Kreatives Lernlabor
Still aus dem Film „Flügel“
Das mobile Trickfilm-Projekt „Trickmisch“ aus Berlin und sein Online-Pendant „Trixmix“ motivieren Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Herkunft dazu, mit Sprache, Bildern und Geräuschen zu
experimentieren. Von Jutta Nachtwey
Wie kann man junge Menschen für Sprache und Lernen begeistern? Diese Frage beantwortet sich ganz von selbst, wenn man sich anschaut, wie das Projekt „Trickmisch“ aus Berlin funktioniert. Das mobile Labor wurde 2014 von der Künstlerin Julia Kapelle gegründet – damals zusammen mit Nadin
Reschke –, um Schülerinnen und Schülern in Willkommensklassen einen spielerischen Zugang zur deutschen Sprache zu ermöglichen.
Zu seinen Workshops an Schulen bringt das Team eine umfangreiche Ausrüstung mit: Kameras, Tricktische, Filmschnitt-Plätze und ein mobiles Aufnahmestudio. Die Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer – darunter auch viele Geflüchtete – experimentieren eine Woche lang mit Bildern und Worten: Sie zeichnen Figuren, schneiden sie aus, animieren sie im Legetrickverfahren, vertonen ihre visuellen Botschaften und ergänzen sie mit Texten. Dabei erhalten sie auch Einblick in die Bereiche Storyboard, Narration und Dramaturgie und verwandeln ihre eigenen Geschichten, Gedichte oder Recherchen in kleine Filme.
Um diese spielerische Lernmethode einer breiteren Zielgruppe zugänglich zu machen, entwickelte Julia Kapelle Ende 2015 zusammen mit dem Programmierer und Künstler Paul Geisler ein digitales Tool (trixmix.tv), in das sie die analogen Zeichnungen der Schülerinnen und Schüler aufnahmen und sie damit online nutzbar machten.
Auf der Website kann man basierend auf diesem visuellen Vokabular eigene Filme kreieren. Hierfür steht ein Lexikon mit derzeit über 10.400 Bildwörtern zur Verfügung, in dem man alphabetisch oder nach visuellen Kriterien auswählt. Auch eigene Figuren lassen sich hinzufügen. Außerdem kann man beim Vertonen der Geschichten aus rund 1.100 Geräuschen wählen.
Darüber hinaus lassen sich mit den Zeichnungen und Begriffen zum Beispiel Arbeitsblätter erstellen und bearbeiten oder verschiedene Spiele spielen: Beim „Bild-Wort-Spiel“ kann man die richtigen Wort-Bild-Paare verbinden, beim „Alliterationenzug“ Sätze aus Wörtern mit gleichem Anfangslaut bilden. Auch das freie Jonglieren mit Sprache wird gefördert: „Quatschwort“ erlaubt es, eigene Begriffe zu erfinden, und mit „Wortschnipsel“ kann man poetische Collagen gestalten. Dass all dies Spaß macht, hat vor allem auch damit zu tun, dass dem Angebot eben keine langweilige Lehrbuch-Bildwelt zugrunde liegt, sondern eine von der Kinder- und Jugend-Community selbst entwickelte visuelle Sprache.
Inzwischen hat „Trickmisch“ weitere Anwendungsbereiche erschlossen, die weit über Spracherwerb oder Poesie-Experimente hi-nausgehen. Das Team ist zum Beispiel am Projekt „denk!mal FREIHEIT“ beteiligt, das im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2024 in Deutschland stattfindet. In Kooperation mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) wurden Workshops an zwölf Schulen deutschlandweit veranstaltet, bei denen die jungen Menschen mithilfe der „Trixmix“-Plattform Filme zu verschiedenen Aspekten des Themas „Freiheit“ entwickeln konnten – darunter Bildung, Demokratie und Migration. Außerdem hat „Trickmisch“ zahlreiche Workshops für das Berliner Projekt „Zeitforscher:innen im Museum“ veranstaltet. Hierbei konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beispielsweise im Naturkundemuseum von Exponaten wie Dinosaurier-Skeletten inspirieren lassen und diese in ihren eigenen Filmen zum Leben erwecken.
