Integration durch Innovation
Die Präsentation der Projekte in Dornbirn. Foto Kunstuniversität Linz
Die Kunstuniversität Linz und die Caritas Vorarlberg machen neuerdings gemeinsame Sache: Auf der Basis von Gebrauchsmaterialien in Österreichs größtem Kleidersortierwerk „carla Tex“ haben sieben Industrial-Design-Studierende Ideen für neue Produkte entworfen. Nun machen sich Jugendliche der „Startbahn“-Jugendbeschäftigungs-Standorte an die Umsetzung und finden dadurch ganz nebenbei Zugang zu Arbeitsmöglichkeiten – und zum Kreislaufdenken.
Von Magdalena Mayer
Die Struktur des Papiers kommt mit Licht facettenreich zur Geltung. Man sieht jede Faser im Material des Schirms, wenn das Leuchtmittel durchscheint. Bei der „Hadernlampe“, die der Student Jakob Mair von der Studienrichtung „Industrial Design“ der Kunstuniversität Linz angefertigt hat, bezieht sich der Name auf das Grundmaterial: Hadernpapiere, die aus Alttextilien hergestellt werden. Noch gibt es diesen Lampenschirm erst als Entwurf – doch das soll sich im Lauf der nächsten zwei Jahre ändern. Mair ist einer von sieben Studierenden seines Fachs, die bei „Startbahn+“ mitmachen: ein Kooperationsprojekt der Caritas Vorarlberg und der Kunstuniversität Linz, Studienzweig Industrial Design. In einem partizipativen Projekt mit Jugendlichen in den Jugendbeschäftigungszentren „Startbahn“ in Feldkirch und Bludenz sollen diese wie weitere Ideen umgesetzt, produziert und unter einem eigenen Label vertrieben werden. Die Ressourcen dafür kommen insbesondere aus dem Caritas-Kleidersortierwerk „carla Tex“ in Hohenems, wo pro Woche rund 50 Tonnen Textilien aus 400 Sammelcontainern landen. Eine große Fundgrube, wie die Studierenden bei der Recherche feststellten, und dann aus unterschiedlichsten Stoffen, die sie vorfanden, Konzepte für Produkte schmiedeten: Dass dabei durchaus auch Pulpe für Papier entstehen kann, ist eine der Beobachtungen, die das Team machte – und eine weitere, dass dessen Herstellung auch für Jugendliche an den „Startbahn“-Standorten möglich und mit Spaß verbunden ist. Jetzt wird es mit der Umsetzung ernst: als Weiterentwicklung, wie das Plus am Ende des Projektnamens signalisiert.
Die Studierenden im Kleidersortierwerk „carla Tex“.
Schön trotz Schrammen
Begonnen habe alles mit einer ersten Idee bei einer Veranstaltung zur Wanderausstellung „beyond aesthetics“ der Studienrichtung Industrial Design, schildert Walter Schmolly, Caritas-Direktor in Vorarlberg, und betont den grundsätzlichen Gedanken hinter den „Startbahn“-Standorten in Vorarlberg, die es seit 2007 gibt und die dann aufgrund der Nachfrage auf 24 Plätze erweitert wurden: Sie geben Jugendlichen die Möglichkeit, vor Ort handwerklich zu arbeiten und dafür unmittelbar Lohn zu bekommen. „Es passiert, dass Jugendliche am Übergang von der Schule zur Erwerbsarbeit den Faden verlieren. Für sie gestalten wir eine Umgebung, die es möglich macht, nächste Schritte Richtung Erwerbsarbeit zu gehen“, sagt er. Das Prinzip: Man kommt, wird tätig und bringt sich ein, kann etwas herstellen und gleichzeitig eigene Lebensthemen und Krisen bearbeiten – neben Arbeitsanleitung finden die jungen Menschen dort auch ganz nebenbei Sozialarbeit und pädagogische Beratung. Der Kern sei, „möglichst wertige Arbeit anzubieten“, wie Schmolly erzählt, mit einem starken Akzent auf Kreislaufwirtschaft: „So sieht man schon in diesem Alter, wie Nachhaltigkeit, aber auch das Leben funktioniert: Auch wenn etwas schon seine Spuren und Schrammen hat, kann man es als Material für etwas Neues verwenden und es kommt wieder etwas Schönes heraus.“
Schönheit – ein Stichwort, das auch den Studiengang Industrial Design beschäftigt. Innovatives Design sei mehr als Ästhetik, bemerkt Elke Bachlmair, die als Professorin an der Uni Linz das Projekt „Startbahn+“ betreut – es unterstützt idealerweise nachhaltige, gesellschaftliche Transformation. So stellte sich bei dem Event schnell heraus, dass die Prozesse in der „Startbahn“ und an der Universität gut zusammenpassen. „Wir wollten also herausfinden, was dort Begeisterung auslöst“, so Bachlmair.
