Junge Architektinnen im Leadership

Nadine Fankhauser studiert Architektur an der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich. Die 25-jährige Baslerin erhielt ihren Bachelor im Frühjahr dieses Jahres und arbeitet nun als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Netzwerk für Stadt und Landschaft (nsl) der ETHZ im „Urban Transformation Project Sarajevo“ von Prof. Hubert Klumpner. Im Interview spricht sie über die Zukunft des Bauens. Von Daniela Egger

Du kommst gerade von einer spannenden Tagung, die dich inspiriert hat – wo warst du?
Das stimmt, ich war auf der „Urban Future Conference” in Stuttgart – dort treffen sich bis zu 3.000 Städteplaner, Politiker und Politikerinnen und Fachleute rund um das Thema nachhaltige Stadtentwicklung. Ich durfte als eine von 50 „Young Leaders” aus der ganzen Welt teilnehmen. Dort wurde uns die Möglichkeit geboten, spezifische Workshops und Mentoring zu erhalten im Bereich Stadt und Leiterschaft und in Austausch mit internationalen Führungspersönlichkeiten zu kommen. Es war ermutigend, diesen Geist des „gemeinsam vorwärts“ zu spüren.

Wie siehst du die Zukunft des Bauens – wohin geht die Reise?
Eine große Frage. Ganz generell auf die Schweiz und größtenteils Europa bezogen, werden wir – und sind wir auch schon heute zunehmend – weniger damit beschäftigt sein, Neues zu bauen, sondern Bestehendes zu sanieren und umzubauen. Die Schweiz ist schon gebaut. Ich hoffe zumindest, dass die Bewegung zum Erhalt und Umdenken von Bestehendem zunimmt und die Bauaktivitäten abnehmen. Zudem wird auch die Frage, aus was wir bauen, relevanter. Wir werden vermehrt die Stadt als Ressource nutzen, im Rahmen des sogenannten „Urban Mining“, denn wir haben dort sehr viele wertvolle und wiederverwendbare Baustoffe gelagert, die bis heute meist unnötigerweise in Deponien enden.

Wie sieht dein zukünftiger Beruf aus?
Ich denke, mit Blick auf eine zunehmend vernetztere Welt werden Architekten und Architektinnen wieder stärker ihre Fähigkeiten als Generalisten wahrnehmen müssen. Es ist einer der wenigen Berufe, deren Natur die Interdisziplinarität und Vielfältigkeit ist. Da die Probleme von heute und der Zukunft nicht rein technische und wirtschaftliche sind, sondern auch kulturelle, glaube ich, dass wir vermehrt auch Übersetzungsarbeit zwischen verschiedenen Akteuren leisten werden. Ich setze viel Hoffnung auf Architekturschaffende, da ich glaube, dass sie oftmals die Fertigkeiten mitbringen, aus vielen Aspekten eine Einheit zu schaffen.

Wie lässt sich der CO2-Abdruck des Bauens reduzieren, gibt es dazu neue Konzepte und Innovationen?
Ich glaube, es herrscht eine starke Misskonzeption, dass wir noch nicht auf dem Stand sind, nachhaltig zu bauen. Doch eigentlich ist eine Antwort ziemlich einfach: „reduce – reuse – recycle”. Zuerst sollten wir ganz allgemein unsere Bauaktivitäten reduzieren, denn oft macht es ökologisch und – wenn clever gelöst – auch ökonomisch mehr Sinn, einen Bestand umzunutzen und bei Bedarf umzubauen, statt einen Ersatzneubau hinzustellen. Zudem können wir, statt neue Ressourcen in Umlauf zu bringen, die schon verbauten Materialien wiederverwenden. Beim Recyceln von Materialien ist es wichtig, dass die Stationen in relevanter Nähe sind, um große Transportemissionen zu vermeiden.
Das Problem, dem wir hier oft begegnen, ist das sogenannte „nimby”, was für „not in my backyard” steht. Die meisten Leute sind dafür, dass wir recyceln, doch niemand möchte eine lärmende, staubende Anlage in seiner unmittelbaren Nähe oder Sicht haben. Es braucht ein gesellschaftliches Umdenken in diesem Bereich, ein Aufopfern gewisser Komfortnormen, sowie ein Weiterdenken solcher Infrastrukturen. Trotz Wiederverwendens werden wir in absehbarer Zukunft nicht auf neue Bauplätze und Ressourcen verzichten können. Hier gilt dann „rethink”. Wir müssen also Gebäudekonzepte und Materialien hinterfragen und wo immer möglich lokale, erneuerbare und langhaltige Alternativen wie zum Beispiel Lehm oder Holz verwenden. Beim Beton gibt es heutzutage schon tolle Innovationen, die den CO2-haltigen Zement durch Alternativen ersetzen oder eben Recycling-Beton. Dieser kann über sechs Mal wiederverwertet werden, das heißt, das Material kann voraussichtlich mindestens bis zu 300 bis 400 Jahre im Kreislauf bestehen, was viel besser ist, also Beton nach dem Abriss in eine Deponie zu werfen und wertvolle Materialien und Platz zu verschwenden.

