Heart for Glass

Nach dem Schmelzvorgang wird das Glas im Studio Peipei geblasen. Foto Studio Peipei

Das Studio Peipei experimentiert mit Abfall als Basis für nachhaltige Werkstoffe.
So entsteht ein Glas, das gängige Vorstellungen des Materials von Grund auf überholt.
Von Sarah Kleiner

Gerade Materialien wie Glas hinterfragt von uns heute niemand mehr“, sagt Benedikt Peirotén. „Es hat sich so stark etabliert – man schmeißt es einfach in den Container. Aber niemand weiß, wo die Ressourcen dafür herkommen, wie viel Energie in der Herstellung verbraucht wird. Wir haben den Bezug dazu verloren.“ Benedikt Peirotén ist Gründer des in München ansässigen Studio Peipei, das sich einerseits der Grundlagenforschung widmet, indem nach neuen Verwertungsmethoden für vermeintliche Abfälle gesucht wird. Andererseits wirkt Peirotén als Designer und präsentiert die daraus hervorgehenden Werkstücke auf Messen und Ausstellungen in ganz Europa.

Als Jugendlicher absolvierte Benedikt Peirotén eine Mechanikerlehre, fräste in Schichtarbeit Metall, „eine ziemlich eintönige Arbeit“, wie er sagt. Mit Glas hatte er dabei nicht viel zu tun. In München und Basel studierte er danach Industrielles Design und machte verschiedene Praktika im verarbeitenden Gewerbe. „Ich habe dabei gemerkt, dass man durch den fehlenden Bezug zum Material auch keine Kontrolle über die Nachhaltigkeit des Werkstücks hat.“ Ein Umstand, den Peirotén für seine eigene Arbeit nicht übernehmen möchte. Er hängte noch ein weiteres Studium an und ging nach Spanien, um seinen Master an der Elisava School of Design and Engineering zu machen. „Und so bin ich zum Glas gekommen. Ich hatte das Bedürfnis, einen Gegenstand, ein Material von Grund auf zu verstehen und neu zu denken“, sagt er.

Benedikt Peirotén. Foto Studio Peipei

Für seine Masterarbeit setzte sich der mittlerweile 33-Jährige intensiv mit der industriellen Herstellung von Glas auseinander, kontaktierte Firmen, Fachleute und Wissenschaftler, um die verzweigten Vorgänge und Beschaffungsprozesse zu durchleuchten. Dadurch, dass man Glas ohne Qualitätsverluste unendlich oft einschmelzen und weiterverarbeiten kann, haben Glasverpackungen schon eine hohe Recylingquote, etwa 84 Prozent in Deutschland, je nach Glasart zwischen 60 und 90 Prozent in Österreich. „Aber es macht dennoch keinen Sinn zu ignorieren, wo die ursprünglichen Rohstoffe herkommen“, sagt Peirotén. Er gründete das Studio Peipei und gestaltet heute in der Serie „From the Ashes“ Glasgebilde wie Vasen und Becher – Unikate, die fast ausschließlich aus Abfällen bestehen.

Um Glas herzustellen braucht man im Wesentlichen drei Komponenten: Quarzsand, Kalk und Soda. Quarzsand ist ein Sand, der zu überwiegendem Anteil aus Quarzkörnern besteht. Sand zählt zu den weltweit am häufigsten abgebauten Materialien und ist die am zweithäufigsten verbrauchte Ressource nach Wasser. UN-Schätzungen zufolge werden jährlich rund 40 bis 50 Milliarden Tonnen davon verbraucht, das meiste in der Betonproduktion, aber auch die Glasindustrie benötigt eine beträchtliche Menge. Die größte europäische Kalkmine im deutschen Wülfrath sprengt wiederum pro Jahr etwa zehn Millionen Tonnen Kalkgestein aus den Wülfrather Steinbrüchen, könnte aber bereits in einigen Jahrzehnten erschöpft sein. Soda beziehungsweise Natriumkarbonat wird unter anderem aus Salzseen gewonnen, wobei bei vielen Seen, wie zum Beispiel dem Great Salt Lake im US-amerikanischen Bundesstaat Utah, eklatante Senkungen des Wasserspiegels zu beobachten sind.

