Konsumkritik für die Generation TikTok

Celia Pym, Mended Brown Cardigan, 2023, Original handgestrickter, beschädigter Cardigan, geflickt mit verschiedenen blauen Wollfäden. © Celia Pym, Foto Michele Panzeri.

Die Schau „Critical Consumption“ im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) setzt sich mit Mode- und Textilindustrie auseinander. Der gelungene Mix aus historischen Exponaten, Gegenwartskunst und Aufklärungsarbeit möchte ein junges Publikum aufklären.
Von Nicole Scheyerer

Was für eine seltsame Strickjacke. In ihren braunen Wollgrund mischen sich blaue Flecken, so als wäre sie mit Farbe bespritzt. Die verschiedenen Fäden und Strickmuster lassen ihre Oberfläche wie eine Landschaft mit Gewässern aussehen. Die Handarbeit an der Wand der Ausstellung „Critical Consumption“ im Wiener MAK wirkt ärmlich und edel zugleich. In Wahrheit handelt es sich um ein Kunstwerk, nämlich Celia Pyms Skulptur „Mended Brown Cardigan”.

Die Britin nennt sich selbst „Expertin für Löcher“. Sie verwandelt zerschlissene, oft stark von Motten zerfressene Stricksachen in Textilkunst. Im Jänner 2024 wird Pym im Rahmen der MAK-Schau einen ihrer raren Workshops in „Visible Mending“ abhalten. „Sichtbares Ausbessern“ liegt im Trend. In Internetturtorials demonstrieren woke junge Menschen Grundlagen des Stickens wie Streustich oder Schneiderfliege. Es geht um mehr als nur Reparatur, Flicken wird zum Statement – gegen die Wegwerfkultur, für Individualität und die Freude an haptischer Arbeit im digitalen Zeitalter.

Es sind „Moden“ wie diese, an die MAK-Kuratorin Lara Steinhäußler in ihrer Ausstellung über kritischen Konsum anknüpft. Auf wenig Raum ballt sie textilhistorische Objekte sowie aktuelle künstlerische Arbeiten. Die Schau läuft ein Jahr lang und wird von zahlreichen Veranstaltungen begleitet. Aber warum dreht sich die Schau bloß um Mode? Dieser Fokus dämpft die Erwartungen, die der Ausstellungstitel „Critical Consumption“ weckt. Das Thema hätte locker die beiden großen Hallen des Museums füllen können, das 1864 gegründet wurde, um der Öffentlichkeit mehr Qualitätsbewusstsein zu vermitteln.

Am Beginn der Schau liegt ein Fragebogen. „Wie zufrieden bist du mit deinem Kleiderschrank?“, „Wie hoch ist der Vintage-Anteil?“ oder „Was willst Du mit Sorge tragen?“ fordert ein Ausfüllblatt die Besucherinnen und Besucher auf, ihre eigene Garderobe zu analysieren. Oft reicht ja schon ein Etikett, um den Preis eines schlichten T-Shirts zu vervielfachen. Auf die Aura von Luxusmar-ken spielen die Papiersackerln von Hermès, Balenciaga und Co. an, die Sylvie Fleury in ihrer Installation gruppiert hat. Bereits seit den 1990er Jahren hinterfragt die Schweizer Künstlerin, wie die Mode- und Lifestyle-Industrie Begehren weckt. Lebt die Mode denn nicht davon, dass wir uns ständig Neues wünschen sollen?

„Buy Less, Choose Well“ fordert der Schriftzug auf einem T-Shirt in einer Vitrine. Also nur mehr zeitlose Kleidung von hoher Qualität kaufen? Das wäre das Gegenteil zur sogenannten „fast fashion“, jener blitzschnell und billig hergestellten Ware, die am laufenden Band in die Shops der Modekonzerne fließt. Die Textilindustrie verursacht heute schon mehr CO2-Abgase als Luft- und Schifffahrt zusammen.