Wie sehen die CO2-Emissionen des Bauens im Vergleich mit anderen Bereichen aus?
Es ist wichtig zu verstehen, dass es nicht nur die Architektinnen und Architekten sind, die bauen. Solange es für Investoren profitabler ist, große, teure Neubauwohnungen aus Glas und Beton zu bauen, sind auch den Planern die Hände gebunden. Nachfrage bestimmt den Markt. Mit jedem Lebensmittel, das wir einkaufen, stimmen wir quasi ab. Genauso ist es auch in der Architektur: Wenn wir als Paar eine 200-Quadratmeter-Wohnung in einem modernen Neubau mit großen Glasfenstern kaufen und dazu noch eine Ferienwohnung besitzen, die nur jeweils vier Wochen im Jahr bewohnt ist, dann hat dies eine viel stärkere Konsequenz für das Klima und die Umwelt als ein Flug. Fliegen wird heutzutage extrem verurteilt – wir versuchen, es zu vermeiden und das ist richtig. Aber wenn wir es in Relation setzen mit dem Bauen, dann frage ich mich, wann wir endlich realisieren, dass Fliegen nur einen Teil der CO2-Emissionen ausmacht, die Baubranche jedoch zu knapp 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen beiträgt.

Kennst du genaue Zahlen?
Ich kann dir ein Beispiel nennen: Ein Flug von Zürich nach New York braucht zirka 1.000 Kilogramm CO2 pro Passagier, was extrem viel ist. Bei einem konventionellen Neubau liegen die verbauten CO2-Emissionen im Lebenszyklus von 50 Jahren im Schnitt etwa bei 650 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter. Mit dem Schweizer Durchschnittsverbrauch von 46 Quadratmetern pro Person verbraucht allein das Verbauen eines Gebäudes über 29.200 Kilogramm CO2 pro Person auf 50 Jahre gerechnet. Damit könnten wir fast 30 Mal von Zürich nach New York fliegen. In diesen Berechnungen sind noch keine operativen CO2-Ausstöße des Gebäudes miteinbezogen, welche ungefähr dreimal so viel wie die Verbauten ausmachen. Ich finde es fragwürdig, dass sich scheinbar niemand bewusst ist, dass die gebaute Umwelt, in der wir über 90 Prozent unserer Lebenszeit verbringen, einer der größten Klimawandelförderer ist. Solange es hier keine gesellschaftsweite Bewusstseinsverschiebung gibt, können unsere Städte nicht nachhaltig werden.

