich wieder zu verschwinden. Und zwar in einen Traum im Traum, der von einem Traum erzählt. Logik? In der herrlich verspielten Hommage an einen Surrealisten fehl am Platz. (Martin Nguyen)


John Boorman
Magier des Lichts
Österreichisches Filmmuseum
5. September bis 17. Oktober 2024
filmmuseum.at

Zum Saisonauftakt würdigt das Filmmuseum John Boorman (*1933), einen der großen Visionäre des Kinos. Pendelnd zwischen seiner Heimat und Hollywood schuf Boorman legendäre Klassiker wie den Krimi „Point Blank“ (1967), den Abenteuerfilm „Deliverance“ (1972), das Fantasy-Epos „Excalibur“ (1980) oder die autobiografisch inspirierte Tragikomödie „Hope and Glory“ (1987). Dabei gelang es ihm wiederholt, Genres zu erneuern, während er seinen sehr persönlichen Zugang in die Anforderungen des kommerziellen Kinos schmuggelte – getreu seinem poetischen Motto „Filme sollten Gedichte sein und keine Romane“.


Treasure – Familie ist ein fremdes Land
(OT: Iron Box)
Regie: Julia von Heinz
D/F 2024, 112 Minuten
(ab 12. September im Kino)

Warschau, 1991: Der Eiserne Vorhang ist gefallen und die New Yorker Journalistin Ruth Rothwax (Lena Dunham) reist mit ihrem Vater Edek (Stephen Fry mit holprigem polnischem Akzent) nach Polen. Die 36-jährige Ruth will wissen, wo ihre Eltern aufgewachsen sind. Besonders ist sie an der jüdischen Vergangenheit ihrer Familie interessiert. Denn Edek hat das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau überlebt, nur ist der nicht sehr begeistert von der Reise seiner Tochter. Er weigert sich wehrhaft in einen polnischen Zug zu steigen, trotz bereits gekaufter Tickets, und heuert stattdessen spontan den Taxifahrer Stefan an. Ruths bisweilen verbissene Trauerarbeit verhindert zunächst, dass sie hinter die Fassade aus Desinteresse und Vergnügungslust ihres Vaters blicken kann. Doch Schritt für Schritt nähern sich Vater und Tochter der schmerzhaften Vergangenheit an.
Mit Humor durchstreift der Film, basierend auf dem Bestseller „Zu viele Männer“ von Lily Brett, ernste Themen: Enteignung, die Arisierung der elterlichen Wohnung und den Horror des Massenmords. Doch obwohl berührende Momente vereinzelt aufblitzen, wirkt die Balance zwischen Komödie und Drama nicht austariert, zu stark fokussiert sich Regisseurin Julia von Heinz auf die sentimentale Vater-Tochter-Annäherung. (Martin Nguyen)


Mutt
Regie: Vuk Lungulov-Klotz
USA 2023, 87 Minuten
(ab 13. September im Kino)


„Ich bin immer noch ich“, beteuert Feña (Lío Mehiel), ein junger Transmann, seiner hilfesuchenden Halbschwester Zoë. Das autobiografisch inspirierte Spielfilmdebüt „Mutt“ von Vuk Lungulov-Klotz begleitet 24 Stunden lang das Leben Feñas in New York City. Ein Leben nach der Transition, nach der operativen Brustentfernung, das nicht frei von schmerzhaften Erinnerungen ist, die Begegnungen aus der Vergangenheit hervorrufen. Wie lassen sich Vergangenes und Gegenwärtiges vereinen?
Sein chilenischer Vater (Alejandro Goic) kündigt seinen Besuch in der Stadt an, während Feña in einer Bar zufällig auf seinen Ex-Freund John (Cole Doman) trifft. Alte Begierde und Schuldgefühle brechen auf, sie landen im Bett, aber zunächst ist unklar, ob dies ein Anfang oder ein Ende ist. Seine Halbschwester Zoë schwänzt die Schule und taucht unerwartet an Feñas Arbeitsplatz auf. Sie sucht Zuflucht vor der gemeinsamen Mutter, die Feña einst verstoßen hat. Die Figuren sind vielschichtig gezeichnet, überzeugend gespielt mit Brüchen und Widersprüchen. Die Kamera betont die Enge der Hauptfigur mit dem 4:3 „Academy“-Format, versucht sich immer wieder an neuen Perspektiven und Bildwinkeln. Es ist eine sensible Erzählung einer komplexen Zwischenwelt, die nicht nur danach strebt, Vorstellungen von Geschlechtern, sondern auch ungleiche Ethnien und soziale Schichten miteinander in Einklang zu bringen. (Martin Nguyen)


Rosalie
Regie: Stéphanie Di Giusto
F 2023, 115 Minuten
(ab 19. September im Kino)

In der französischen Provinz irgendwann Ende des 19. Jahrhunderts wird Rosalie (Nadia Tereszkiewicz) von ihrem Vater verheiratet. Gegen eine Mitgift nimmt der Grummelbär Abel (Benoît Magimel), der vom Krieg versehrt ein verschuldetes Wirtshaus betreibt, die zarte Schönheit zur Frau. Doch die Hochzeitsnacht entblößt Rosalies Geheimnis: Sie wurde mit starker Körper- und Gesichtsbehaarung geboren. Die Wissenschaft bezeichnet dieses Phänomen als Hirsutismus. Um nicht aufzufallen, rasiert Rosalie sich regelmäßig im Gesicht, was einst ihr Vater für sie tat. Doch Abel fühlt sich abgestoßen, betrogen und verlangt Rosalies Rückkehr. Sie bleibt, hilft im Wirtshaus mit und entpuppt sich mit Bart als Attraktion des Lokals.
Regisseurin Stéphanie Di Giusto erzählt in „Rosalie“ eine einfühlsame Parabel über das Anderssein. Frei inspiriert vom Leben der französischen Café-Betreiberin und „Bärtigen Frau“ Clémentine Delait entwirft sie eine selbstbestimmte Figur, die sich nach Liebe und Autonomie sehnt. Und langsam taut auch Abel auf. Er steht für sie ein, als die anfängliche Akzeptanz des Dorfs kippt und der grimmige Fabrikbesitzer Barcelin (Benjamin Biolay) sie zum Sündenbock der Kommune macht. Eine feministische Filmfigur aus dem Gestern, erzählt für das Heute. (Martin Nguyen)


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