„Klimakiller“ Beton?
Bis zur Jahrhundertmitte möchte die österreichische Zementindustrie CO2-neutral werden. Doch der technologische Fortschritt hinkt hinterher und die Bauindustrie will primär günstig produzieren.
Die globale Zementindustrie verursacht mehr als doppelt so viel CO2 wie der gesamte Flugverkehr. Zement gilt als „Klimakiller“, als umweltpolitischer Buhmann. Umso erstaunlicher, dass derzeit vielerorts vom „grünen Beton“ und vom „nachhaltigen Zement“ zu lesen ist. Fachmagazine versprechen Beton aus Bakterien oder Pilzen; gar Beton, der mehr CO2 einspart, als er bei der Produktion verursacht. Was davon Umweltschutz und was gut platzierte PR ist, darüber scheiden sich die Geister. Fest steht: Um Beton werden wir mittelfristig nicht herumkommen.
Beton ist weltweit der am häufigsten verwendete Baustoff. Aus gutem Grund: er ist beliebig formbar, stabil, feuchteresistent und langlebig. Er kommt bei Gebäuden, Tunnel, Brücken, Flughäfen und Staudämmen zum Einsatz. Beton ist überall. Und seine Folgen für die Natur sind dementsprechend. Acht Prozent der globalen Treibhausgasemissionen entfallen auf die gut vier Milliarden Tonnen Zement, die jährlich hergestellt werden. Dabei gehen neun Prozent des weltweiten industriellen Wasserbedarfs auf das Konto der Betonproduktion. Trinkwassermangel und Dürren können daher vor allem im globalen Süden auch die Folge eines stattfindenden Baubooms sein.
Mit Rund 55 Prozent hat China aktuell den weltweit größten Zementverbrauch, gefolgt von Indien mit acht Prozent. Alleine in den Jahren 2012 bis 2014 wurde in der Volksrepublik so viel Zement verbaut wie in den USA im gesamten 20. Jahrhundert. Hauptverantwortlich für den großen CO2-Fußabdruck von Beton ist der darin enthaltene Zement. Bei dessen Herstellung werden Kalkstein, Ton, Sand und Eisenerz vermahlen und auf 1.450 Grad Celsius erhitzt — ein enorm energieintensiver Prozess. Dabei wird Kalk zu Calciumoxid – und das im Kalkstein gebundene CO2 freigesetzt. Dieser Entsäuerungsprozess ist für den Großteil der CO2-Emissionen verantwortlich – und lässt sich nur schwer umweltverträglich(er) gestalten.
Beim Herstellungsprozess, der sehr hohe Temperaturen benötigt, bestehen Möglichkeiten zur CO2-Reduktion, etwa durch den Einsatz von erneuerbaren Energien. Aber beim chemischen Prozess ist der Spielraum gering, erklärt Franziska Trebut, wissenschaftliche Projektmanagerin bei der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT). Derzeit werde zum einen daran gearbeitet, den Anteil der Stoffe im Beton bzw. im Zement zu verringern, die bei der Herstellung CO2 freisetzen. Zum anderen werde versucht, das entstehende CO2 mithilfe von grünem Wasserstoff umzuwandeln, und mit dem so gewonnenen Kohlenstoff Kunststoff herzustellen. Der technologische Durchbruch aber lässt auf sich warten.
Laut der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ) will die Zementherstellung hierzulande schon bis zur Jahrhundertmitte komplett CO2-neutral sein.
Entsprechend der Pariser Klimaziele soll die Zementindustrie ihren CO2-Fußabdruck bis zum Jahr 2030 um 16 Prozent verringern. Laut der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ) will die Zementherstellung hierzulande schon bis zur Jahrhundertmitte komplett CO2-neutral sein. Doch neben technologischen Hürden ist es die Logik des Markts, die diesem Vorhaben Steine in den Weg legt.
Insgesamt 25 Standorte und 3.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umfasst die österreichische Baumit GmbH europaweit. Hierzulande ist das Unternehmen mit Standorten in Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Kärnten und Tirol ein „Nahversorger“ für die Bauwirtschaft, erklärt Geschäftsführer Georg Bursik.
