Holzbau, quo vadis?

Foto: Holz-Systembau, Woodrocks GmbH

Standortbestimmung eines Baustoffs. Zwischen Regionalkultur und dem Einbruch globaler Entwicklungen.

Von Robert Fabach

Holzbau am Schleudersitz?

Viele Jahre funktionierte die Region Vorarlberg als baukulturelles und bauwirtschaftliches Biotop, und der Holzbau war maßgeblich damit verbunden. Schon Ende der 1950er Jahre begann der Bezauer Zimmerer Josef Kaufmann, innovative Tragsysteme und Leimbinder einzusetzen, und errichtete die erste feste Abbundhalle in Vorarlberg. Ab 1960 schuf er gemeinsam mit seinem Neffen Leopold Kaufmann, selbst Zimmerermeister und Architekt, nicht nur weitgespannte Hallenkonstruktionen, sondern auch architektonisch bemerkenswerte Holzbauten. Parallel trat der Holzbau über den Einfluss von Roland Rainer, Konrad Wachsmann und die skandinavische Moderne seinen langen Weg der Etablierung als innovativer und gleichberechtigter Baustoff einer rationalistischen Architektur an.
Seit etwa Mitte der 2000er Jahre zog das Phänomen Vorarlberger Architektur internationale Aufmerksamkeit auf sich und begann über die Landesgrenzen hinauszuwachsen. Architekturbüros eröffneten Zweigstellen in Deutschland, der Schweiz und Frankreich, 2008 sogar in Hongkong. Eine neue Generation in den Führungsetagen der großen Bauträger baute ihre Unternehmen zu länder-übergreifenden Holdings aus.

Gleichzeitig wurde der Holzbau technisch weiterentwickelt und hatte sich dank unermüdlicher Lobbyarbeit neben dem übermächtigen Massivbau einen Platz am Markt erkämpft. CNC-gesteuerte Holzbearbeitung war vielfach zum Standard geworden, und der semi-industrielle Holzbau im System vereinte Architektur, hochwertige Vorfertigung und regionale Wertschöpfung zu einem Exportprodukt. Planer wie Johannes und Oskar Leo Kaufmann haben 1998 und vor allem ab 2008 für den zeitkritischen Bau von Hotels und Schulen vorgefertigte Raummodule entwickelt, die vor allem von der „Zimmerei Michael Kaufmann“ und „Kaufmann Bausysteme“ in steigender Stückzahl umgesetzt werden. Schon 2016 fand dazu eine Ausstellung im „Werkraum Bregenzerwald“ statt. Das Holzbausystem „Wohnen 500“ ist mittlerweile sogar ein neuer Standard im sozialen Wohnbau in Vorarlberg geworden.

In dieser Situation begannen globalwirtschaftliche Ereignisse das vormals gefestigte Gefüge zu destabilisieren. Die Börsenkrise 2008 löste einen Ansturm auf Immobilien aus und überhitzte das prosperierende Baugeschäft zusehends.

Eine Frage der Ressourcen: Holzbau vor einem neuen Run auf „Green assets“

Die kürzlich erlebten Versorgungskrisen, zuletzt beim Rohstoff Bauholz selbst, waren zumeist marktbedingt und regional drastisch spürbar. Der Mangel und der in Folge rasante Preisanstieg hatten vor allem mit der profitorientierten Exportbereitschaft in internationale Märkte einer Sägeindustrie zu tun, die mittlerweile auf europaweit wenige Anbieter monopolisiert war. Diese folgte den markt- und spekulationsgeprägten Schwankungen und bescherte damit auch dem regionalen Baugeschäft drastische Probleme. So beeinflussten Waldbrände in Kanada oder ein Bauboom in den USA und Asien die internationalen Schnittholzpreise und trieben regionale Baukosten weiter hoch. Zwingendes Wachstum und Profitmaximierung setzen die regionale Bauwirtschaft nun globalen Dynamiken aus. Klimawandel und Ressourcenknappheit sind so in unserer Alltagsrealität angekommen.

Die EU hat, um die Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen abzusichern, 2020 eine „Taxonomie-Verordnung“ erlassen, die auf europäischer Ebene festlegt, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten tatsächlich einen Beitrag zur Erreichung der Umweltziele (Klimaneutralität bis 2050) leisten. Seit 2023 sind große, börsennotierte Unternehmen verpflichtet, ihre diesbezüglichen Kennzahlen in ihren Jahresberichten offenzulegen. Damit entsteht gerade eine neue Dynamik, die abermals den Kapitalmarkt in Gang setzt. Investoren und Immobilienfonds befürchten in ihren konventionellen Bauten verlorene Investitionen. Es zeichnet sich eine immense Nachfrage nach „Green assets“, nach grünen Immobilien ab – großen in Holz gefertigten Bauvolumen, nicht aus einem konkreten Bedarf an Nutzflächen, sondern aus einem riesigen Hebel an internationalem Kapital. Der Immobilien-Hype von 2008 lässt grüßen.