Partizipative Versuche
Die Reintegration in der „Startbahn“ sei von Projekten abhängig, die motivieren und von den Jugendlichen und Betreuenden vor Ort gut umsetzbar seien, betonen Bachlmair und Schmolly. Daher startete die Projektgruppe eine Recherche: Welche Ressourcen hat die „Startbahn“, welche Verfahren lassen sich mit Textilien aus dem Fundus von „carla Tex“ umsetzen? Vier Studenten und drei Studentinnen meldeten sich zur Mitarbeit, und auch Florian Sametinger, Designforscher mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit an der Uni Linz, stieg ein; gemeinsam besuchte die Gruppe Caritas-Standorte in Vorarlberg. „Es hat uns schnell fasziniert, was bei ‚carla Tex‘ in großen Mengen da ist. Ganze Säcke voller Socken, Sachen wie Bettwäsche, die gute Qualität haben, aber nicht mehr zu verkaufen sind“, so Bachlmair. Dabei fanden sie etwa heraus, dass aus textilen Naturfasern – wie Leinen der Bettwäsche oder Baumwolle in Jeans – eine Wiederverwertung zu Lumpen und schließlich zu Papier möglich ist: Man müsse sie nur kleinschnipseln und in Bottichen einweichen, dann Papierpulpe schöpfen und daraus zum Beispiel Formen pressen. Laura Übertsroider konzipierte beispielsweise allerhand aus Jeans-Papier: Kappen, Körbe, Notizbücher, Schlapfen. „Wir haben dabei nicht einfach in unserem Atelier Dinge entworfen, die die Jugendlichen dann ausführen müssen. Sondern partizipativ mit Betroffenen und Betreuenden in der ‚Startbahn‘ bei einem Workshop herauszufinden versucht, was für sie funktioniert“, betont Bachlmair. Das Ergebnis umfasst nun unterschiedliche Techniken, die die Jugendlichen selbst ausführen können: Siebdruck soll aus gebrauchtem Textil neuwertiges machen; aus Bestandteilen alter Hemden sollen kleine Taschen genäht werden; gar die Methode Rundstrick mit einer großen „Strickliesel“ ist angedacht, um etwa Bezüge für Sitzpolster oder einen Schaukelstuhl zu kreieren. Polsterungen aus Alttextilien gesellen sich zu Sesselentwürfen, Kleiderbügel zu einem „Faserflitzer“, einem Spielzeugauto aus gepresstem Textil.
Die Materialverarbeitungs-Experimente haben mit den Produktideen der Studierenden erst ihren Beginn genommen, im nächsten Schritt starte das Projekt so richtig los, sagt Bachlmair: Wenn die Jugendlichen sich unter Anleitung an der Umsetzung versuchen. Das soll großteils (bis auf wenige Kooperations-Partnerbetriebe) in den „Startbahn“-Standorten passieren. „Gegenseitiges Lernen“, nennt das Schmolly, der meint: Neben dem Materialkreislauf gehe es auch um wirtschaftliches Kreislaufdenken. „Das Projekt ist von Seiten des Landes mitfinanziert, aber einen Anteil müssen wir selbst erwirtschaften. Es wird also auch ein wichtiger Teil sein, dass die Produkte, die in der ‚Startbahn‘ entstehen, unter einem eigenen Label verkauft werden – und dass die Jugendlichen sehen, wie man selbst erarbeiten muss, was das Leben kostet.“ Dann wird das Projektteam wohl bald in professionelle Ausrüstung für die Produktentwicklung investieren können: darunter in einen sogenannten Holländer für das Papierschöpfen, der den jetzt verwendeten Stabmixer ablösen wird.
Weitere Informationen:
id-linz.at, carla-vorarlberg.at/aktuell