Dabei existiert der Massenkult um die Kleider noch gar nicht so lange. In Mitteleuropa wurde bis Mitte des 18. Jahrhunderts nur für den eigenen Bedarf gesponnen, gewebt und genäht. Flachsbündel verweisen in der Sammlung auf die Ära vor der Baumwolle, als ein Hemd noch mindestens ein Leben lang halten sollte und daher selten gewaschen wurde. Erst langsam löste die Konfektion, also die Serienproduktion von Kleidung im Gegensatz zur Schneiderarbeit nach Maß, die familiäre Selbstversorgung ab.

Als Beschleuniger in Richtung industrielle Massenfertigung wirkte der 1805 entwickelte Webstuhl des Franzosen Joseph-Marie Jacquard, dessen Porträt in ein Seidentuch eingewebt ist. Von der Erfindung der Singer-Nähmaschine 1850 war es schließlich nicht mehr weit zu den „sweatshops“, jenen Ausbeutungsbetrieben, die die Textilbranche auch 170 Jahre später noch dominieren. In eine solche Fabrikshölle führt die Doku „15 Hours“ des Filmemachers Wang Bing. Als Chronist des zeitgenössischen Chinas zeigt er in Echtzeit den 15-stündigen Arbeitstag von jungen migrantischen Näherinnen und Nähern, die in einer Textilindustriezone bei Shanghai schuften. Daneben türmt die Schau in Plastik verpackte Kleiderballen auf, wie sie täglich Second-Hand-Märkte in Afrika erreichen. Die kenianische Gruppe „The Nest Collective“ zeigt in ihrem Video „Return to Sender – Delivery Details”, wie negativ sich der Import von Altkleidern aus dem Norden auf die lokale Kleiderfabrikation und die Umwelt in Nairobi auswirkt.

Bieten Naturfasern einen Ausweg? Leider muss „natürlich“ nicht gleich „besser“ bedeuten. Schließlich beförderte die Baumwollgewinnung in den USA die Sklaverei und die Ausbeutung natürlicher Ressourcen trägt Gefahren für die Umwelt in sich. Dass Aloe- und Kokosfasern schon lange eingesetzt werden, beweisen Bekleidungsstücke aus der MAK-Sammlung; Bananen- und Ananasfasern, sowie Pilzleder werden heute von Designern wiederentdeckt. Die Schau präsentiert auch skurrile Beispiele für alternative Materialien, wie eine im 19. Jahrhundert aus Stroh gefertigte Herrenweste, die wohl eher dem Nachweis von Kunstfertigkeit diente. Die poppigen Papierkleider der Sixties funktionierten als Designgag, zum Tragen waren sie schlicht zu unbequem.

Die Geschichte unserer Kleidung erzählt auch viel von der gesellschaftlichen Rolle der Frau. Zarte Hände schufen kunstvolle Stickereien, nähten in Heimarbeit oder im Akkord der Fabriken. Im 19. Jahrhundert verschafften die großen Kaufhäuser einer weiblichen Käuferschaft neue Freiheiten, sich öffentlich zu bewegen, die Haute Couture als Luxussparte entstand und Modemarken er-fanden Etiketten für ihre Kollektionen.

Die Künstlerin Stefanie Mooshammer hat für ihre Arbeit „We Love Our Customers“ alte Taschentücher ihrer Oma zusammengenäht und projiziert auf diese weiße Fläche Internetbeiträge von Influencerinnen, die nonstop neue Outfits anpreisen. Schade, dass die jungen Frauen nur als Speerspitzen einer verhängnisvollen Industrie vorgeführt werden. In den vergangenen Jahren treten immer mehr „Sustainable Fashion Influencer“ auf, die sich für Fairtrade und ein ökologisch verträgliches Konsumverhalten einsetzen. Solche Stimmen auf Youtube oder TikTok sind ein Weg aus dem Modedilemma, für das es viele Lösungen braucht.

Critical Consumption
MAK-Museum für angewandte Kunst, Wien
30.8.2023 – 8.9.2024
MAK.at


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