Hundert Prozent geben und aufwerten

Aus Verpackungen von Fruchtsäften können Produkte wie dieser Weinkühler entstehen. Foto Garbags / Tiago Mota

Mit seinen quietschbunten Taschen, Rucksäcken und Geldtaschen will das portugiesische Upcycling-Unternehmen „Garbags“ nicht nur Kundschaft aus aller Welt anlocken. Auch das Umweltbewusstsein einer Region, in der Recycling noch Nebensache ist, soll gefördert werden.
Von Theresa-Marie Stütz

In Graça, einem der ältesten Stadtviertel Lissabons, befindet sich ein Shop, der dem Unrat neues Leben einhaucht. Mit seinen schwarz umrahmten Auslagenfenstern sieht der Laden fast unscheinbar aus. Doch ein kleiner klappriger Camping-Tisch lädt zum Näherkommen ein. Darauf liegen die bunten Geldtaschen, Umhängetaschen und Reisepass-Hüllen von „Garbags“.

„Wir alle benutzen Verpackungen und werfen sie jeden Tag in den Müll”, erzählt die studierte Umwelt-Ingenieurin Tânia Anselmo. „Das Hauptziel der Verwendung von Verpackungen für unsere Produkte war es also, die Menschen zu inspirieren, das Thema auf eine kreative Art und Weise zu betrachten, damit sie hoffentlich irgendwann ihren Verpackungsmüll selbständig reduzieren”, erzählt sie.

Die Müllentsorgung ist in Portugal noch immer ein großes Problem. Laut Eurostat produzierte die portugiesische Bevölkerung 5,3 Millionen Tonnen Siedlungsabfälle im Jahr 2021. 56 Prozent davon landeten – größtenteils unsortiert – auf Deponien. In dem Jahr wurden knapp 31 Prozent der Siedlungsabfälle recycelt, was nicht ansatzweise den gesetzten EU-Zielen entsprach. Zwar steigt die Menge von Jahr zu Jahr, ob bis 2025 die Recyclingquote von 55 Prozent erreicht wird, bleibt aber fraglich. Aufgrund der niedrigen Recyclingrate bei Verpackungsmüll entschied sich Gründerin Anselmo, diese Art von Abfall weiterzuverwenden.

Im Jahr 2011 gründete sie schließlich das Unternehmen „Garbags“. Es wurde absichtlich in einer touristischen Gegend platziert. Damals fehlte es den Portugiesinnen und Portugiesen laut der Gründerin noch am entsprechenden Umweltbewusstsein. Touristen, die aus Ländern kamen, in denen dieses bereits ausgeprägter war, wurden die Zielgruppe des Unternehmens. „Garbags“ lud auch Ortsansässige ein, ihren Müll an das Unternehmen zu spenden, um ihnen den Gedanken hinter „Garbags“ näher zu bringen und sie miteinzubinden. Ein Teil der vielen Spenderinnen und Spender kommt nun schon seit elf Jahren vorbei. Die Motivation dahinter? Einerseits der Umweltschutz, andererseits ein Punktesystem, bei dem die Leute einen Punkt, der einen Euro wert ist, pro verwertbarem Müllsack bekommen. So können die Spender ihre gesammelten Punkte beim nächsten „Garbags“-Einkauf einlösen. „Die meisten machen es nicht wegen der Belohnungen, sondern aus Liebe”, sagt Tânia Anselmo, „Sie tun es, weil sie wissen, dass wir es nutzen und weil sie mitmachen wollen.”

Seien es Tetrapacks, alte Magazine oder Zahnpastatuben – jeglichen Arten von Verpackungen wird eine neue Chance gegeben. Unter Hochdruck werden die Materialien mit Wasser gereinigt. Für Lebensmittelverpackungen zusätzlich Spülmittel verwendet. Die gesäuberten Materialien werden schließlich von sieben Frauen in Handarbeit zu Einzelstücken verarbeitet. So können sich Tierliebhaber für Rucksäcke oder Geldtaschen mit einem Hunde- oder Katzenmotiv entscheiden. Hat jemand ein Faible für Salziges, gibt es auch Ware, die aus Chipspackungen hergestellt wird. Inzwischen gibt es dutzende
verschiedene Designs von Taschen und Rucksäcken, Lesezeichen und Flaschenkühler aus Tetrapacks, Notizblöcke aus Gemüseverpackungen, es gibt Federpennale, Armbänder, Ketten, Ohrringe, Laptoptaschen und Geldbörsen. Über den Onlineshop ist es möglich, nach bevorzugten Materialien zu suchen.