Anstelle von Kalk, das dem Glas erst seine Stabilität verleiht, verwendet das Studio Peipei zermahlene Muscheln, die Peirotén aus Restaurants am berühmten Münchner Viktualienmarkt zusammensammelt. Zudem verwendet er die Asche aus Holzöfen von umliegenden Pizzerien und Quarzsand von einem bayrischen Bergwerk, um seine einzigartigen Werkstücke herzustellen. „Ich arbeite derzeit an einer zweiten Variante und kann jetzt auch recycelten Sand verwenden, also zum Beispiel den von einem alten Sandkasten oder aus einer Baugrube“, sagt er. Peirotén tüftelt an Rezepturen und entwickelt eigene Maschinen, um die wiederverwerteten Rohstoffe reinigen und verarbeiten zu können.

Durch die kürzere Schmelzdauer und die individuelle Rezeptur bekommt das Glas eine ungewohnte Farbe und Struktur.
Foto Studio Peipei

Ein weiterer wichtiger Faktor für die Umweltbilanz von Glas ist Energie. Um die unterschiedlichen Komponenten zu vereinen, müssen die Schmelzöfen auf eine Temperatur von über 1.000 Grad Celsius aufgeheizt werden, in der Industrie laufen sie deshalb das ganze Jahr, rund um die Uhr. Eine Möglichkeit ressourcenschonender zu produzieren, wäre, Glas in kleineren Dimensionen herzustellen, sodass das Ein- und Ausschalten der dadurch auch kleineren Öfen nicht so energieintensiv ist. Eine anderer Weg zu mehr Nachhaltigkeit wäre, den Ofen mit Strom anstatt mit Gas zu beheizen, wie es zwei Schweizer Glasbläser, mit denen das Studio Peipei zusammenarbeitet, tun. Und schließlich gibt es noch die Möglichkeit, mit der Schmelzdauer zu arbeiten.

Denn je länger das Glas im Schmelzofen ist, desto transparenter und glatter wird es. Luftbläschen, die sich durch den Schmelzvorgang bilden, werden aufgelöst. Hier setzt Benedikt Peirotén an: „Mein Glas würde auch transparent und makellos werden, wenn ich es lange genug schmelzen würde. Aber das ist gar nicht gefragt, ich möchte ja möglichst nachhaltig arbeiten, deswegen wird, sobald das erste Stadium von Herstellbarkeit erreicht ist, verarbeitet. Und dann sieht es aus, wie es aussieht.“ Die Industrie arbeitet mit chemischen Zusatzstoffen, die die Bläschen im Flüssigglas schneller an die Oberfläche tragen, wo sie dann verpuffen. Peirotén akzeptiert die Struktur, die sich durch eine kürzere Schmelzdauer ergibt. Seine Glasgebilde verlieren deshalb nicht an Ästhetik, sie entwickeln dadurch erst ihre eigene – rustikal, strukturiert.

Das Studio Peipei, in dem Benedikt Peirotén zur Zeit noch alleine tätig ist, hat auch in viele andere Richtungen die Fühler ausgestreckt. In einem Projekt wurde zum Beispiel aus Steinmehl, das bei einem Steinverarbeitungswerk anfällt, ein zementartiges Gemisch hergestellt, das ansonsten lediglich Meerwasser und alte Ziegel enthält. Für die Serie „Best before“ hat Benedikt Peirotén aus Straßenmüll und Second-Hand-Materialien in klassischer Upcycling-Manier Taschen und Polster entworfen. Aus Käseresten und zermahlenen Meeresmuscheln entwickelte er einen wasserfesten Holzkleber, aus Lehm und Steinmehl eine nachhaltige Glasur, die zum Beispiel für Keramik verwendet werden kann. Nicht umsonst heißt es auf der Webseite des Studios: „Des einen Müll ist des anderen Basis“.


Weiterführende Informationen:
studiopeipei.com/from-the-ashes


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