Wie werden wir in Zukunft mit den Themen Einsamkeit und neue Wohnformen umgehen müssen, damit wir als Gesellschaft die drängenden sozialen Probleme bewältigen können?
Bis zur Pandemie gab es bei uns an der ETH einen Trend, neue kollektive Wohnformen zu erforschen. Verdichtung in den Städten, Clusterwohnungen und Generationenwohnen waren legitime Hoffnungsträger und schienen drei große Probleme unserer Gesellschaft zu lösen: den zunehmenden Platzverbrauch zu reduzieren, der Einsamkeit entgegenzuwirken und zahlbaren Wohnraum in Städten zu generieren. Dann kam die Pandemie und plötzlich stiegen die Preise der Einfamilienhäuser in den Vorstädten rasant an. Viele träumen wieder vom Eigenheim mit Garten. Von einem Tag auf den anderen waren kollektive und platzsparende Wohnformen doch nicht mehr so begehrenswert.
Das Problem der Einsamkeit ist sehr komplex und eines, dem die Architektur nur bedingt entgegenwirken kann, da sie nicht die Ursache des Problems ist. Als Ursprung der Einsamkeit sehe ich die Globalisierung und Digitalisierung und den Verlust von Traditionen und Werten. Wir leben in einer individualistischen Gesellschaft, in der die persönliche Freiheit als Ideal gelebt wird. Wir möchten unabhängig und flexibel sein, bezahlen dafür jedoch mit dem Preis des Gefühls der Zugehörigkeit. Die Architektur kann immer nur bis zu einem gewissen Grad mitgestalten, schlussendlich ist sie ein Abbild der Gesellschaft.

Kennst du Konzepte und Bauweisen aus anderen, vielleicht auch wirtschaftlich ärmeren Ländern, die inspirierend wirken?
Es gibt sehr viele gute Beispiele, solche Gebiete müssen oftmals besser mit ihren Ressourcen umgehen und bauen deshalb oft kreativ und effizient. Zum Beispiel werden in Regionen in Indien, die wegen des Klimawandels fluktuierende Fluten haben, mit recyceltem Müll adaptiv schwimmende Häuser gebaut. Von diesem ressourcenschonenden und innovativen Denken können wir viel lernen. Aus demselben Grund – dass sie gewissermaßen gezwungen sind, effizient zu sein – finden wir in diesen Gebieten auch heute noch vermehrt eine Architektur, welche aus den Traditionen der Region entsteht und lokale Baumaterialien und Formen nutzt. Es ist nicht so, dass wir in der Schweiz oder Europa keine traditionelle Architektur hätten, aber durch unseren Reichtum wurde es uns zunehmend auch möglich, Materialien und Wissen von weither zu importieren. So gingen nicht nur viel Tradition und Kultur verloren, sondern auch wirklich logische und grundsätzliche Überlegungen des Bauens, die auf die Region zugeschnitten sind und Gebäude nachhaltig machen.

Hast du eine Vision, wie dein Arbeitsalltag aussehen soll, wenn du deine Ausbildung fertig hast?
Ich habe eine Ahnung, ja, kann mein Berufsbild jedoch noch nicht ganz fassen. Ich sehe mich als interdisziplinäre Kreative, die gerne multiperspektivisch denkt und gesamtheitliche Lösungsansätze sucht. Ich glaube, dass ich durch meine feinfühlige, differenzierte Art in Kombination mit meiner Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge herunterzubrechen und zu verstehen, gerne als Wissensvermittlerin oder Mediatorin tätig sein möchte. Ich finde es extrem spannend, mich mit Geschichte, Religion, Geografie, Politik und Psychologie auseinanderzusetzen und möchte meine Gaben nutzen, um für hochkomplexe Fragestellungen gestalterische und philosophische Lösungen zu entwickeln, die nachhaltig sind für Mensch, Umwelt und Wirtschaft.

Ist das Thema Nachhaltigkeit an der ETH gut verankert?
Am Departement Architektur werden wir an der ETH nicht als Spezialistinnen und Spezialisten ausgebildet, sondern noch immer polytechnisch als Generalisten. Unsere Stärke besteht darin, durch unsere breitgefächerte Bildung resilient zu sein und so auch Resilienz schaffen zu können. In Anbetracht der Unsicherheiten und des schnellen Wandels dieser Welt, denke ich, dass wenn eine Universität es schafft, resiliente Architekturschaffende auszubilden, sie einen großen und wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit geleistet hat.


Foto: Nadine Fankhauser am Campus der ETH Zürich. Foto Levin Meraner


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