„Wir entwickeln unsere Produkte so, dass wir sie problemlos skalieren und in einem vordefinierten Prozess beliebig oft produzieren können.“
(Matthias Moosbrugger)

Think big! Holz-Systembau im industriellen Maßstab als integrierte Sparte im Unternehmen
Matthias Moosbrugger von der „Rhomberg Bau Holding“, mit ihrem Stammsitz in Bregenz, sieht deshalb vor allem in Deutschland einen großen Markt für den Holzbau. Investoren und Immobilienfonds würden aufgrund der EU-Taxonomie und der so quantifizierten ökologischen Ansprüche mehr und mehr „stranded assets“ erkennen und „müssen im großen Stil in grüne Immobilien investieren“. Der Aufholbedarf im deutschen Wohnbau ist nach Moosbrugger gewaltig: „Da wird Holz eine Rolle spielen. Warum? Weil ich es schaffe, im System schnell und effizient mehrgeschossig zu bauen und die Immobilie entsprechend schnell wirtschaftlich zu nutzen. Diese Vorteile sieht dann auch ein Investor oder Kunde.“ Darum hat „Rhomberg Bau“ für jeden Anspruch eine passende Holz-Systembaulösung im Portfolio, etwa „Cree“ für großvolumige Neubauten, „Woodrocks“ für den mehrgeschossigen Wohnbau oder „Renowate“ für die serielle thermische Sanierung im großen Maßstab. Der Holz-Systembau nimmt schon länger an Bedeutung zu, da er für den Wohnbau, aber auch für gewerbliche Immobilien genutzt werden kann.

BIM und KI als Zeichen der Zeit

BIM, „Building Information Modelling“, wird aktuell EU-weit Standard in großen, aber auch mittleren Planungsprojekten. Entsprechend beschreibt Matthias Moosbrugger die Bedeutung der Digitalisierung im Planungsprozess für den Holz-Systembau bei „Rhomberg Bau“. So steige das Unternehmen sehr früh mit einer integralen, digitalen Planung ein und baue vorab digitale Zwillinge. Dafür sei es notwendig, frühzeitig ein System und Parameter zu fixieren, um das Geplante auf eine Maschine schicken zu können: „Die Vorproduktion von Elementen, wie Wänden oder Stützen, ist erst möglich, wenn ich den Prozess davor schon digitalisiert habe und nicht den herkömmlichen Weg über Architekten, Fachplaner und so weiter gehe. Ich verkürze nochmals die Zeit, nicht nur auf der Baustelle, sondern auch im gesamten Planungsprozess. Das wird für viele ein Gamechanger werden.“
Moosbrugger beschreibt den Zugang weiter: „Wir entwickeln unsere Produkte so, dass wir sie problemlos skalieren und in einem vordefinierten Prozess beliebig oft produzieren können. Das heißt nicht, dass sie gleich aussehen, aber das beschleunigt den Prozess. Die Idee ist, dass wir unseren Kunden sehr schnell ein digitales Modell inklusive Preis zur Verfügung stellen können. Zu einem Zeitpunkt, an dem er vielleicht selbst noch gar nicht genau weiß, was für eine Immobilie er tatsächlich braucht. So bekommt er aber ein gutes Gefühl dafür, was entstehen kann und ob es dem entspricht, was er benötigt. Dazu reichen uns wenige Parameter – für ein Bürogebäude etwa die Grundstücksgröße und die Anzahl der benötigten Arbeitsplätze –, auf deren Grundlage wir mit generativem Design optimierte Entwürfe erstellen. Das werden wir in allen unseren Märkten stark forcieren. Vor allem in Deutschland und im Projektgeschäft mit großvolumigen Holz-Systembauten.“

Balance der Maßstäbe, Strategien der Zukunft

Das Modell Baukultur Vorarlberg war immer von Kooperation und Koexistenz geprägt. Das geschah nicht von selbst und war auch immer wieder von Auseinandersetzungen begleitet. Ein beständig verhandelter Common Sense, ein Werteprogramm hielten die Veränderungen in einem Rahmen, der seine vitalen Komponenten – Gesellschaft, Architektur, Handwerk, Bauindustrie – koexistieren ließen.
Darüber scheint die Wirtschaftsgeschichte des Landes von dem stillen Agreement getragen zu sein, industrielle Expansion in den Export und nicht gegen die eigene Region zu richten. Der regionale Rahmen hat bestimmte marktwirtschaftliche und liberalistische Entwicklungen hintangehalten. So konnten sich die Qualität im Handwerk, bestimmte ökologische Standards und auch eine spezifische architektonische Qualität erhalten.

Die Entwicklungen im Holzbau bieten ungeheure ökologische Chancen und haben das große Potenzial einer Skalierbarkeit und damit Wirksamkeit im großen Stil. Doch wird der moderne Holzbau nur zum Eldorado ultimativer Profite oder hat er das Zeug zur Welterrettung? Der Holzbau ist eine globale Chance für die gesamte Bauindustrie. Zugleich geht es um das Zusammenleben unterschiedlicher Maßstäbe. Region und Baukultur Vorarlbergs erweisen sich seit über einem halben Jahrhundert als wichtiges Laboratorium Europas. Der Erhalt regionaler Maßstäbe, des Handwerks und einer demokratisch gestalterischen Kultur ist als Option und Strategie der Zukunft für unsere Enkel mindestens so bedeutsam wie unser ökologischer Lebensraum.


Als Einzelheft oder Abo erhältlich


Teilen auf:
Facebook