Future Food vom Feinsten

Beim Projekt „Sushi Teleportation“ baute ein Roboterarm aus kleinen 3D-gedruckten
Würfeln Sushi zusammen.

„Openmeals“, ein kreatives Team aus Tokio, erforscht im Schnittbereich von Food, Technologie und Kunst die Zukunft des Essens und verdichtet seine visionären Ideen in innovativen Konzepten.
Von Jutta Nachtwey

Cyan, Magenta, Yellow und Black (CMYK) – aus diesen vier Elementen mischt bekanntlich jeder Drucker die gesamte Farbpalette. Ließe sich Geschmack in ähnlicher Weise erzeugen, wenn man die vier Komponenten süß, sauer, salzig und bitter (SSSB) kombiniert? Diese Frage stellte sich Ryosuke Sakaki, Art Director bei der „Creative Planning Division 3“ der Media Holding Dentsu, im Rahmen eines internen Wettbewerbs. Um diese Idee zu überprüfen, startete er ein wagemutiges Experiment: Er füllte zum Beispiel Soya-Sauce und Essig in die leeren Farbpatronen eines Standardprinters und druckte auf essbarem Papier. „Als ich dies das erste mal probierte, schmeckte es absolut furchtbar, aber indem ich die Anteile der Komponenten in der Mixtur veränderte, konnte ich die Qualität verbessern“, berichtet Sakaki. Nachdem der Versuch, Geschmack zu digitalisieren, grundsätzlich geglückt war, gründete er die Food-Tech-Gruppe „Openmeals“ und erkundete zusammen mit Experten aus unterschiedlichen Disziplinen die Möglichkeiten des 3D-Drucks für die Lebensmittelproduktion.
Für Aufsehen sorgte das Projekt „Sushi Teleportation“, das sie 2018 auf dem Festival „South by Southwest“ (SXSW) in Austin, Texas, präsentierten. Die 3D-Druckdaten aus Tokio wurden jenseits des Pazifiks unmittelbar von einem Gerät mit Roboterarm umgesetzt: Es druckte geleeartige Würfel und baute sie zu Objekten in Sushi-Form zusammen. Das digitale Rezept verlieh jedem Baustein den adäquaten Geschmack, die notwendigen Nährstoffe und die passende Farbe.
Das Team zeigte außerdem, dass sich aufbauend auf dieser Technologie eine Food Base im Internet aufbauen ließe, in der die User Daten zu Nahrungsmitteln aus aller Welt bezüglich Form, Textur und Geschmack abrufen und einspeisen könnten. Die Vision: In Zukunft haben wir alle zuhause einen 3D-Food-Drucker und können uns – statt Essen zu kochen oder beim Lieferdienst zu bestellen – unterschiedlichste Gerichte aus dem Netz herunterladen und ausdrucken. Auch in ärmeren Ländern oder in Katastrophengebieten könnte diese Technologie aus Sicht des Teams zum Einsatz kommen.

Im Restaurant soll auch Cyber Wagashi serviert werden – Süßigkeiten, deren individuelle Formen auf meteorologischen Daten basieren und den Wandel des Klimas erfahrbar machen.

Einige Schritte weiter ging das Restaurant-Konzept „Sushi Singularity“, das „Openmeals“ 2019 entwickelte: Es setzt auf eine „Hyper-Personalisierung“ der Speisen. Jeder Gast erhält im Voraus ein Gesundheitstest-Kit, das Behälter für diverse Körpersäfte enthält. Diese werden in einem wissenschaftlichen Labor untersucht, um den aktuellen individuellen Nährstoffbedarf zu ermitteln. Basierend auf den DNA-, Urin- und Darmflora-Analysen wird eine Gesundheits-ID erstellt, die das System im Restaurant bei der Zubereitung der Gerichte berücksichtigt.
Anders als beim Projekt „Sushi Teleportation“, dessen Ästhetik an 8-Bit-Videogames erinnerte, ist der Aufbau der essbaren Mini-Skulpturen im „Sushi Singularity“ Restaurant
sehr viel komplexer. Die innere Struktur soll beispielsweise die charakteristische Konsistenz herkömmlicher Sushi-Zutaten, etwa Thunfisch oder Shrimps, perfekt imitieren.

