„Jeder Figur ein klangliches Universum geben“

Gerd Hermann Ortler im Cafè Westend in Wien. Foto Petra Kamenar

Inmitten des Schaffensprozesses für „Wolf – das Mystical“, treffen wir den Südtiroler Komponisten Gerd Hermann Ortler, der uns exklusive Einblicke gibt in das Stück, das eines der größten Spektakel und aufregendsten Kulturerlebnisse des Jahres werden dürfte.

Von Julia Heuberger-Denkstein

„Wolf“ ist der Höhepunkt des Wolfgangjahres, das an die Geburt des Heiligen vor 1.100 Jahren erinnert. Gibt es etwas, das Sie an Wolfgang besonders fasziniert?

Gerd Hermann Ortler: Dieser Wolfgang muss ein unglaublich vielschichtiges und abwechslungsreiches Leben gehabt haben. Aus einfachsten Verhältnissen kommend hat er es bis zum Bischof von Regensburg und zum Heiligen gebracht. Das ist schon eine bemerkenswerte Leistung. Dass wir nicht so viel über ihn wissen, macht ihn zu einer idealen Figur für ein musikdramatisches Werk. Dadurch bekommen wir Raum für Fantasie und Interpretation.

Und zwar welchen?

Wolfgang liefert uns das gesamte Universum des sehr gläubigen, religiösen, mystischen Mittelalters, aber auch die Möglichkeit, heutige Dinge in ihm zu sehen. Unser Wolfgang ist ein Mensch, der kein Heiliger werden will und sich sogar sein Leben lang dagegen wehrt. Das Interessante ist der Weg dieses Menschen hin zu dem, was dann die Leute in ihm gesehen haben.

Der Legende nach paktierte Wolfgang für den Bau seiner Kirche mit dem Teufel. Ist das nicht eigenartig für einen Heiligen?

Ja! Vielleicht war er gar nicht der vom Himmel gefallene Heilige, sondern ein ganz normaler Mensch mit Widersprüchen aber starken Idealen, der sich erst im Zusammenspiel mit dem Teufel zu einem Heiligen entwickelt hat. Er muss jedenfalls so gewinnend gewesen sein, dass er für viele Menschen zur Projektionsfläche, zum Heiligen geworden ist. Interessant ist auch die Frage, was die Sehnsucht des Volks nach einem Idol, einer Identifikationsfigur oder eben Heiligen aus einem macht – auch wenn man das vielleicht gar nicht will. Das ist aktuell – damals wie heute.

Sie sagten einmal, Sie wollen die Persönlichkeit des Wolfgang neu denken – und das entsprechend komponieren. Können Sie uns dazu schon etwas mehr verraten?

Wir benutzen die historisch belegte Legende als Leinwand mit gewissen Meilensteinen und dazwischen toben wir uns aus. Das Publikum will ja keinen vertonten Wikipedia-Artikel vorgesetzt bekommen, sondern einen Menschen erleben, mit dem man sich identifizieren kann. Deshalb muss man ihn mit Blut und Leben füllen.

Wie sieht das musikalisch aus – Blut und Leben? Sie sind bekannt dafür, die Essenzen verschiedener Genres und Kunstformen zu mischen. Für welche haben Sie sich in „Wolf“ entschieden?

Das Ziel ist eine möglichst facettenreiche Tonsprache. In „Wolf“ wird es ein Miniatur-Orchester geben, das aus drei Komponenten besteht: Aus Bläsern, die man im klassischen Stil, aber auch als Mini-Bigband einsetzen kann. Ein Streichquartett, das ebenfalls klassisch für großartige, sphärische Klänge, aber auch für Perkussives einsetzbar ist. Zudem wird es eine Band geben, bestehend aus Schlagzeug, Bass, Keyboard und Gitarre, mit der das ganze Jazz-Rock-Pop Genre abgedeckt wird. Mit diesen Bausteinen kann ich unterschiedliche Kombinationen darstellen, die es mir erlauben, ein breites klangliches Universum auszukosten. Sie sehen schon an meiner Formulierung, wie sehr ich das genieße!

„Wolf“ ist ein Mystical, also eine Art mystisches Musical? Was darf man sich darunter vorstellen?

Die Figur hat einen mystischen Vorhang. Die Geschichte liegt im Dunkeln der Vergangenheit und auch die Zeit, das Mittelalter, die Gregorianik, der sinnliche Glaube, das Kloster versprühen das. Die Gregorianik ist deshalb ein wichtiger Impulsgeber für meine eigenen Ideen. Deshalb wird neben dem Miniatur-Orchester auch die Orgel eine wichtige Rolle spielen. Eine Sache, die ich aus meiner letzten Komposition „Urknall“ im Konzerthaus mitgenommen habe. Und die Orgel passt ja auch sehr gut zum Sakralen in „Wolf“.

