Im Dienst gegen die „unheilige Allianz“

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler. Foto BMK/Cajetan Perwein
Die Klimaschutzministerin Leonore Gewessler ist im Einsatz, um Österreichs Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren und die nachhaltige Energieversorgung voranzutreiben.
Von Sarah Kleiner
Inwieweit stellt sich der Ukraine-Krieg aktuell auch als Chance dar, die Energiewende voranzutreiben?
Leonore Gewessler: Der Angriffskrieg Russlands bedeutet enormes Leid für so viele Menschen in der Ukraine. Es ist unfassbar, mit welcher Brutalität Russland ganze Städte zerstört und Millionen Menschen in die Flucht treibt. Dieser Krieg zeigt uns außerdem schmerzlich, wie abhängig Österreich von russischem Gas ist. Rund 80 Prozent des in Österreich verbrauchten Gases werden aus Russland importiert. Diese Abhängigkeit ist das Ergebnis einer Politik, die in den vergangenen zwanzig Jahren nichts dagegen unternommen und russische Gasimporte oftmals gefördert hat. Das gilt es jetzt zu ändern – in Österreich, wie in Europa. Eine unabhängige, zukunftsfähige Energieversorgung braucht drei Dinge: Gasverbrauch reduzieren, Zulieferländer diversifizieren und vor allem: erneuerbare Energien ausbauen. Die Sonne schickt keine Rechnung, Gazprom schon. Und genau das passiert jetzt in ganz Europa.
Welche sind die wesentlichsten Schlüsseltechnologien zur Speicherung von Energie aus erneuerbaren Quellen, deren Umsetzung das Ministerium hier forciert?
Die Speicherung von erneuerbarer Energie ist ein großes Thema bei der Netzstabilität und in der Energieautonomie. Wir haben bereits jetzt mit den Pumpspeichern hervorragende Speichertechnologien. Diese zu errichten, war eine gewaltige Aufgabe. Für die Energiewende geht es langfristig auch um Flexibilität, das heißt: wie gut kann man darauf reagieren, wenn Wind und Sonne uns Energie schenken. Da gibt es eine breite Palette, die zu nutzen ist. Einerseits können natürlich Industrieunternehmen aber teilweise auch Haushalte ihren Verbrauch anpassen. Da hat die Digitalisierung viel möglich gemacht. Und ein Teil dieser Flexibilität sind eben dann Speicher. Das beginnt bei kurzfristigen Speichern wie Batterien und geht über thermische Speicher – also, wenn Strom in Wärme umgewandelt wird – hin bis zu den investitionsbedürftigen Formen der Speicherung durch Umwandlung in Gase wie Wasserstoff. Für ein komplett umgebautes System werden wir am Ende einen breiten Mix brauchen. Für eine Stadt wie Wien wird es nicht den einen Speicher geben. Bereits jetzt nutzt Wien etwa auch Pumpspeicher in Westösterreich. Und darum geht es auch: Energiewende heißt, die Stärken von Regionen, Ländern und ganz Europa zu kombinieren. Das hat historisch funktioniert und wird durch die Nutzung moderner Technologien noch intensiviert.
Der Ausbau der Windkraft ist zentral für ein klimaneutrales Österreich, doch in Salzburg steht zum Beispiel keine einzige Windkraftanlage. Wie nehmen Sie hinsichtlich der Umwidmung von Flächen die Kooperationsbereitschaft der österreichischen Bundesländer und Gemeinden wahr?
Wir brauchen nicht nur effiziente Verfahren, sondern auch Politikerinnen und Politiker im Bund und in den Ländern, die jetzt klar und deutlich sagen, dass wir mehr Windräder und mehr Sonnenenergie brauchen. Wir haben mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz die rechtlichen Rahmenbedingungen und die finanzielle Grundlage für 100 Prozent Ökostrom bis 2030 geschaffen. Jetzt müssen die Länder in der Energieraumplanung und bei der Flächenwidmung zeigen, dass auch sie unabhängig werden wollen von russischem Erdgas. Denn es gibt noch immer Bundesländer ohne Windräder oder auch welche, die noch keine Energieraumplanung gemacht haben. Ich bin davon überzeugt, die Menschen in unserem Land sind dabei – der Krieg in der Ukraine ist für viele eine Zeitenwende. Denn jedes Windrad, das wir heute errichten, ist ein Schritt in die Unabhängigkeit unserer Energieversorgung.
Ich würde mir wünschen, dass wir von dem Entweder-oder-Denken wegkommen und stattdessen den Weg von Sowohl-als-auch einschlagen.
