Im Adler bleibt die Küche kalt

Foto Angela Lamprecht
Irma Renners „Adler Grossdorf“ ist eine Erfolgsstory. Doch bald müssen sich die Gäste nach einem anderen Sonntags-essen umschauen, denn die Gastgeberin schließt die Tore ihres Wirtshauses für ein Jahr und macht sich auf in ein gänzlich neues Abenteuer.
Von Angelika Drnek
Viele Ihrer Gäste erwarten jeden Dienstag den Newsletter zum nächsten Menü im „Adler“ in Großdorf, das dort immer sonntags serviert wird. Vor Kurzem war zu lesen, dass sich der „Adler“ ein Jahr lang eine Auszeit nimmt – das hat viele überrascht.
Irma Renner: Ja, mich auch. Es gibt verschiedene Gründe für die Pause. Mein Küchenchef Jodok Dietrich hatte schon lange Pläne für eine Weltreise – im Juli macht er sich tatsächlich mit seiner Familie dazu auf. Jodok ist für den „Adler“ wesentlich. Nach Gesprächen mit den anderen Teammitgliedern sind wir zum Schluss gekommen, dass es uns nicht schaden würde, ein Jahr zu pausieren, neue Ideen zu sammeln und uns inspirieren zu lassen. Wir machen das ja schon seit elf Jahren. Nach einer Dekade braucht man neue Impulse.
Und was werden Sie in diesem Jahr unternehmen, was wollen Sie erleben?
Ich möchte ein Jahr lang nach Paris gehen, dort leben und arbeiten. Ich habe noch keinen Job, noch keine Wohnung – und ich bin offen, was meine neue Arbeitsstelle angeht. Natürlich würde sich etwas in der Gastronomie oder in der Hotellerie anbieten, aber es muss nicht sein.
Wie werden Sie dieses Abenteuer angehen?
Erstmal gebührt dem „Adler“ ein würdiger Saisonabschluss, mein Kopf ist noch gar nicht frei für Paris. Viele „Adler“-Gäste haben tolle Beziehungen nach Paris, das ist natürlich eine große Hilfe. Mit Anfang 20 war ich ein Jahr in Bordeaux, als Au-pair. Damals konnte ich fließend Französisch sprechen, jetzt werde ich ein wenig Übung brauchen. Es tut gut, wenn man gefordert wird.
Und warum ist die Wahl gerade auf Paris gefallen?
Das war ein spontaner Einfall. Logisch wäre ja gewesen, nach Italien zu gehen, weil ich die Sprache viel besser kann und jahrelang dort gelebt habe. Aber Paris ist eine Challenge, eine echte Metropole. Seit 16 Jahren lebe ich nun im Bregenzerwald, meine Töchter haben hier die Schule besucht. Nun studieren sie in Wien, und ich habe die Freiheit, einfach abzuhauen. Es ist tatsächlich ein Abenteuer für mich, wie damals. Und das Angenehme daran ist, dass ich jederzeit zurück kann. Ich muss zudem niemandem etwas beweisen. Wenn ich nach drei Monaten genug von Paris habe, dann ist es auch okay.
Der „Adler“ startete seinen Sonntagsbetrieb mit dem Vorhaben, Frauen aus dem Bregenzerwald aufkochen zu lassen. Dann ist das Spektrum aber doch breiter geworden.
Ja, die Grundidee war etwas naiv, denn so viele Frauen und Hausfrauen gab es dann auch wieder nicht, die hier kochen wollten. Herta Covi war glücklicherweise aber eine, die hier regelmäßig gekocht hat. Aber auch sie hatte nicht jeden Sonntag Zeit. So habe ich nach Gastköchen Ausschau gehalten – eigentlich eine logische Entwicklung. Und der „Adler“ ist über die Jahre auch professioneller geworden. Anfangs waren vielleicht 60, 70 Leute da, heute sind es immer rund 100.
Gab es besondere Highlights für Sie?
