La Via Campesina

Jürgen Mathis, Stefan Schartlmüller und Laura Mathies mit Nachwuchs, Daniela Kohler. Fotos Oriana Rüscher
Von Kurt Bereuter
Wenn wir uns die Bilder des Tourismus oder auch des Lebensmittelhandels von Landwirtschaft und deren Produkten vor Augen halten, wird uns ein ziemlich idyllisches bäuerliches Leben und Produzieren präsentiert, wo Menschen, Tier und Natur in Einklang sind. Dass das in Zeiten einer weit fortgeschrittenen Technisierung und immer größeren Betrieben mit Drang zum Wachstum und zur Industrialisierung in der Landwirtschaft nur selten der Realität entspricht, wissen wir auch. Dass unsere Böden unter Investitionsdruck und Intensivierung leiden und Indigene ihres Bodens beraubt werden, auch. Dass Erntehelfer unter oftmals schlechten Bedingungen bei uns saisonal Arbeit finden, wurde uns gerade wieder angesichts der Corona-Virus-Pandemie bewusst. Dass das auch Auswirkungen auf den Wert unserer Lebensmittel hat, ist uns auch bewusst. Und nun?
Wenn wir uns die Bilder des Tourismus oder auch des Lebensmittelhandels von Landwirtschaft und deren Produkten vor Augen halten, wird uns ein ziemlich idyllisches bäuerliches Leben und Produzieren präsentiert, wo Menschen, Tier und Natur in Einklang sind. Dass das in Zeiten einer weit fortgeschrittenen Technisierung und immer größeren Betrieben mit Drang zum Wachstum und zur Industrialisierung in der Landwirtschaft nur selten der Realität entspricht, wissen wir auch. Dass unsere Böden unter Investitionsdruck und Intensivierung leiden und Indigene ihres Bodens beraubt werden, auch. Dass Erntehelfer unter oftmals schlechten Bedingungen bei uns saisonal Arbeit finden, wurde uns gerade wieder angesichts der Corona-Virus-Pandemie bewusst. Dass das auch Auswirkungen auf den Wert unserer Lebensmittel hat, ist uns auch bewusst. Und nun?
Ein guter Weg in die bäuerliche Zukunft
Es gibt auch andere Wege, in und von der Landwirtschaft zu leben. Einer, der weltweit immer mehr Bedeutung gewinnt, ist der der Via Campesina. Unter diesem Namen, der aus dem Spanischen stammt und soviel wie „der bäuerliche Weg“ meint, haben sich weltweit in mehr als 80 Ländern Kleinbauern, Landarbeiter, Fischer, Landlose und Indigene zu einem Bündnis zusammengeschlossen, um sich der „neoliberalen Globalisierung“ im Bereich der Landwirtschaft entgegenzustellen und umweltfreundliche, kleinbäuerliche Strukturen zu pflegen und zu fördern. In Österreich ist die ÖBV, die „Österreichische Berg- und KleinbäuerInnen-Vereinigung“ Teil davon und in Vorarlberg gibt es mehr als zwanzig Höfe, die sich dem Leben des „Via Campesina“ verschrieben haben. Die ÖBV ist somit Teil einer weltweiten politischen Bewegung, die für Ernährungssouveränität, Unabhängigkeit, Zugang zu Land, faire Arbeits- und Lebensbedingungen in der Landwirtschaft (z.B. mit der „Rights for peasants“-Kampagne) oder die Rechte für Erntehelfer, für fairen Handel und gegen die Ausbeutung des globalen Südens, für artgerechte Tierhaltung, für Vielfalt und Alternativen in der Landwirtschaft kämpft. Sie zeigen Missstände in der Landwirtschaft und Agrarpolitik auf und entwickeln – bzw. kommunizieren – gleichzeitig auch andere Wege und Werte in der Landwirtschaft. Auch die kleinstrukturierten Höfe in Europa spüren die Auswirkungen der GAP (Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union), kämpfen um Zugang zu Land (z.B. für QuereinsteigerInnen), sind oft abhängig von Subventionen und den dazugehörigen Konditionen, die es anzupassen und zu verbessern gilt. In diesem Sinne ist die ÖBV eine Interessensvertretung der Klein- und Bergbäuerinnen und -bauern und bietet für die Mitglieder Bildungsarbeit und politische Interessenvertretung. Sie setzen sich mit ihren Mitgliedern für eine „bäuerliche Landwirtschaft“ ein und betreiben als solche neben ihren Höfen basis-orientierte Agrarpolitik und Bildungsarbeit und stemmen sich gegen die „Irrwege“ des Mainstreams in der landwirtschaftlichen Produktion. „Ernährungssouveränität“ ist ihre Antwort, um aus der sozialen und ökologischen Krise heraus in eine neue, demokratische Gestaltung der Agrar- und Lebensmittelsysteme zu gelangen. Dabei meint Ernährungssouveränität das Recht von Menschen, über die Art und Weise der Produktion, der Verteilung und der Konsumation von Lebensmitteln selbst zu bestimmen. Das ist prozesshaft zu verstehen und soll immer mehr Menschen einbeziehen, Produzenten und Konsumenten. Einem neuen, nachhaltigeren, ökologischeren und sozial gerechteren System soll „der Boden bereitet werden“. Das gehe nur über die Stärkung der vielfältigen klein- und bergbäuerlichen Strukturen, die auf lokale Kreislaufstrategien setzen und auf die Gesundheit der Böden, Pflanzen und Tiere genauso achten wie auf eine gelebte Partnerschaft mit den Konsumenten, die durch den gemeinsamen Weg zu Mitbestimmenden, Mitgestaltenden und Mitarbeitenden auf dem kleinbäuerlichen Weg werden können.