Hergestellt werden die skulpturalen Miniaturen aus nachhaltigen Zutaten wie Insekten und Algen, die mit Wasser, Ballaststoffen und Enzymen vermengt werden. Vierzehn Nährstoff-Patronen ermöglichen es, die Mixtur perfekt auf die jeweilige Gesundheits-ID abzustimmen. Neben verschiedenen anderen Spezialgeräten kommt auch ein 3D-Drucker zum Einsatz, der pulverförmige Rohstoffe per Laser-Sinterverfahren in die gewünschten Formen backt.

Als i-Tüpfelchen für das Restaurant-Konzept entwickelte „Openmeals“ 2020 eine weitere Spezialität namens Cyber Wagashi. In der japanischen Esskultur bezeichnet Wagashi traditionelle Süßigkeiten, deren Namen auf die Schönheit der Natur oder die klassische Literatur verweisen. Mit Cyber Wagashi schuf „Openmeals“ dagegen das perfekte Konfekt für das Informationszeitalter: Seine Formen entwickelt das Team basierend auf Wetterdaten der Plattform Tellus. „Seit langer Zeit ist das Erdklima bereits gestört, die Menschen erfreuen sich am urbanen Lifestyle, und die Lebendigkeit, die durch Na-turnähe erfahrbar ist, ging verloren“, erläutert das Team. Cyber Wagashi soll dazu animieren, den Wechsel der Jahreszeiten wieder bewusster wahrzunehmen. Darüber hinaus ermöglicht es jedoch auch, den Wandel des Klimas über weite Zeiträume hinweg zu betrachten, denn „Openmeals“ arbeitet mit historischen, aktuellen und prognostizierten Wetterdaten.
Unter der Leitung meteorologischer Analyseexperten entwickelte das Team die Algorithmen für den 3D-Druck. Hierbei berücksichtigte es Windgeschwindigkeit, Luftdruck und Temperatur eines bestimmten Tages, der dann jeweils in einem individuell gestalteten Wagashi umgesetzt wird. Grundsätz-lich gibt es derzeit zwei Formentypen, die von der Windgeschwindigkeit abhängen: Anti-Cyclone und Cyclone. Hoher Luftdruck steigert die Höhe der Objekte, niedriger Luftdruck macht sie dagegen flacher. Die Temperaturen spiegeln sich durch wärmere und kältere Farben wider.

Auf seiner Webseite stellt „Openmeals“ Wagashi-Visualisierungen für vergangene Tage und wissenschaftliche Prognosen für zukünftige Tage einander gegenüber. So verkörpert ein vorwiegend orange-farbener Anticyclone den 20. Juli 2004, den heißesten Tag der japanischen Ära Heisei. Daneben zeigt „Openmeals“ mit einem weiteren Anticyclone die Prognose für den heißesten Tag 100 Jahre später: Für den 21. August 2120 errechnete das System ein Farbspektrum, das vorwiegend im dunkelroten Bereich liegt.
Weitere Cyber Wagashi verkörpern etwa den stärksten Taifun des ersten Jahres der Ära Reiwa, der sich am 12. Oktober 2019 ereignete, und einen Supertaifun 80 Jahre später, prognostiziert für den 23. September 2100. Beide haben eine Cyclone-Form, wobei sich der Supertaifun in einem größeren Durchmesser des Konfekts widerspiegelt und seine dunkelrote Färbung den Zusammenhang mit den gestiegenen Temperaturen verdeutlicht. Eigentlich könnte man diese futuristischen Süßigkeiten also durchaus auch als essbare 3D-Infografiken zum Thema globaler Klimawandel bezeichnen.

Aber wie schmeckt dieser Datenmix nun eigentlich? Cyber Wagashi sollte bereits 2020 im 52. Stock des Mori Towers in Tokio im Restaurant „The Moon“ serviert werden, aber aufgrund der Pandemie wurde dieses Event verschoben. Auch die Eröffnung des „Sushi Singularity“-Restaurants in Tokio lässt weiterhin auf sich warten. Nichtsdestotrotz, die Visualisierungen von Ryosuke Sakaki sind auf jeden Fall schonmal ein echter Augenschmaus! Info: open-meals.com


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