Laut mancher Forscher seien im Bereich der Wasserkraft bestehende Potenziale ausgeschöpft, dennoch wird ein Ausbau im Rahmen von fünf Terawattstunden angestrebt. Was erwidern Sie?
Diskussionen sind in einer Demokratie erwünscht und wichtig. Wir sollten Diskussionen nicht scheuen, solange sie mit fachlichen Argumenten geführt werden. Dafür gibt es in einem Rechtsstaat Verfahren und Prozesse die man nutzen sollte. Denn man muss die Menschen einbinden. Einer Generalisierung von Einzelbeispielen widerspreche ich aber. Wenn man sich den Ausbau historisch und bei Erneuerbaren insgesamt ansieht, dann erkennt man sehr gut, dass die Bevölkerung bei unglaublich vielen Projekten mit an Bord ist und sie aktiv unterstützt. Die Politik darf sich da natürlich nicht ausnehmen, sondern muss dahinterstehen. Das tue ich auch. Windräder und auch große Solaranlagen werden Teil unserer Landschaft sein und das ist gut so. Denn sie sind ein Zeichen für unsere Unabhängigkeit.
Für mich ist auch ganz klar, wir dürfen Naturschutz nicht gegen den Ausbau erneuerbarer Energieträger ausspielen. Wir haben noch naturverträgliche Potenziale beim Ausbau der Wasserkraft, aber sie sind tatsächlich begrenzt. Und natürlich werden wir unsere letzten unberührten Flussjuwele und die dort vorhandene Biodiversität nicht opfern. Das wäre der falsche Weg und den werden wir auch nicht einschlagen.
NGOs und Opposition kritisieren regelmäßig das fehlende Energieeffizienz- und Klimaschutzgesetz. Wo steht man in der Ausarbeitung?
Energieeffizienz ist ein ganz wichtiger Beitrag zum Klimaschutz und zu unserer Unabhängigkeit von russischem Erdgas. Dazu braucht es einerseits gesetzliche Maßnahmen wie das Energieeffizienzgesetz. Dazu liegt schon ein Entwurf aus dem Klimaschutzministerium vor, der sich gerade in regierungsinterner Abstimmung befindet. Gleichzeitig kann aber natürlich auch jeder und jede einen Beitrag leisten. Wer seine Gasheizung gegen eine bessere Alternative tauscht, spart Erdgas. Wer die Temperatur in der Wohnung von 23 um zwei Grad auf 21 oder 20 Grad senkt, hilft mit. Das gleiche gilt natürlich auch, wenn die Geschwindigkeit auf der Straße um zehn Stundenkilometer reduziert wird. Es sind oft kleine, ohnehin bekannte, Energiespartipps, die dann in Summe einen großen Unterschied machen. Und wir brauchen wirklich jede und jeden, um unsere Abhängigkeit von Russland Terawattstunde für Terawattstunde abzutragen.
Sie kündigten Anfang Februar eine Nichtigkeitsklage gegen die EU-Kommission aufgrund der EU-Taxonomie an, die die Klassifizierung von Erdgas und Atomenergie als nachhaltiges Investment vorsieht. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass der delegierte Rechtsakt im Rat oder EU-Parlament abgelehnt wird?
Derzeit läuft die Prüfperiode, sowohl der Rat als auch das Europäische Parlament können noch Einspruch dagegen einlegen. Spätestens seit dem russischen Krieg gegen die Ukraine ist klar, dass die unheilige Allianz aus Kernkraft und fossilem Gas zusammengebrochen ist. Fossiles Gas ist keine Brückentechnologie, sondern eine Sackgasse. Kernkraft war nie nachhaltig und wird es niemals sein. Darüber hinaus überschreitet aus unserer Sicht die Europäische Kommission im delegierten Rechtsakt ihre Kompetenzen. Im Europäischen Parlament wird das durchaus kritisch gesehen und es gibt viele Abgeordnete, die fordern, dass der delegierte Rechtsakt dort abgelehnt wird.
Wie wird sich die europäische Energielandwirtschaft in den kommenden Jahren verändern, wenn der Rechtsakt in Kraft tritt?
Bei der Taxonomie-Verordnung geht es darum, Finanzströme in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten zu lenken und transparent darzulegen, welche Tätigkeiten nachhaltig sind und welche nicht. Es ist keine Entscheidung für oder gegen die Kernkraft. Jedes Land kann seinen eigenen Energie-Mix frei wählen. Der derzeit vorliegende delegierten Rechtsakt ist allerdings eine Entscheidung für das Greenwashing von fossilem Gas und Kernkraft, und dagegen treten wir ein.
