Kolumne
Gute Fragen
Der heißeste Oktober der Messgeschichte liegt hinter uns. Seit 256 Jahren ist es in dem Monat nicht heißer gewesen als heuer, 3,6 Grad plus im Vergleich zum langjährigen Mittel zwischen 1961 und 1990. Außerdem war es viel zu trocken, die für die Jahreszeit typischen Regenfälle sind vielerorts ausgeblieben.
Während die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik solche Nachrichten verbreitet, werden junge Klimaaktivistinnen und -aktivisten kritisiert und in den Medien verpönt, weil sie sich auf der Straße festkleben oder weil sie Tomatensuppe auf den Glasschutz von Gemälden schütten – was fällt den Gören ein, die wertvolle Kunst! Die jungen Menschen, die sich inzwischen in dramatisch betitelten Organisationen wie „Letzte Generation” zusammenfinden, werden belächelt. Die wollen ja nur Likes auf Social Media. Die wissen noch nicht, wie der Hase läuft, die haben keine Ahnung, von der Politik und wie träge und mit wie vielen Lügen sie arbeitet. Diese jungen Leute glauben tatsächlich, sie könnten was verändern – ha! Wie naiv.
Wie sinnvoll diese Form des Aktivismus ist beziehungsweise ob er tatsächlich zu Veränderung führt, ist natürlich zu hinterfragen. Dass ein konservativer Politiker, der „an diese ganze Klimasache” nicht glaubt, oder ein „besorgter Bürger“, der in einer ökosozialen Steuerreform den „links-linken Ökofaschismus“ aufziehen sieht, sich von solchen Aktionen noch zur Vernunft bringen lässt, ist unwahrscheinlich. Aber ist die Frage im Bezug auf die Jugend denn nicht auch: Was sollen sie denn sonst tun?
Greta Thunberg möchte sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, sie habe unter anderem gestört, dass Medien immer nur sie interviewen wollten und andere sehr versierte Aktivisten keine Beachtung bekommen haben. Auch sie wurde belächelt, sie ist „eh nett“, mit ihrem „Skolstrejk för Klimatet“-Schild. In Wahrheit ist sie die Galionsfigur und die leuchtende Hoffnung für eine gesamte Generation, die sich fragt, wie ihr Leben in 50 Jahren aussehen wird, wenn all die Studien recht behalten und gleichzeitig so wenig radikale Veränderung in Sicht ist.
Der Kampf um Österreichs Gletscher? Schon verloren, sagt der Generalsekretär der Weltmeteorologieorganisation (WMO) Petteri Taalas. Das 1,5-Grad-Ziel von Paris? Auch Geschichte, das könnten wir laut WMO bereits 2026 überschreiten. Das bedeutet, der weitere Anstieg des Meeresspiegels ist unvermeidbar. Das bedeutet noch mehr Extremwetterereignisse, noch mehr Hitze, Trockenperioden, noch schneller schmelzende Gletscher. Das bedeutet soziale Unruhen, wenn Millionen Menschen, die an den Küsten leben, sich in Europa ein neues zu Hause suchen. Taalas geht davon aus, dass Städte wie London verlegt und Teile der Niederlande evakuiert werden müssen. Von den Menschen aus Afrika oder Asien, die – bereits heute schon – auf der Flucht in ein lebenswertes Leben sterben, ganz zu schweigen.
Ich finde Van Gogh ja gut, ich mag seine Gemälde, er war ein begnadeter Künstler. Aber ich habe so eine dunkle Ahnung, dass uns in ein paar Jahrzehnten, wenn es im Sommer draußen mal wieder 48 Grad hat, und täglich Menschen an der Hitze sterben – so wie das zum Beispiel 2021 in Kanada passiert ist, als das Thermostat über 49 Grad ansteuerte – wenn das Wasser rationiert wird, weil es schon seit Wochen nicht geregnet hat – heuer so geschehen in Norditalien und Frankreich; wenn die Böden von jahrzehntelangen Monokulturen so ausgezehrt sind, dass es immer öfter zu Ernteausfällen kommt. Ich befürchte, dass uns die Gemälde von Van Gogh dann ziemlich egal sein werden. Und ob sie mit einer Schicht Glas oder umgeben von einem Korpus aus Panzerglas im Museum hängen. Ich befürchte, dann wird uns das Lachen vergangen sein.
Die renommierte Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb kommentierte die Klimaaktionen in Glasgow, Potsdam oder Den Haag bei einem TV-Auftritt in Wien Heute einfühlsamer: „Es ist eigentlich ein Ausdruck der Verzweiflung und ich finde es schade, dass wir die jungen Menschen in diese Verzweiflung treiben.” Ja, schade ist das. Eigentlich ist es noch mehr. Eigentlich ist es traurig oder wahrscheinlich ist es sogar eine Schande.
Jeder, der über die globale Klimabewegung, welche die junge Generation organisiert und mittlerweile jahrelang beherzt und mit zum Großteil kreativen, friedfertigen, mutigen Aktionen aufrechterhalten hat, nur lachen kann, dem sei ein Gespräch mit einem dieser Aktivisten ans Herz gelegt. Denn auf viele Fragen dazu, wie wir das alles noch schaffen sollen, wieso wir nicht einfach alle sparsamer leben, wieso wir die Chemieindustrie, die fossilen Industrien, die, die so unnütz Rohstoffe verschwenden, um uns irgendwelche Plastikverpackungen und Fast Fashion T-Shirts anzudrehen, warum wir die nicht endlich in ihre Schranken verweisen, warum wir nicht einfach die öffentlichen Verkehrsmittel ausbauen und halt im Nachbarland statt in Asien Urlaub machen – auf viele dieser Fragen der Jugend gibt es nämlich keine bessere Antwort als „Gute Frage“.
Sarah Kleiner, geboren 1991 in Oberösterreich, arbeitet in Wien als freie Journalistin. Sie ist Chefin vom Dienst beim ORIGINAL Magazin und schreibt nebenher auch für das Ressort „Forschung Spezial” des Standard.