Gemüse. Hof. Kultur. Leben.
„Hofkultur“ am Gutshof Heidensand. Foto Miro Kuzmanovic
Von Martin Hartmann
Der gemeindeeigene Gutshof Heidensand in Lustenau verbindet biologische, regionale Lebensmittelproduktion mit sozialen Initiativen und kulturellem Engagement. Ein Besuch auf dem offenen Hof mit Geschichte.
Es zirpt und zwitschert, Weite in verschiedensten Grün-Tönen, dazwischen Böden dunkelbraun, erdiger Geruch liegt in der Luft, es hat geregnet. Dumpfes Dröhnen der nahen Beton-Fabrik wabert über den Gutshof Heidensand, 30 ha unmittelbar am alten Rhein an der Grenze zum schweizerischen Diepoldsau. In einiger Entfernung ist der Rheindamm zu sehen, dem der Landwirtschaftsbetrieb sein Entstehen verdankt.
Oliver Heinzle, Historiker vom Lustenauer Gemeindearchiv, steht zwischen Wirtschaftsgebäuden und Äckern und erzählt: „Erst mit der Rheinregulierung um die vorvorige Jahrhundertwende wurde hier Landwirtschaft möglich, davor war alles Überschwemmungsgebiet. Der Bau des Gutshofes erfolgte gleichzeitig mit dem eines neuen Versorgungsheimes – damals sagte man Armenhaus. Die Menschen, die dort wohnten, sollten selbst Nahrung produzieren.“
1923 wird der Boden erstmals umgepflügt, angebaut werden vor allem Kartoffeln und verschiedene Getreidearten. Es folgen Kühe und eine Schweinezucht. „Sehr wichtig war auch der Obstbau – der fand vor allem auf vielen in der Gemeinde verteilten Grundstücken statt, die mit zum Gut Heidensand gehörten.“
Hofkultur
Plötzlich weht der Wind rhythmische Musik über das Gelände, vermischt mit fröhlichem Lachen. „Das ist wohl der Tanzworkshop, der hier in den Ferien stattfindet“, meint Heinzle. Am Heidensand werden nicht nur Lebensmittel produziert. „Hof und Gelände sollten für die Bevölkerung geöffnet werden und in Erinnerung bringen, wir haben den tollen Hof und können uns gemeinsam daran erfreuen.“ So wurde vor ein paar Jahren „Hofkultur“ ins Leben gerufen: eine Kulturschiene mit Kino, Konzerten, Diskussionen, Theater, Performances. „Ich glaube, dass dieser Ort sehr inspirierend ist. Es sind feine Veranstaltungen, nicht Vollgas mit dem Vorschlaghammer. Gesellschaftspolitisch relevante Themen werden diskutiert, es kommen nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ – die Hofkultur schafft es, neugierig zu machen und die Menschen zusammenzubringen, auch junge Leute, die sich von diesem Ort verzaubern lassen.“
Schwere Zeiten
„Die Nationalsozialisten wollen mit dem Heidensand ein Vorzeigeprojekt initiieren“, erklärt Heinzle wieder mit dem Blick auf die Geschichte, „aufgrund von Mangelwirtschaft ist dies aber nicht möglich. Alwin Moosmann, der bewährte christlich-soziale Verwalter, wird von den Nazis abgesetzt und an die Front geschickt., der stramm linientreue SA-Scharführer Franz Riedmann wird eingesetzt. Es werden zwar Lebensmittel produziert, aber die Unterkünfte für die Arbeiter sind feucht und dunkel, die Gerätschaften werden nicht gewartet und sind nach dem Krieg nicht mehr zu gebrauchen.“
Ab den 50er Jahren werden verstärkt Maschinen eingesetzt, in unmittelbarer Nähe werden ein Asphalt- und ein Beton-Werk angesiedelt. Anfang der 70er Jahre kommt langsam der Umweltschutzgedanke auf, eine dritte Industrieansiedlung wird nicht mehr genehmigt. „Da sind sich dann auf einmal alle Parteien einig: nein, das geht nicht mehr. Der Heidensand ist was Besonderes, das müssen wir bewahren und schützen“, meint Oliver Heinzle.
Die Natur macht was mit den Menschen
Wie vor bald 100 Jahren spielt auch heute der soziale Gedanke eine große Rolle am Heidensand. Die Integra hat 0,8 Hektar gepachtet und bewirtschaftet sie. „Wir beschäftigen Langzeitarbeitslose, Jugendliche mit Startschwierigkeiten, grundsätzlich Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen“, erklärt Simon Ölz, Bereichsleiter für Land- und Forstwirtschaft bei Integra. Zwischen drei und neun Monaten verbringen sie am Heidensand, im Moment sind es aufgrund von Corona drei Menschen, ansonsten fünf bis sechs.
„Produziert wird in reiner Handarbeit, wir haben, bis auf eine kleine Fräse, keine Maschinen, das ist schon eine Herausforderung für unsere Mitarbeiter“, sagt Maren Grimke, Arbeitsanleiterin der Integra am Heidensand, „Gemüse ist anstrengend, relativ niedrig, den ganzen Tag gebückt über Salatreihen stehen. Wir wollen jetzt vermehrt Heilkräuter und Beeren anpflanzen, das, was man problemlos trocknen kann und nicht sofort direkt vermarktet werden muss.“
„Die Arbeit in der Natur hier am Heidensand macht was mit den Menschen“, erklärt Ölz, „sie kommen aus der Komfortzone heraus, spüren den Körper, sind am Abend müde von körperlicher Arbeit und können seit langem in der Nacht wieder durchschlafen. Das ist für viele eine wichtige neue Erfahrung. Die Menschen sind ausgeglichener, die Arbeit entschleunigt. Ich merke das auch an mir selbst.“ Viele seiner Mitarbeiter schaffen es, nach den Erfahrungen am Heidensand, eine „reguläre“ Stelle am Arbeitsmarkt zu bekommen.
Regionale Bio-Produktion
2009 wird beschlossen, den Gutshof großteils auf Bioproduktion umzustellen, gemeinsam mit dem Rheinhof Hohenems, dem Lehrbetrieb der Landwirtschaftsschule, entsteht so die größte zusammenhängende biologisch bewirtschaftete Fläche des Landes. Den größten Teil des Heidensands, rund 12 ha, bewirtschaftet heute der Lustenauer Bio-Bauer Simon Vetter. Er beliefert wöchentlich über 800 Haushalte mit dem hier angepflanzten Gemüse. „Es sind die
letzten verbliebenen guten Böden, die wir im unteren Rheintal haben“, sagt Vetter, „mein Betrieb steht und fällt mit dem Heidensand, hier hängen 15 Arbeitsplätze dran. Auch die Zusammenarbeit mit den anderen Bauern, die etwa Getreide, Kürbisse oder alte Obstsorten anpflanzen, funktioniert wunderbar.“
„Dass die Gemeinde das Gut Heidensand nicht verkauft hat, war eine richtige und wichtige Entscheidung“, ist Historiker Oliver Heinzle überzeugt. „Ich glaube, dass viele Lustenauer mit Herzblut am Heidensand hängen und es viele freut, wie er heute bewirtschaftet wird.“