„Jede und jeder trägt einen Teil zum Ganzen bei“

Ursula Stauss im Hotel Altstadt in Wien. Foto Ursula Röck

Ursula Strauss ist viel mehr die TV-Kommissarin Angelika Schnell. Die Schauspielerin über Größe und Größenwahn ihres Metiers und die Frage, ob das Leben eine Baustelle sei.

Von Wolfgang Paterno

Ursula Strauss zählt zu Österreichs bekanntesten Schauspielerinnen. Geboren 1974 im niederösterreichischen Melk an der Donau, machte sie zunächst eine Ausbildung als Kindergärtnerin, bevor sie von 1993 bis 1996 die Schauspielschule am Wiener Volkstheater absolvierte. Es folgten verschiedene Rollen auf der Bühne des Theaters am Arthur-Schnitzler-Platz, am Theater in der Josefstadt oder am Klagenfurter Stadttheater. Für ihre Hauptrolle in Götz Spielmanns Schuld-und-Sühne-Kinodrama „Revanche“ (2008) wurde Strauss beim Grazer Filmfestival „Diagonale“ mit einem Spezialpreis ausgezeichnet; für ihre Darstellung in Elisabeth Scharangs Antikriegsfilm „Vielleicht in einem anderen Leben“ (2012) gewann sie den Österreichischen Filmpreis. Seit 2009 ermittelt Strauss in der TV-Krimiserie „Schnell ermittelt“ als Kommissarin Angelika Schnell. 2020 debütierte sie gemeinsam mit dem Wiener Sänger und Songwriter Ernst Molden auf dem Album „Wüdnis“ als Sängerin.

Frau Strauss, vor knapp 30 Jahren erreichte ein Film die Kinos, dessen Titel behauptete, das Leben sei eine Baustelle. Einverstanden?

Ursula Strauss: Es scheint mir unpassend zu sein, unser Dasein auf eine Baustelle zu reduzieren, und sei’s auch nur im übertragenen Sinne. Solche Kategorisierungen erweisen sich am Ende stets als einschränkend und eindimensional. Das Leben ist das Leben ist das Leben.

Jahrzehnte zuvor stellte US-Regisseur Frank Capra die Frage: Ist das Leben nicht schön?

Absolut. Das Leben ist wunderschön, ein großes Geschenk. Was gibt es Schöneres, als auf Bäume und Wiesen zu schauen? In die Weite des Himmels? Was übertrifft das Zusammensein mit geliebten Menschen, ihnen beim Reden und Lachen zuzusehen? Gar nichts! Leben ist zugleich Herausforderung – und kein Kindergeburtstag. An dieser Stelle sei die Metapher erlaubt: Jede unserer Lebensbaustellen fügt entweder Steine hinzu oder reißt jene weg, die wackeln, die im Gesamtgefüge nicht gut arrangiert sind. Insofern ist Leben ein unaufhörlicher Lernprozess, der für Entwicklung sorgt.

Ihr Vater war Bürgermeister in Niederösterreich. Politik als die Kunst des Miteinanders lernten Sie von Kindesbeinen an kennen.

Als Jugendliche konnte ich damit wenig anfangen, weil mein Vater durch sein Amt plötzlich sehr im Fokus stand, was mir gar nicht recht war. Je älter ich aber wurde, desto mehr lernte ich zu schätzen, welche Art von Politiker mein Vater war: Er dachte und agierte, seiner Zeit weit voraus, nachhaltig, als davon noch keine Rede war. Mein Vater setzte viele innovative Schritte für die Stadtgemeinde Pöchlarn, deren Bürgermeister er war. Er dachte auch über seine eigene Amtszeit hinaus, was vielen Politikerinnen und Politikern von heute gut anstehen würde.

Welcher Satz Ihres Vaters in seiner Funktion als Bürgermeister ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

„Ich kann nicht jeder und jedem helfen – ich kann aber jedem zuhören.“ Die Menschen im Ort schätzten diese Art der Anerkennung. Sie fühlten sich ernst genommen und respektiert. Er arbeitete im Dienste der Gemeinschaft.