Ob Spracherwerbsspiele, Poesie-Experimente, Sachfilme oder Beiträge für gesellschaftliche Debatten – in all diesen unterschiedlichen Arbeitsfeldern gelingt es dem 12-köpfigen „Trickmisch“-Team, den jungen Menschen zu zeigen, wie sie ihr eigenes kreatives Potenzial in den Lernprozess einbringen können. Dies sorgt dafür, dass sie sich mit einer Begeisterung und Ausdauer den jeweiligen Inhalten widmen, die im schulischen Kontext sonst eher ungewöhnlich sind. Nach dem 6. Workshop „denk!mal FREIHEIT“ in Brandenburg an der Havel, der sich mit dem Thema „Protest“ befasste, resümierte ein Schüler im Mai 2024 in seinem schriftlichen Fazit: „Das war das beste was ich gemacht habe in meinen Leben.“
Die Künstlerin Julia Kapelle treibt das Projekt „Trickmisch“ seit 2014 weiter voran
Interview mit Julia Kapelle, Gründerin von „Trickmisch“
Ihr feiert in diesem Jahr euer 10-jähriges Jubiläum – welche Aktionen zählen für dich zu den Highlights?
Julia Kapelle: Dazu zählt auf jeden Fall das Projekt „denk!mal FREIHEIT“. Hierfür haben wir unsere Website so weiterentwickelt, dass man sich selbst als Figur einlesen kann. Die Fotos aller Projektbeteiligten werden dabei, unterstützt von Körpererkennungssoftware, in bewegliche Zeichentrickfiguren umgewandelt, die sich leicht animieren lassen. Basierend auf Porträts mit verschiedenen Mundstellungen kann man die Gesichter auch sprechen lassen. Dies ermöglicht den Teilnehmenden, sich selbst als handelnde Person in die Filmbeiträge einzubringen.
Die Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Malaysia dürfte ein weiteres Highlight sein?
Ja, das „ICHSODUSO“-Projekt hat ganz neue Zielgruppen erreicht. Dafür haben wir 2021 Lehrkräften in Asien per Online-Fortbildung gezeigt, wie sie selbstständig mit dem „Trixmix“-Tool arbeiten können. 50 Schülergruppen aus neun verschiedenen Ländern, darunter Malaysia, Singapur, Thailand und Vietnam, haben dann damit Filme gemacht und ihre Geschichten auf Deutsch erzählt. Im Vorfeld haben sie uns dafür ihre Zeichnungen geschickt, damit sie diese für ihre Filme nutzen konnten. Mit dem Goethe-Institut Indonesien entstand im gleichen Jahr ein Projekt zum Thema „Indonesische Märchen“.
Eure Weltoffenheit spiegelt sich ja auch auf der Website wider – hier kann man nicht nur Deutsch lernen, sondern auch Einblicke in andere Sprachen gewinnen …
Ja, das ergab sich aus der Vielsprachigkeit der Schülerinnen und Schüler, mit denen wir zum Beispiel in Willkommensklassen Workshops gemacht haben. Mit unserem „Bild-Wort-Spiel“ kann man jetzt Vokabeln aus 30 Sprachen lernen und sich dazu die Audiofiles der Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer anhören, darunter Arabisch, Farsi oder Vietnamesisch. Diese Erweiterung des Spiels hilft auch dabei zu verstehen, wie es ist, eine Sprache ganz neu lernen zu müssen.
Und welche Vision habt ihr für die Zukunft?
Wir arbeiten an der Idee, unser Projekt mehr in Richtung einer Sprachlern-App auszubauen, aber konzipiert als offene kreative Plattform. Anstatt vorgegebene Inhalte zur Verfügung zu stellen, möchten wir etwas schaffen, das durch KI-Unterstützung ermöglicht, Eigenes zu formulieren und die Sprache eher spielerisch zu lernen. Es geht auf jeden Fall um Spaß!
Weitere Informationen: trickmisch.de, trixmix.tv