Hysterisch, verwöhnt – oder beides?

Vielfliegende Wohlstandsbinkel oder „radikale Klimakleber”: Was ist die Jugend? Eines jedenfalls: in ihrem Klimabewusstsein deutlich weiter als alle anderen. Von Gerlinde Pölsler, Foto: Regine Schöttl

13. Juli 2023. An den Flughäfen Hamburg und Düsseldorf kleben sich junge Klimaaktivisten sich auf der Start- und Landebahn fest. Eine vor Ort befragte ältere Frau sagt hörbar entrüstet, sie habe „überhaupt kein Verständnis für solche Maßnahmen: Es trifft Urlauber, und das ist unmöglich.”

Was ist los mit den Jungen, fragen sich viele Ältere: Sowas von radikal, sowas von pessimistisch! Legendär das Zusammentreffen des TV-Moderators Markus Lanz, 54, mit der Letzte Generation-Aktivistin Carla Rochel: „Sie sitzen hier mit 20”, sagte er ihr: „Sie müssten optimistisch sein!”

Einerseits ist da also das Bild der hysterischen Jugendlichen, die die Sache mit dem Klimawandel komplett übertreiben würden, anstatt zum Beispiel einfach Solartechnikerin zu werden und das Problem Paneele schraubend anzupacken. Andererseits ebenso zu hören: Naja, gar so weit ist es auch wieder nicht her mit dem Klimabewusstsein der Jungen. Schaut sie euch an, wie sie in der Welt herumcruisen! Und dann noch abends aus dem Homeoffice per Lieferando Champagner an die Wohnungstür ordern, wie der deutsche Innenminister a. D. Thomas de Maizière kürzlich bekrittelte.

Aber Vielfliegen, Vielkonsumieren, online über etwas stolpern und es am nächsten Tag an die Tür geliefert haben wollen: Das alles ist keine Spezialität der Jungen. So sind ja wir als Gesellschaft. In Summe ist die junge Generation in ihrem Klimabewusstsein uns älteren Zeitgenossen dennoch meilenweit voraus.

So brauchte es erst die Jungen, um die Klimakrise überhaupt einmal in die politische Agenda zu zwingen. Es waren die Schulkinder und Studierenden, die voranmarschierten, erst danach folgten ihnen die Parents, Teachers, Scientists und Noch-alles-Mögliche for Future. Heute sind es angeblich radikale Aktivistinnen, die das Thema präsent halten und dafür Hass, Geld- und Haftstrafen und verbaute Karrieren in Kauf nehmen.

Schon klar: Bei „Fridays for Future“ engagiert sich nicht die Jugend, es sind vor allem Bessergestellte und gut Gebildete. Die Jugend existiert nämlich weniger denn je. „Die junge Generation ist so ungleich, wie sie es noch nie nach dem Krieg war, finanziell wie in ihren Wertvorstellungen”, sagt die deutsche Sozialforscherin Jutta Allmendinger in der Zeit. Das beginne schon bei der „dramatischen Vermögensungleichheit: Einige Jugendliche erben qua Geburt Immobilien, Aktien und Geld, andere starten mit nichts, werden nie erben und haben keine Ahnung, wie sie ihr Leben in Krisenzeiten finanzieren sollen.”

Insofern ist auch das Ergebnis der jüngsten vom Wiener Institut für Jugendforschung vorgestellten Umfrage unter 16- bis 29-Jährigen kein Wunder: Teuerung und Krieg bereiten den jungen Leuten demnach die größten Sorgen, erst danach kommen Klimawandel und Umweltkatastrophen. Beide Hauptsorgen sind realistisch und berechtigt, die Teuerung zumal für jene (vielen), die eben nie erben werden. Der Befund bedeutet keineswegs, dass die Jugendlichen achtlos gegenüber dem Klima wären, wie Studienleiter Bernhard Heinzlmaier betonte: Sie hätten sogar „dramatische Sorgen”. Psychologinnen und Psychologen wissen von den handfesten Ängsten der Jungen. Schließlich werden sie vieles miterleben, was heute noch dystopisch klingt: Weggespülte Küstenstädte, Wasser- und Lebensmittelknappheit, noch mehr Überflutungen und Dürren. All das erwartet vier Milliarden Menschen am Globus, die jünger als zwanzig sind.

Auch bei den Einstellungen und bei konkreten Taten zeigen sich die Jungen im Schnitt als die Progressivsten. Beispiel Tempo 100 auf Autobahnen: hat die höchste Akzeptanz bei den bis Dreißigjährigen. Führerschein- und Autobesitz: abnehmende Tendenz bei jungen Leuten. Biokäufer, vegetarisch und vegan Lebende: höchster Anteil bei den Jüngeren.

All das wird weiter zunehmen – auch, weil das Bildungsniveau stetig ansteigt und „höher Gebildete ein höheres Bewusstsein für die Klimakrise haben und schneller bereit sind, Verhaltensweisen umzustellen”, wie der Wiener Demograf Wolfgang Lutz im Falter erklärt. Allerdings entlässt Österreich neben immer mehr jungen Bachelors und Doktorandinnen nach wie vor viel zu viele junge Leute – immerhin ein Drittel der Burschen! – aus der Schule, ohne dass diese sinnerfassend lesen könnten. Sich um sie zu kümmern, ist daher nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit: Es ist auch unabdingbar, um die Klimakrise zu bewältigen.


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