Ich habe ein Gästepaar, das fast jeden Sonntag in den „Adler“ kommt. Oft sagen sie dann zu mir: „Heute war es perfekt, besser geht es einfach nicht.“ Und am nächsten Sonntag sagen sie das wieder – eine tolle Bestätigung. Der „Adler“ bietet familiäre Atmosphäre, weil alle dasselbe essen und trinken. Da gibt es niemanden, der neiderfüllt auf den Nachbartisch schaut. Zudem sitzen die Leute an den großen Tischen zusammen und kommen ins Gespräch.
Sie hatten aber auch kritischere Gäste. Etwa den Bregenzer Autor und Gastrosophen Kurt Bracharz, der im Jahr 2020 verstorben ist.
Kurt fehlt uns sehr im „Adler“. Ich war stolz, dass er fast jeden Sonntag hier war. Dabei war er nicht immer der charmanteste Gast. Er hat meistens etwas gefunden, wo er sich einbringen konnte (lacht). Wir haben einmal Baba Ganoush aus Zucchini angeboten. Da sagte er: „Das geht nicht, Baba Ganoush ist von der Aubergine.“ Bei so etwas war er nicht kompromissbereit. Er war jemand, der sich mit den Dingen, eben auch mit der Kulinarik, wirklich auseinandergesetzt hat. Manchmal habe ich ihn auch um Rat gefragt. Er fehlt.
Ernährung ist ein Modethema – es gibt mittlerweile unzählige Ideologien und Ernährungsweisen: von vegan über Clean Eating bis zu ketogen und so weiter. Diese Tendenzen haben im „Adler“ aber nie gegriffen, oder?
Nein, wir verwenden hochwertige Zutaten, vieles aus der Region und Saison, wenn möglich. Wir sind also sensibel, wenn es um den Einkauf geht. Eines hat sich aber tatsächlich verändert: Wir verwenden weniger Fleisch. Manchmal sind unsere Menüs sogar komplett vegetarisch. Da wir mit Reservierungen arbeiten, können wir auch die Mengen gut berechnen – so ist am Sonntagabend kaum etwas übrig. Es landet so gut wie nichts im Müll.
Im „Adler“ gibt es nur ein Menü – war das jemals problematisch?
Als wir gestartet haben, meinten einige, dass ich das nicht machen könne, dass ich mehr anbieten müsse, mehr Beilagen, verschiedene Weine und so weiter. Aber Tatsache ist, dass es sogar sehr gut angenommen wurde. Die Menschen müssen unter der Woche so viele Entscheidungen treffen – manche sind froh, wenn sie dann am Sonntag beim Essen nicht auch noch eine Wahl treffen müssen.
Als Sie angefangen haben, wollten Sie mit dem „Adler“ ein Projekt angehen, das wirklich das Ihre war. Wie blicken Sie heute auf den „Adler“?
Der „Adler“ ist wahnsinnig wichtig in meinem Leben. Ich bin so froh, dass ich mich damals dazu entschlossen habe. Ich habe so viel Bestätigung erhalten, bin selbstbewusster geworden, habe viele Leute kennengelernt. Der „Adler“, seine Gäste und mein Team sind eine unheimliche Bereicherung. Und unser Konzept hat ja auch außerhalb der unmittelbaren Region Anklang gefunden, das mediale Echo war groß.
Angenommen, es gefällt Ihnen in Paris richtig gut und alles läuft nach Plan – müssen sich die „Adler“-Gäste Sorgen machen, dass Sie nicht mehr zurückkommen?
Der Plan ist, dass ich zurückkehre. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich nach einem Jahr genug habe von der Großstadt. Doch der „Adler“ ist kein Projekt für Einzelgänger, es braucht ein Team. Und innerhalb eines Jahres kann sich natürlich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einiges ändern. Also schauen wir mal, wie sich die Dinge entwickeln … Ich bin aber zuversichtlich (lächelt).