„Guilty Flavours“: Esst Plastik!
Eleonora Ortolanis Vanilleeis. Foto Mael Henaff
Die italienische Designerin Eleonora Ortolani upcycelt Kunststoff zu Vanillin und stellt damit Eiscreme her. Pro verspeister Kugel würde so eine kleine Menge Plastikabfall für immer von diesem Planeten verschwinden. Ein Denkanstoß.
Von Nina Kaltenbrunner
Die Erde versinkt in Plastik. Über 400 Millionen Tonnen Kunststoff werden weltweit pro Jahr produziert. Ein wesentlicher Teil davon landet als Plastikmüll in der Umwelt – 5 bis 13 Millionen Tonnen davon, laut WWF, im Meer, wo er zum dauerhaften Problem wird. Denn Plastik wird nicht weniger, sondern zerfällt in immer kleinere Teilchen, die mittlerweile nahezu überall vorkommen – in Flüssen und Seen, im Boden und in der Luft. Kein Wunder, dass die Mikropartikel längst auch in unserer Nahrungskette angekommen sind. Nicht nur in Fischen und anderen Meerestieren. Ungefähr eine Kreditkarte (5 Gramm Plastik) essen wir laut einer aktuellen Studie pro Woche – unbewusst. Was aber wäre, wenn wir durch bewussten Konsum von recyceltem Plastik selbst Teil der Lösung des Müllproblems werden würden? Mit dieser Frage beschäftigte sich die italienische Künstlerin und Designerin Eleonora Ortolani in ihrer Masterarbeit „Guilty Flavours“ am „Central Saint Martins College of Art and Design“ in London.
Szenenwechsel: Ein Kunstraum in London. Auf einem weißen Podest steht ein Kühlschrank mit Glasfront, tresorartig verschlossen. Darin, von Spots beleuchtet, ein silberner Coupe mit einer Kugel Eis. Nähere Auskunft darüber gibt das dazugehörige Label: „Guilty Flavours“ – das erste mit Plastikabfall hergestellte Vanilleeis der Welt.
Recycling macht es nicht (immer) besser. Die Motte schon.
Primär wollte Ortolani mit ihrer Arbeit ihren Frust darüber ausdrücken, wie kurzsichtig im Designbereich beim Up- und Recycling mit Kunststoff umgegangen wird. Häufig wird er mit anderen Materialien wie Harz verschmolzen, kann infolge dessen nicht weiter recycelt werden und landet: siehe oben. Zur selben Zeit beschäftigte sie eine 2019 veröffentlichte Studie, die herausfand, dass die Larven von Wachsmotten imstande sind, Kunststoff zu verdauen: In ihrem Speichel enthaltene Enzyme bauen Polyethylen – einer der widerstandsfähigsten und am häufigsten verwendeten Kunststoffe – ohne Vorbehandlung in nur kurzer Zeit ab. Das führte zu Ortolanis provokanter Spekulation, ob nicht auch Menschen Plastik essen und es so für immer eliminieren könnten – eigentlich nur als Denkanstoß gedacht. Dass es tatsächlich funktionieren würde, aus Plastik Lebensmittel herzustellen, hätte sich die 27-Jährige nicht gedacht. Doch es glückte.
Eleonora Ortolani. Foto Tom Mannion
Vanillin aus Plastikmüll.
Mit Joanna Sadler und Stephen Wallace von der Universität Edinburgh konnte Ortolani Wissenschaftler für die Forschung an ihrem Gedankenspiel gewinnen. Den beiden gelang es, ein Enzym zu entwickeln, mit dem das für Getränkeflaschen verwendete Polyethylenterephthalat (PET) zunächst in seine Grundbausteine zerlegt wird. In einem weiteren Schritt werden diese mithilfe von Bakterien in Vanillin umgewandelt – den mengenmäßig gefragtesten Aromastoff weltweit. Üblicherweise wird er aus Vanilleschoten gewonnen oder mittels biotechnologischer Methoden erzeugt. Aufgrund der hohen Herstellungskosten bei beiden Gewinnungsformen und der großen Nachfrage wird ein Großteil des Vanillins jedoch aus Chemikalien, die aus fossilen Brennstoffen (Erdöl) erzeugt werden, synthetisiert. Mit dieser neuen Art der Vanillin-Gewinnung wird die Verwendung von Plastikabfall als neue Kohlenstoffressource aufgezeigt und seine Rolle als problematischer Müll infrage gestellt.
„Das ist das erste Beispiel für die Nutzung eines biologischen Systems, um Plastikabfälle in eine wertvolle Industriechemikalie umzuwandeln, mit sehr spannenden Auswirkungen auf die Kreislaufwirtschaft“, kommentiert Joanna Sadler die Studie.
Sadler und ihr Team wurden für die Arbeit mit den British Science Association’s „Award Lecture Series“ ausgezeichnet. Auch Eleonora Ortolani wurden Innovationspreise verliehen, unter anderem die „S+T+ARTS residency“, um ihr Werk auf ein nächstes Level zu bringen – etwa um Köche in das Projekt einzubinden und die Bereitschaft der Gesellschaft, Plastik als Teil des natürlichen Kreislaufs zu akzeptieren, weiter anzustoßen. Ihr Vanilleeis „Guilty Flavours“ bleibt bis dahin (unverkostet) im Kunstraum in seinem Kühltresor.
Weitere Informationen: eleonoraortolani.com