Handwerk

Schmidinger Möbelbau. Joseph Brot Bäckerei, Patisserie Bistro, Wien 3, Foto Thomas Pauli

Zwischen Weltverbesserung und Selbsterfahrung

Praxis und Anschauung einer Kulturtechnik.
Von Robert Fabach

Wo steht das Handwerk heute?
Handwerk? Ja, schon, aber gerade hatten wir uns über künstliche Intelligenz gesorgt und über den Klimawandel, und können wir uns Handwerk in Zukunft überhaupt noch leisten? Dramatische, geopolitische Verwerfungen beherrschen vielfach die Schlagzeilen und hinterlassen neben ganz konkreten Einschnitten in aktuelle Lebenswelten auch das Gefühl, dass sich wesentliche Parameter ändern. Die Welt wird gerade eine andere. In dieser Situation fallen zurzeit einige Schlaglichter auf das System Handwerk. Der „Werkraum Bregenzerwald“ in Andelsbuch zeigt bis 31. August die Ausstellung „Please touch! Handwerk erleben.“

Eine Erweiterung der 2023 gezeigten Prototypen-Schau zum Wettbewerb „Handwerk+ Form“ mit dem Ansatz, die Besucherinnen und Besucher bewusst zum Kontakt und dem Begreifen der Werkstücke aufzufordern. Der neue Geschäftsführer des Werkraums, Cornel Hess, und Corvin Cristian, Juror 2023 und rumänischer Architekt und Designer, machen ausgewählte Ausstellungsstücke für das unmittelbare Begreifen und Benutzen zugänglich, um den Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit zu geben, „sich in die Seele der Handwerkerinnen und Handwerker hineinzufühlen und vielleicht auch ein Stück davon mit nach Hause zu nehmen und in die Welt zu tragen.“ Sie sehen dabei eine dem Handwerk spezifische Form der Intelligenz und Wissensvermittlung als Programm. Jene Form des Erfahrens und Lernens durch Nachahmung, durch Imitation. Eine Form der Vermittlung, die das Wesen jeder handwerklichen Lehre und den großen Unterschied zur akademischen Wissensvermittlung ausmacht. „Die Hand lernt.“

Ausstellung Please touch! Handwerk erleben, Werkraumhaus,
Foto Angela Lamprecht

Bis zum 6. Januar 2025 ist die Sonderausstellung „Mythos Handwerk. Zwischen Ideal und Alltag“ im „vorarlberg museum“ in Bregenz zu sehen. In Zusammenarbeit mit dem „Museum Angewandte Kunst“ in Frankfurt am Main und dem „Kunstgewerbemuseum“ der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (dessen Leiter Thomas Geisler als ehemaliger Geschäftsführer des Werkraums von 2016 bis 2019 einiges an Vorarlberg-Erfahrung hat) loten die Ausstellung und vor allem der lesenswerte Katalog die Wahrnehmung des Handwerks und seine kulturwissenschaftliche Aufarbeitung aus. In zahlreichen kompakten Aufsätzen und Interviews werden die Bezüge des Handwerks zu Identität, zur Gestaltung, zu den Bereichen Ausbildung und Wissen, aber auch zu den Antipoden Industrie, Wirtschaft und Konsum bearbeitet. Während die Ausstellung durch die Dichte ihrer Exponate etwas mit dem Spektakelhaften zu kämpfen hat, gelingt der Publikation eine sehr vielseitige Vertiefung, in der die sehr unterschiedlichen Zugänge zum Phänomen und dem kulturellen System Handwerk nachvollziehbar werden.

Innensicht und Außensicht
Eine ganz andere Perspektive entsteht, wenn man das Handwerk in der Realität einer regionalen Baukultur befragt. Ein kontinuierlicher Anstieg der Baukosten in den vergangenen fünf Jahren, verbunden mit zuletzt rasanter Inflation, Kaufkraftverlust und massiven Verschärfungen bei der Kreditvergabe für private Auftraggeberinnen und Auftraggeber stellen das Bauwesen in Vorarlberg und die damit verbundenen Gewerbe auf eine harte Probe. Viele Handwerksbetriebe sehen den Auftragsrückgang momentan gelassen als positive Normalisierung, auch in Bezug auf ihre Arbeitsbelastung. Langfristig sind jedoch Veränderungen absehbar. Dazu kommen die heute schon existenziellen Sorgen um Mitarbeitermangel oder auch um fehlende Nachfolger für eine ganze Generation sehr erfolgreicher Handwerksmeister.

Matthias Ammann, Geschäftsführer der Vereinigung „vorarlberger holzbau_kunst“, die
unter anderem alle zwei Jahre den Vorarlberger Holzbaupreis ausschreibt und mit einem großen Netzwerk viel zur Wettbewerbsfähigkeit des Baustoffs Holz und zur Aufwertung der Lehre beiträgt, hat zu den aktuellen Fragen der Zeit ganz grundlegende Gedanken. Holz ist ein Baustoff, der ganz wesentlich zur Erreichung unserer CO2-Ziele notwendig ist. Holz fördert in Verbindung mit meisterlichem Handwerk moderne Baulösungen, die einem Grundbedürfnis unserer Zeit entsprechen: individuell, regional und ökologisch. Holz stärkt – regional bewirtschaftet und genutzt – das Sozialkapital im ländlichen Raum, also in den Tälern und Dörfern besser als jeder andere Baustoff.