Eine inzwischen nicht mehr ganz selbstverständliche Tugend. Können Sie die allenthalben konstatierte „Politikverdrossenheit“ nachvollziehen?

Ich wurde durch meinen Vater unter anderem darin geprägt, was gesellschaftspolitische Themen, das große Ganze betrifft. Politikerinnen und Politiker sind gewissermaßen die Angestellten des Staates. Es passieren auf politischer Ebene aber immer wieder Dinge, die zutiefst unrecht- und unbotmäßig sind, sogar amoralisch und kriminell. Als Angestellter einer Firma dürfte sich Otto und Ottilie Normalverbraucher keine dieser Machenschaften erlauben! Die Grenze des guten Geschmacks wird in der Politik leider allzu häufig übertreten.

Ist das Private politisch?

Alles ist Politik, nicht nur das Private.

Große Frage: Sind Sie erfreut, erstaunt, empört, enttäuscht über die Menschheit im 21. Jahrhundert?

Alles auf einmal. Das Hauptproblem unserer Zeit? Tempo! Wir werden von der Technik heillos überrannt. Weder Politik, Gesellschaft noch das einzelne Individuum vermögen in auch nur halbwegs angemessener Geschwindigkeit auf die neuen Technologien zu reagieren. Das Internet ist eine weitgehend rechtefreie Zone – was einem durchaus Angst einjagen kann. Die Klimakrise wird uns weiter massiv beschäftigen. Es tickt die Uhr.

Auf Facebook datiert Ihr letzter Eintrag aus dem Jahr 2015.

Das ist einer der vielen Fake-Accounts. Ich bin nicht auf Facebook. Berufsmäßig nutze ich nur noch Instagram. Das Konto eröffnete ich auf sanftes Drängen meines PR-Agenten, um in den sozialen Medien präsent zu sein – einhergehend mit dem Gelübde, mich davon keinesfalls versklaven zu lassen. Wenn ich keine Lust dazu habe, lasse ich Instagram links liegen. Ich poste nur, wenn’s mir Spaß macht.

Großen Spaß dürfte Ihnen Ihr Beruf bereiten. Immerhin bestreiten Sie Ihre Arbeitstage vorrangig damit, zu spielen.

Es ist ein großes Privileg, als Schauspielerin arbeiten – sprich: spielen – zu dürfen. Jedes einzelne Mal, wenn ich mich diesem Spielprozess aussetzte, lernte ich unendlich viel über mich selbst und andere, über das Leben und die Menschen.

Die meisten Menschen lassen das Spielen spätestens mit Eintritt ins Erwachsenenalter bleiben.

Ich darf immer weiterspielen, was herrlich ist! Ich verliere dadurch neben vielem anderen die Angst vor dem Gegenüber. In unserer Gesellschaft herrschen häufig Misstrauen und Distanz, ein Gefühl tiefer Unsicherheit. Beim Spielen für Film und Theater lässt sich dieses Dilemma überwinden, ja, fast schon „überfliegen“.

Friedrich Schiller wusste bereits, dass der Mensch nur dort Mensch sei, wo er spiele …

… worin ich mit ihm vollkommen übereinstimme.

Was ist das Handwerk einer Schauspielerin? Was ist deren Magie?

Das Handwerk besteht darin, sehr genau über die Instrumente Bescheid zu wissen: Körper und Stimme, Fantasie, Herz und Hirn.

Die körperliche Fitness ist keinesfalls zu missachten.

Der Beruf ist anstrengend! Das Spiel auf der Bühne und vor der Filmkamera ist am Ende ein hochkomplexer Prozess. Ich erzeuge und kultiviere zugleich ein Bewusstsein dafür, dass ich spiele. Gleichzeitig muss ich alles loslassen und mich öffnen können, was wiederum auf beinahe magische Weise passiert. Wenn ich irgendwann verstehen sollte, wie der Beruf der Schauspielerin tatsächlich in all seinen Facetten funktioniert, dann werde ich mein Metier wohl an den Nagel hängen müssen. Es gibt bekanntlich mehrere Dinge zwischen Himmel und Erde, die nicht restlos erklärbar sind. Genau das merke ich beim Vorgang des Schauspielens.