50 Millionen Euro investierte er in den Produktionsstandort im niederösterreichischen Wopfing. In einem der „saubersten Baustoffwerke der Welt“ entstand 2009 die österreichweit erste Zementmühle für den Ökozement „Slagstar“. Mittlerweile hat Baumit dessen Produktion eingestellt. „Vielleicht war die Zeit dafür noch nicht reif“, bedauert Bursik. Beton aus Ökozement braucht zum Aushärten länger als herkömmlicher Beton. Das passt nicht zur Schnelllebigkeit der Baubranche. Heutzutage müssen Baustellen meist unter Zeitdruck fertiggestellt werden, „ein Ökozement ist da kontraproduktiv“.
Mit dem Recycling-Beton „GO2morrow“ produziert Baumit seit diesem Jahr ein Produkt für Betonarbeiten im Haus- und Gartenbereich, aus 100 Prozent recycelter Gesteinskörnung. Auch dieser ist noch kein Kassenschlager, muss der Geschäftsführer zugeben. Das Feedback sei immer gut gewesen, aber am Ende ist „GO2morrow“ aufgrund der höheren Produktionskosten 30 bis 40 Prozent teurer als herkömmlicher Beton. „Scheinbar noch zu viel für den Konsumenten“.
Zu viel offenbar auch für die öffentliche Hand. Im Koalitionsabkommen von ÖVP und Grünen heißt es zwar, Österreich solle „Spitzenreiter bei Energieeffizienz und der Verwendung von ökologischen Baustoffen“ werden. Gefragt nach einem Zwischenstand heißt es jedoch aus dem Klimaministerium, man könne keinen eindeutigen „quantitativen Fortschritt“ belegen, und verweist auf diverse Projekte, die sich am Vorbild „ökologisches Bauen“ orientieren. Diese bedienen sich der Baustoffe Holz, Zellulose, Stroh, Lehm oder Schafwolle. Nachhaltiger Beton scheint hier nicht die große Rolle zu spielen. Auch liegen dem Ministerium keine Daten vor, wie groß der Anteil nachhaltigen Betons bei öffentlichen Aufträgen derzeit ist oder auch in der Vergangenheit war.
Bei der Ausschreibung öffentlicher Aufträge gilt laut Klimaministerium eine „Berücksichtigung von strengen bauchemischen Emissionsgrenzwerten für 21 Baustoffgruppen“. Empfehlungen, welche Produkte diese Kriterien erfüllen, finden sich im sogenannten „baubook“ für ökologische Ausschreibungen. Für nachhaltigen Beton findet sich dort derzeit allerdings kein einziger Anbieter.
Die ökologischen Anstrengungen von Unternehmern wie Bursik mögen löblich sein, aber sie sind am Ende kaum etwas wert, wenn Konsumentinnen und Konsumenten – und nicht zuletzt staatliche Auftraggeber – zu günstigeren Alternativen greifen. Ähnlich geht es vielversprechend klingenden Ersatzprodukten wie Beton aus Bakterien, Pilzen oder dem Stahlbeton der Firma Taisei, der langfristig mehr CO2 binden soll, als er bei der Produktion emittiert. Sie sind noch nicht marktreif, wie es im Jargon heißt. Am Ende entscheidet nicht die tatsächliche Nachhaltigkeit eines Produkts, sondern die Dynamiken eines schnelllebigen und profitorientierten Markts.
Trotzdem: „Es gibt weiterhin Bauaufgaben, die man ohne Zweifel mit Beton wird machen müssen“, betont ÖGUT-Expertin Franziska Trebut. Insofern sei es alternativlos, intensiv daran zu arbeiten, die CO2-Bilanz von Beton zu verbessern: „Wir brauchen diesen Baustoff“ – nicht zuletzt für die Ökologisierung des Verkehrssektors. Für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs müssen Brücken, Tunnel und Trassen gebaut werden. „Man macht es sich zu leicht, Beton einfach zum Buhmann zu erklären.“
Trebut fordert konstruktive Vorschläge. Abseits von noch zu entwickelnden technologischen Innovationen müsse es vor allem darum gehen, ausschließlich dort zu bauen, wo es wirklich notwendig und sinnvoll sei. Das bedeutet: so viel erneut nutzen und weiterentwickeln und so wenig neu bauen wie möglich.
Bei der Firma Baumit setzt man indes auf Recycling und Kreislaufwirtschaft. „Langfristig“, so Geschäftsführer Bursik, „soll jeder Beton wieder Beton werden“, jedes abgerissene Gebäude andernorts zu einer Brücke werden. Zudem hofft er auf einen Bewusstseinswandel bei Konsumentinnen und Konsumenten. Ob dieser früh genug eintritt? Diese Frage stellt man sich nicht nur bei der Firma Baumit.