Eine Kritik der Klimaschutzbewegung ist die Individualisierung der Klimakrise. Bürger würden zu klimafreundlichem Verhalten gedrängt, während der Industrie weitläufig freie Hand gewährt würde. Wie stehen Sie zu einem europäischen Lieferkettengesetz?
Ich würde mir wünschen, dass wir von dem Entweder-oder-Denken wegkommen und stattdessen den Weg von Sowohl-als-auch einschlagen. Bürgerinnen und Bürger haben die Möglichkeit, selbst Energie einzusparen. Die Verantwortung darf aber nicht ausschließlich auf Private geschoben werden. Denn auch Unternehmen tragen eine wesentliche Verantwortung, weswegen ich den Entwurf für ein Lieferkettengesetz grundsätzlich begrüße. Unternehmen können nicht wegschauen, wenn ihre Lieferanten Menschenrechte verletzen oder die Umwelt zerstören. Deswegen ist die gesamte Lieferkette so wichtig. Das zuständige Justizministerium hat dazu vor einigen Wochen auch einen runden Tisch veranstaltet.
Kritiker empfinden den Entwurf als zu lasch und fordern deutliche Verschärfungen, sodass beispielsweise nicht nur 0,2 Prozent der Unternehmen betroffen sind. An welchen Stellen müsste nachgebessert werden?
Wichtig ist, dass diese Unternehmen durch die Richtlinie verpflichtende Klimapläne vorlegen und auch transparent dazu berichten müssen. Daher ist es gut, wenn die Due Dilligence bei den großen Unternehmen beginnt und dann schrittweise auch auf kleinere Unternehmen ausgeweitet wird. Auch bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung wird der Kreis der betroffenen Unternehmen jetzt ausgeweitet und das halte ich für sinnvoll.
Das reichste Prozent der Gesellschaft verursacht 15 Prozent der CO2-Emissionen. Welche Rolle spielt Umverteilung im Bezug auf Klimaschutz?
Von den Auswirkungen der Klimakrise sind leider auf der Welt, in Europa und auch bei uns in Österreich, sozial und finanziell schwächer gestellte Gesellschaftsgruppen oft stärker betroffen. Deshalb ist es unerlässlich, dass die Klima-, Mobilitäts- und Energiewende sozial gerecht erfolgt. Deswegen betrifft die ökosoziale Steuerreform mit der CO2-Bepreisung etwa auch jene Personengruppen stärker, die einen, zwei oder sogar drei SUVs haben. Über den Klimabonus werden die Einnahmen gleichmäßig rückverteilt, was unteren Einkommen stärker hilft; auch weil sie weniger CO2 verbrauchen.
Sie haben als Klimaschutzministerin im Jahr 2022 eine enorme Verantwortung inne und zeichneten sich in Ihrer Funktion bisher durch deutlichen Veränderungswillen aus. Was macht Ihnen Mut?
Mein Antrieb in die Politik zu gehen, war es ja, dass wir beim Klimaschutz weiterkommen. Nach etwas mehr als zwei Jahren kann ich sagen, es ist viel gelungen. Und mit genau diesem Mut und diesem Tempo werden wir auch weitermachen – damit wir 2040 die Klimaneutralität auch tatsächlich erreichen. Das gelingt uns durch gesetzliche Rahmenbedingungen, etwa für die Energiewende, zum Beispiel mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz oder der Wärmestrategie. Zweifellos sind damit große Kraftanstrengungen verbunden, aber im Klimaschutz und der Energiewende liegen auch unglaubliche Chancen. Eine klimafreundliche Umgestaltung unserer Wirtschaft sorgt für zukunftsfitte Arbeitsplätze und bringt regionale Wertschöpfung. Und wir sorgen mit Klimaschutz dafür, dass wir auch unseren Kindern noch einen lebenswerten Planeten übergeben können. Es tut sich einiges, etwa auch wenn ich an das Klimaticket denke, das über 15 Jahre lang in diversen Regierungsabkommen festgeschrieben war und wir haben es in relativ kurzer Zeit umgesetzt. Dieser Tage beeindruckt mich, wie viele Menschen sich für unsere Förderungen für Photovoltaik und einen Heizkesseltausch interessieren und damit einen Beitrag für die österreichische Unabhängigkeit von russischem Erdgas leisten. Denn diesen Kraftakt schaffen wir nur gemeinsam.
Leonore Gewessler, geboren 1977 in Graz, studierte Politikwissenschaften in Wien. Von 2008 bis Juni 2014 war sie Direktorin der „Green European Foundation“ in Brüssel, danach bis 2019 als Politische Geschäftsführerin der Umweltorganisation „Global 2000“ tätig. Seit Jänner 2020 ist sie die österreichische Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie.