Im Kreis gedacht

Das Gewächshaus für Gemüse bietet auch der Pflanzenkläranlage Schutz vor Kälte. Die Fenster stammen aus einem abgerissenen Bürogebäude in Wien, der Boden besteht aus gebrauchten Ziegeln. Foto IBA Wien, Agnes T. Ackerl

Energiesparend, nachhaltig, umweltschonend: Ein Mehrparteienhaus in der Steiermark steht Modell für das Wohnen der Zukunft.
Von Franziska Dzugan

Wie können wir unser Haus kreislauftauglich machen? Diese komplexe Frage stellten sich 40 Menschen in der Steiermark. Sie hatten 2017 zusammen die ehemalige Militärkaserne in Fehring gepachtet und waren dort eingezogen. Die Idee: Jung und Alt in getrennten Wohnungen, aber mit Gemeinschaftsräumen, Werkstätten, Büros, einer kleinen Landwirtschaft – und das alles so nachhaltig wie möglich. Als sich das auf Kreislaufwirtschaft spezialisierte Unternehmen „alchemia-nova“ auf die Suche nach einem Standort für ein EU-Forschungsprojekt machte, ergab sich eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Wien und Fehring. „alchemia-
nova“ wurde im Jahr 2000 von dem mittlerweile verstorbenen Öko-Pionier Hanswerner Mackwitz gegründet und betreut heute weltweit Projekte, die sich mit Fragen der Kreislaufwirtschaft und naturbasierter Systeme beschäftigen.
Fünf Jahre ist das her, dass sich „alchemia-nova“ und die Fehringer zusammentaten, nun steht das EU-Projekt namens „Houseful“ kurz vor dem Abschluss. Die Hausgemeinschaft in Fehring betreibt mittlerweile eine eigene Pflanzenkläranlage, ein Gewächshaus und die kleinste Biogasanlage Österreichs.

„Unser Umgang mit Abwasser und Abfällen hat sich völlig verändert“, sagt Peter Groß. Der 62-Jährige wohnt in der früheren Kaserne und war an allen Bauprojekten maßgeblich beteiligt. Als Kernstück entstand zuerst das Gewächshaus, in dem die Pflanzenkläranlage Schutz vor tiefen Temperaturen finden sollte. Die Suche nach nachhaltigen Baumaterialien war alles andere als einfach. Doch bei „materialnomaden, studio for circular design & architecture“, einer Wiener Firma, die unter anderem bei Abräumarbeiten wertvolle Baustoffe sichert, wurden Groß und die anderen schließlich fündig. Sie konnten die Glasfront aus den Fenstern eines abgerissenen Bürogebäudes bauen. Gebrauchte Ziegelsteine bedecken den Boden.
Die Lehre daraus: Es soll eine digitale Bibliothek für wiederverwendbare Baustoffe entstehen. Sie soll Anbieter-Plattformen sammeln und es Usern erleichtern, 50 Baustoffe zu suchen und zu vergleichen.
Im Gewächshaus stehen nun aufeinander gestapelte Metalltröge mit Substrat, Pflanzen und einem ausgeklügelten Bewässerungssystem. Die Anlage namens „vert-ECO®“ ist eine Weiterentwicklung von klassischen Pflanzenkläranlagen zur Grünen Wand. Die Wiederverwendung von Wasser ist von Anfang an mitgedacht: Das gesamte Abwasser der Hausgemeinschaft aus Duschen, Küche, Waschmaschinen und Toiletten wird zuerst in einem unterirdischen Kammersystem vorgereinigt und fließt dann in die grüne Wand. Es sickert langsam unterirdisch durch die Tröge, wo es durch das Substrat gefiltert wird und Pflanzen sowie Mikroorganismen es biologisch reinigen. Erste Ergebnisse zeigen: „Das Wasser, das herauskommt, hat Güteklasse B“, sagt Marco Hartl, Projektleiter bei alchemia-nova. Es darf also zum Gießen von Gemüsepflanzen verwendet werden.
Damit kann Hartl eine seiner zentralen Forschungsfragen positiv beantworten. „Bestehende Gebäude lassen sich in Richtung Abwasser-Wiedernutzung umrüsten“, sagt er. Die ehemalige Kaserne in Fehring stammt aus den 1960er-Jahren. Noch einfacher ist es mit Grauwasser – also Abwasser ohne Toiletten-Abwasser – für welches „vert-ECO®“ von „alchemia-nova“ schon international im Einsatz ist und wiederverwendbares Wasser zum Gießen und Toilettenspülen bereitstellt.