Also bleiben Sie sich und Ihrer Vielfältigkeit treu?

Wir leben in einer Zeit, in der es schwierig ist, etwas Neues zu machen, da sehr viel schon passiert ist. Aber was an unserer Zeit einzigartig ist, ist die Verfügbarkeit aller je dagewesenen Stile und Instrumente. Es ist, als hätten wir ein riesiges Buffet vor uns. Als Kind dieser Zeit lasse ich diese ganzen Eindrücke einfließen und formuliere daraus meinen eigenen Dialekt. Das ist die Sprache, die ich spreche. Aber worum es mir wirklich geht, ist die Haltung, welche die Musik ausdrückt, und natürlich, ob Musik berührt.

Welche Haltung drückt Ihre Musik aus?

Für mich geht es um möglichst große Offenheit auf der einen und um das Feiern des Individuums auf der anderen Seite. In meiner Musik soll sich jemand, der auf Rock steht, genauso wiedererkennen können, wie jemand, der die Klassik liebt. Im Idealfall kann man sich so auch selbst reflektieren und erkennen, dass alles nicht so grenzbetont ist, wie man vielleicht oft meint. Das hat auch wieder mit dem Wolfgang zu tun, der ja eine Integrationsfigur ist.

Wie entstehen Ihre Kompositionen, wie sind Sie an den Schaffensprozess für „Wolf“ herangegangen?

Am Anfang steht die Suche nach Impulsen und was mich am Thema und der Geschichte inspiriert. Ich setze mich intensiv mit den historischen Begebenheiten, der Zeit, der Epoche, dem ganzen Universum auseinander, um erst einmal ein Gefühl zu bekommen. Und aus diesem Gefühl heraus, kann ich kreativ werden. Die Arbeit an einem musikdramatischen Werk ist besonders, da es auch ein Libretto, eine Dramaturgie, Figuren und Themen gibt, die interagieren und kommunizieren, verschmelzen und sich weiterentwickeln. Das ist für mich sehr spannend: Jeder Figur ihren kleinen Kosmos zu geben, sie dann aufeinander loszulassen und zu schauen, was passiert.

Apropos Libretto. Wie ist die Zusammenarbeit mit Franzobel, der ja den Text für „Wolf“ schreibt und ein ähnlicher Andersdenker ist, wie Sie. Gibt es gegenseitige Inspiration?

Franzobel und ich haben uns auf Anhieb gut verstanden. Gleich nachdem ich seine ersten Texte bekommen habe, ist etwas Interessantes passiert: Jeder Satz hat mir Impulse für meine Musik geliefert. Das ist ein Glücksfall. Wir haben über der professionellen Ebene mittlerweile auch eine persönliche erreicht – und sogar Silvester zusammen gefeiert. Gerade wenn man Text in Musik übersetzt und umgekehrt, braucht man gegenseitigen Respekt und Wohlwollen – den haben wir. Noch. (Lacht.)

Haha! Wie lange sollte das noch anhalten? Was können die Leute von „Wolf“ erwarten?

Wir sind mitten in der Arbeit, gerade komponiere ich das Schlusslied um, weil ich dafür von Franzobel einen neuen Text bekommen habe. Am 23. Mai 2024 ist die Uraufführung und es wäre kein Mystical, wenn es nicht ein Mysterium um das Ganze geben würde. Sicher aber ist, dass es für die Zuschauer ein ganz großes Erlebnis wird.

Wie sehen Sie ihren jetzigen Ur-Aufführungsort, direkt am Wolfgangsee, unter der Klause des Wolfgang und die von Architekt Edi Neversal geplante hochmoderne Bühne, die rückstandsfrei abgebaut und an anderen Orten und in anderen Dimensionen wieder aufgebaut werden kann?

Ich sehe es als Privileg, ein Stück für eine eigens konstruierte Bühne komponieren zu dürfen. Das ist fast wie bei Wagner! Die einzigartige Landschaft, die den emotionalen Rahmen für das Erlebnis bietet, die Bühne, das Stück, die Musik – alles wird bewusst inszeniert. Man kommt mit dem Schiff über das Wasser zum Ort des Geschehens. Nach der Aufführung fährt man im Dunkeln wieder retour. Für mich das Beste: Im Schiff gibt es sogar eine Bar! Es wird ein holistisches Erlebnis, ein durchinszenierter Abend, der aus vollem Herzen zelebriert werden kann. 


„Wolf – Das Mystical“ wird von 23. Mai bis 22. Juni 2024 in Ried-Falkenstein am Wolfgangsee auf der eigens konstruierten, mobilen und vollüberdachten Seebühne gespielt. Nähere Infos, auch zur Anreise mit dem Schiff, und Tickets gibt es unter wolfmystical.at


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