Sie wollen in dieser Hinsicht gar nicht alles verstehen.

Auf keinen Fall. Weil mein Beruf, aber auch bezogen auf das Leben, sonst jedwede Magie verlöre. Zauberer und Zauberei liebe ich seit Kindertagen.

Weshalb verbindet sich Größe gerade im Metier des Schauspiels häufig mit Größenwahn?

Der Beruf macht es einem nicht immer leicht, den Spagat zwischen Rollenarbeit und Alltag hinzubekommen. Da kann es schon manchmal passieren, dass man in die eine oder andere Egomaniefalle tappt. Dabei sollten wir alle nicht vergessen, dass der Beruf ein Privileg ist und wir den Zuschauern und den Geschichten dienen – und sich dabei nicht größer zu fühlen, als man tatsächlich ist, ist eine fortwährende Aufgabe. Aber unter uns gesprochen, der Größenwahn ist in der Industrie viel weiter verbreitet, sehen Sie sich Trump, Musk oder Benko an. Unser Metier ist im besten Sinne eine Liebesangelegenheit: Ich nehme und gebe gleichermaßen. Es geht darum, die Balance zwischen der eigenen Unwichtigkeit und der Größe und Wichtigkeit der Kunst zu akzeptieren.

Die Kunst ist das Wichtigste?

Keinesfalls. Sie stellt im Weltgefüge eine weitere Möglichkeit dar. Sie kann uns dabei helfen, unser Da- und Hiersein besser zu begreifen. Gewiss, der Unterschied zwischen Kunst und Leben ist zuweilen äußerst signifikant. In einer restlos ausverkauften Halle auf der Bühne zu stehen und das Publikum zu unterhalten und anschließend nach Hause oder ins Hotel zu gehen, grenzt an einen absurden Vorgang: auf große Show folgt gewöhnlicher Alltag, das eine ist ein Ausflug vom anderen – und umgekehrt. Ich will dabei aber nie dem Irrglauben verfallen, ich bin selbst derart wichtig.

Schauspielerinnen und Schauspieler sind gewissermaßen Kunstübersetzer.

Genau. Die Arbeit auf einer Bühne oder vor der Kamera verstehe ich sehr verantwortungsvoll: Ich erzähle als Stellvertreterin Geschichten von uns allen. Deshalb bin ich aber nicht mehr oder weniger wert als ein Postbote, eine Ärztin, ein Straßenkehrer oder eine Universitätsprofessorin. Jede und jeder trägt einen Teil zum Ganzen bei. Wenn wir Kunst als künstlichen Raum verstehen, in dem wir uns außerhalb der Konventionen erfahren können, dann stellen wir Schauspielerinnen und Schauspieler uns als Stellvertreter darin zur Verfügung.

Mögen Sie den Alltag?

Ja. Wenn ich ihn nicht mögen würde, müsste ich mir eingestehen, dass ich mein Leben nicht mag.

Gemeinsam mit dem Wiener Sänger und Songwriter Ernst Molden veröffentlichten Sie die Alben „Wüdnis“ (2020) und „Oame Söö“ (2022). Traurig darüber, nicht Rock’n’Rollerin geworden zu sein?

Überhaupt nicht. Ich bin über gar nichts traurig, was meinen künstlerischen Weg betrifft. Bevor ich Ernst getroffen habe, hätte ich mich als Sängerin wohl nie auf eine Bühne gewagt. Er streckte mir zum richtigen Zeitpunkt die Hand entgegen. Letztlich ist ja alles Musik: der Umgang mit dem geschriebenen Wort, das Spielen einer Szene, was wiederum Rhythmus und Pausen folgt. Szenen stimmen nur dann, wenn sie im richtigen Rhythmus gespielt werden.

Was wünschen Sie sich für die kommenden Jahre?

Ich war nie ein Mensch großer Erwartungen, stürzte mich stets in den Moment. Insofern war und bin ich nicht enttäuscht von etwas, das sich nicht erfüllt hat. Im Gegenteil: Ich empfinde all das als großes Geschenk, was zu mir gekommen ist. Ich bin gespannt auf alles, was noch passieren darf und wird.


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