„Der Zwang industrieller Strukturen und globaler Konzerne zu Wachstum und Profitmaximierung ist nicht nur systemischer Feind unseres einen Planeten, sondern zeigt sich auch in der regionalen Bauwirtschaft als Gegenspieler und gefährdet den ländlichen Raum“, so Matthias Ammann.
„Die viel beschworene Baukultur ist dabei, großflächig verloren zu gehen.“ Es sind vorrangig kleine Gemeinden, auch das Land Vorarlberg und engagierte Privatpersonen, die diese nachhaltige Form von Bau- und Handwerkskultur weiter pflegen. Eine zu starke „Verindustrialisierung“ macht uns alle ärmer. Entscheidend ist die Balance von Handwerk und Industrialisierung. Die Qualitäten individueller Entstehungsprozesse, die Orientierung an Schönheit, Innovation und Verfeinerung im Kleinen stehen den Möglichkeiten der Industrie zur kosteneffizienten Standardisierung, zu grundsätzlichen Innovationen und neuen Technologien gegenüber. Neue Fertigungstechniken und die Digitalisierung kennt auch das Handwerk schon lange, hat aber nicht die Ressourcen, um beispielsweise „ein Elektroauto auf den Markt zu bringen.“

Der urbane Blick. Rezeption und ihr Einfluss
Wer das Handwerk aus dieser Innensicht, aber auch aus dem Habitus einer regionalen Lebenskultur kennt, dem mögen das Spektakuläre, die intellektuelle Reflexion darüber fremd erscheinen. Tatsächlich sind es viel mehr Menschen, die ihre Gestaltungskultur gegen Konsumgewohnheiten eingetauscht haben. Das Tun ist zu einem Auswählen geworden, gerade in der Super-Verfügbarkeit unserer digitalen und zumeist urbanen Welten. Mit Blick auf den zunehmend internationalen Interessentenkreis gewinnt auch der begeisterte Zugang zum Handwerk als alternativer Lebensentwurf an Bedeutung. Handwerk wird Hobby, wird Haltung, wird Selbsterfahrung. Es gibt jene, die aus den Metropolen flüchten, aber auch jene, die nach einer akademischen oder wirtschaftlichen Laufbahn in der Stadt das Handwerk suchen. Absolventinnen und Absolventen der Philosophie oder der Kunstgeschichte, die sich mit Akribie ins Handwerk stürzen und eine Bäckerei mitten in der Stadt eröffnen, dabei aber erst um 07.00 Uhr statt um 01.00 Uhr früh mit der Arbeit beginnen und dafür auch bis 20.00 Uhr den Stadtbewohnerinnen und -bewohnern erstklassiges frisches Brot und Gebäck anbieten. Drei-Tages-Seminare zur Polsterei oder Kultururlaub, der sich nicht nur der Architektur oder der Kunst, sondern mit gleicher Expertise des Handwerks annimmt. Die Gefahr besteht, dass zu viele in romantischer Schwärmerei und Oberflächlichkeit verbleiben und zu den existenziellen Herausforderungen und dem Fortbestand des Handwerks wenig beitragen. Dennoch kann daraus ein neues, breiteres Verständnis erwachsen, das dem System Handwerk zu neuen Ausprägungen verhilft. Die Skepsis einer Handwerkergeneration vor 50 Jahren gegenüber der heutigen zeitgenössischen Bau- und Handwerkskultur muss ähnlich groß gewesen sein.

Wandel
Wolfgang Schmidinger, Tischlermeister und Unternehmer aus Schwarzenberg, sieht uns in den Anfängen einer ganz ordentlichen Krise, in der sich das Wirtschaftssystem als solches ändern wird, nicht nur hinsichtlich der Möbel, sondern auch des leistbaren Wohnens oder leistbarer Lebensmittel: „Wir werden diese Jahre durchlaufen müssen, in denen es auch viele positive Entwicklungen geben wird, mit denen es wieder gilt, Wertschätzung für Qualität und das Kleine zu
gewinnen. Wo es dann statt 20 billigen Dingen ein gutes davon gibt. Möglicherweise ist das auch beim Tischler so, wo man sagt: Machen wir etwas Ordentliches, ich brauche kein Kunstwerk. Ich glaube schon, dass es Veränderungen geben wird, die den Menschen wieder auf eine Basis zurückführen werden, die heilsam sind für das Leben und für den Umgang mit unseren Ressourcen. Auf diesem Weg, glaube ich, wird das Handwerk Bestand haben. Es wird aber sicher für einen Beruf entscheidend sein, inwieweit sich die Voraussetzungen und Bedingungen für einen Menschen mit Familie und Anspruch auf Freizeit vereinbaren lassen und auch eine gewisse Sinnerfüllung mit sich bringen. Zumindest in meinem Metier sehe ich, dass Handwerk bedeutet, sich täglich mit schönen Dingen auseinandersetzen zu können und sich zu überlegen, wie es noch perfekter, noch schöner, noch praktischer werden kann. Das sind für einen Beruf schon ganz hohe Werte.“


Please touch! Handwerk erleben
Ausstellung bis 31. August 2024.
Werkraumhaus Andelsbuch. werkraum.at

Mythos Handwerk. Zwischen Ideal und Alltag
Ausstellung bis 6. Jänner 2025.
vorarlbergmuseum.at

Holzbaukunst. Verein zur Stärkung der
regionalen Wertschöpfungskette Holzbau.
holzbaukunst.at, holzbauzukunft.at


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