Mehr Probleme machte hingegen die Biogasanlage, erzählt Bewohner Peter Groß. Ursprünglich sollte der alte Öltank im Keller, der 80.000 Liter fasst, umgebaut werden. Er hätte nicht nur Küchenabfälle, sondern auch Fäkalien aus Trenntoiletten in Biogas verwandeln sollen, um damit die Öfen der hauseigenen Großküche zu beliefern. Doch die hohen Auflagen der Behörden vereitelten diesen Plan. Nun befindet sich eine Biogasanlage aus Israel im Garten der Fehringer – die bisher kleinste genehmigte in Österreich. Sie ist für ein Einfamilienhaus ausgelegt und wird ausschließlich mit Küchenabfällen gefüttert. Da der israelische Hersteller keine Erfahrung mit tiefen Temperaturen hat, fungiert die Anlage in der Steiermark als Pilotprojekt für den europäischen Winter. Sie wird mit einem intern integrierten Heizsystem ausgestattet, um den Gärprozess auch in Eiseskälte am Laufen zu halten. „Wir können damit immerhin eine einzelne Kochstelle betreiben“, sagt Groß.
Wären die Projekte, die in Fehring verwirklicht wurden, auch in einem üblichen Mietshaus oder in einem Kleinfamilienhaus denkbar? Auch das ist eine Erkenntnis aus dem EU-Projekt: Sowohl Biogasanlagen als auch die eigene Abwasserreinigung sind im Kleinen vor allem auf dem Land sinnvoll – etwa auf einem Bauernhof, der das gereinigte Wasser für die Bewässerung nutzen kann. Für Mehrparteienhäuser in der Stadt gilt das ebenso: Das gereinigte Abwasser – bzw. im Idealfall das leichter behandelbare gereinigte Grauwasser – kann etwa für die Toilettenspülung sowie für die Bewässerung der immer notwendiger werdenden grünen Infrastruktur wie Grünen Wänden oder Stadtbäumen wiederverwendet werden.
Spanien gilt als Vorreiter der Wasser-Wiederaufbereitung in Europa. Dort ist es mittlerweile gesetzlich vorgeschrieben, bei Neubauten Rohre für die Sammlung von Grauwasser einzuziehen. Die EU-Kommission hat ebenfalls Regeln zur Wiederverwendung von gereinigtem Abwasser erstellt, bis jetzt aber mit Fokus auf die Verwendung in der Landwirtschaft. In Österreich ist es nur eine Frage der Zeit: Die Landwirtschaft leidet zunehmend unter Dürren, Seen und Flüsse trocknen im Sommer immer häufiger aus, die Grundwasserspiegel sinken – und Wasser wird demnach auch hierzulande immer mehr zum knappen Gut.

Die Stadt Wien interessiert sich aktuell ebenfalls für Kreislaufwirtschaft. Sie hat „alchemia-nova“ und zwei Universitäten damit beauftragt, die gesamte Stadt nach ihrem Potenzial zu durchforsten. Wo können Lebensmittelabfälle vermieden werden? Wo können Baustoffe wiederverwendet werden? Wie können die Materialien schon vor dem Einbau digital gespeichert werden, damit man beim Abriss weiß, was in einem Gebäude steckt? Wo stehen Räume leer, die man sinnvoll nutzen könnte? „Wir sind gerade dabei, eine Wiener Stadtkarte für Kreislaufwirtschaft zu erstellen“, sagt Helen Dolinšek von „alchemia-nova“. Die Erfahrungen aus Fehring werden dabei jedenfalls von Nutzen sein.


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