Lesezeichen aus gebrauchtem Tetrapack.
Foto Garbags / Tiago Mota

Eine Zeit lang dachte der kleine Betrieb auch über eine Zusammenarbeit mit der ansässigen Abfallwirtschaft nach. Doch der Müll, der dort landet, ist bereits zu kaputt und schmutzig und somit unbrauchbar für die Manufaktur. Das Unternehmen vertraut daher weiterhin auf Spenden. Inzwischen kommen circa 200 Personen aus Lissabon, aber auch aus umliegenden Städten wie Sintra, die ihre ausgedienten Verpackungsmaterialien an „Garbags“ abgeben.

„Jeder weiß, wie man billig und schnell produzieren kann”, so Anselmo, aber sie ist überzeugt: „Ich glaube auch, dass die Welt für etwas anderes bereit ist.” In einer kleinen externen Produktionseinheit werden zwar Firmengeschenke in größeren Mengen herstellt, da auch Unternehmen ihren Verpackungsmüll spenden können. Die lokale Produktion im kleinen Kreis sei dabei aber ein wichtiger Bestandteil des Geschäftsmodells, erklärt Anselmo.

Letzteres könnte man am ehesten mit dem „Triple Bottom Line“-Modell von John Elkington vergleichen, seines Zeichens Autor, Unternehmer und internationale Größe im Bereich „Corporate Social Responsibility“ und nachhaltige Entwicklung. Sein Unternehmensmodell besteht aus den drei gleichwertigen Bestandteilen „people”, „planet” und „profit/prosperity” (zu Deutsch: Menschen, Planet und Gewinn/Wohlstand). Er plädiert also für ein Unternehmertum, das umweltfreundlich, sozial und gewinnbringend wirtschaftet. Auch „Garbags“ sollte nicht zuerst die Umwelt zerstören, um nach genug Profit durch Bäumepflanzen den Schaden zu kompensieren. Der soziale, wirtschaftliche und nachhaltige Aspekt sollten sich die Waage halten.

Einen gesellschaftlichen Beitrag leistet „Garbags“ mithilfe von „Cooperativa Bandim“. Das Projekt unterstützt Immigrantinnen und Immigranten und ermöglicht ihnen ein reguläres Einkommen, um ihr Leben in Portugal zu beginnen. So beauftragt „Garbags“ das Projekt momentan mit drei Produkten, die von „Bandim“ hergestellt werden.

Um die „Garbags“-Vision, in der Soziales, Ökologisches und Ökonomisches gleichberechtigt sind, an die Kundinnen und Kunden weiterzugeben, klären die Mitarbeiter direkt vor Ort darüber auf. Sie wollen zeigen, dass ein wirtschaftliches Unternehmen keine Millionengewinne braucht, um trotzdem etwas Sinnvolles für Gesellschaft und Umwelt zu tun.

Mittlerweile rettet „Garbags“ eine Millionen Verpackungen pro Jahr vor der Verbrennung oder Deponierung. Vor einigen Jahren liefen die Geschäfte so gut, dass Tânia Anselmo drei weitere Shops eröffnete. Doch die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Lockdowns zwangen sie, diese wieder zu schließen. Tânia Anselmo weiß nicht, ob sie wieder expandieren wird. „Wenn es nicht wächst, bin ich trotzdem glücklich, denn zumindest haben wir dort, wo wir leben, einen merkbaren Einfluss,” so die Gründerin. „Garbags“ Anspruch ist nicht, die Welt vor der Klimakrise zu retten. „Die einzige Möglichkeit, die wir haben, um uns zu retten, besteht darin, die Verpackungen zu reduzieren oder sie ganz abzuschaffen”, sagt Anselmo. „Garbags“ möchte das Umweltbewusstsein seiner Mitwirkenden und Kunden erhöhen, damit diese Menschen auch ihren eigenen Einfluss auf ihr Umfeld nutzen und ihr erstarktes Umweltbewusstsein weitergeben.


„Ursprünglich aus Oberösterreich kommend, bin ich 2016 für das Lehramtsstudium nach Wien gezogen. Seitdem ist viel passiert. Inzwischen mache ich neben dem Studium Journalismus. Meine Lieblingsthemen sind Klima, Bildung und Inklusion. Das Interesse für Letzteres kommt von einem meiner Studien-Fächer, der Inklusiven Pädagogik. Wenn ich mal nicht schreibe oder Uni-Zeugs erledige, lade ich meine Batterien am liebsten wieder mit Klettern, Wandern oder Nichtstun auf!“ Theresa-Marie Stütz, 25


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