Die Menschen auf dem Via Campesina
Daniela Kohler betreibt mit ihrem Mann Anton in Buch bei Wolfurt einen kleinen Hof mit Vieh- und Ackerwirtschaft. Die Viehwirtschaft betrieb schon ihr Vater, den Ackerbau hat sie vor fünf Jahren als „Solidarische Landwirtschaft“ ins Leben gerufen und bei der „Solawi“, wie es abgekürzt heißt, arbeitet sie auf ihrer Fläche mit einer kleinen Gruppe von Menschen zusammen, die mit einem monatlichen Pauschalbeitrag und explizit erwünschter Mithilfe „ihr“ gemeinsames Gemüse anbauen und ernten. Von April bis Dezember gibt es dann wöchentlich eine Gemüsetasche aus dem Garten, an dem der Konsument mitgearbeitet und Gemüseanteile erworben hat und dabei die kleinbäuerliche, nachhaltige, umwelt- und klimaschonende Landwirtschaft unterstützt und gefördert hat. So kann man erleben, wie das gesunde Essen produziert wird und weiß, woher es kommt: aus einem herrlichen Garten, wo auch das Mitarbeiten zu einem Genuss für die Seele wird. „Solawi“ heiße aber auch viel koordinieren, viel erklären, gemeinsam planen und Geduld haben – und die habe sie, denn sie wolle ja mit ihrer Arbeit und durch das Aufzeigen dieses Weges ihren Beitrag leisten, die Welt zu retten. Das beschreibt sie mit dem Begriff der „Selbstermächtigung“: mit ihrer Bildungsarbeit Bäuerinnen und Bauern dazu ermutigen, ihre Interessen in einer starken Gemeinschaft mit zu vertreten, indem sie sich die nötigen Fähigkeiten dazu aneignen und sich austauschen und so gegenseitig stärken.
Jürgen Mathis aus Hohenems ist mit seiner Frau seit letztem Jahr Vollerwerbsgemüsebauer auf dem Grundstück seiner Oma, auf dem seine Familie immer schon einen Kartoffelacker mit den Großeltern bewirtschaftete. Der 40-jährige „Jungbauer“ gehört zu den „Aussteigern“, weil er nämlich nach der HAK-Matura erst einmal mit seinem Freund ein halbes Jahr lang Australien umrundete, bevor er sich mehr als ein Jahrzehnt als Buchhalter und Steuerberater, zuletzt bei PWC in St. Gallen, verdingte. Nebenher habe er immer schon Gemüse angebaut und als Jugendlicher war er im Mellental im Sommer Pfister auf der Alpe. Seinen Buchhalterjob hängte er an den Nagel, um im Bregenzerwald eine Lehre als Zimmerer zu absolvieren. Sechs Jahre war er dann als solcher tätig, um heute auf 1.000 Quadratmetern der drei Hektar großen Fläche seiner Oma eine solidarische Landwirtschaft zu betreiben. Sein Anspruch ist, auf und mit dieser Fläche ohne Subventionen mit seiner Familie leben zu können und dabei etwas in Händen zu halten, nämlich ein schönes Ergebnis in Form von gesunden Lebensmitteln, die im Kleinen gemeinsam und nachhaltig angebaut und geerntet wurden. Sie produzieren von April bis Dezember ihre Gemüsekisten und von Jänner bis März gibt es in kleinerem Ausmaß Wintergemüse. Die Nachfrage nach Gemüseanteilen auf seiner Fläche übersteige das Angebot und so gebe es für neue Interessenten eine Warteliste, was die Attraktivität und die Sehnsucht nach diesem Weg der solidarischen Landwirtschaft unter Beweis stelle.
Ganz anders gehen Stefan Schartlmüller und seine Partnerin Laura Mathies ihren Weg. Sie suchen einen Hof für eine kooperative Landwirtschaft im Sinne des Via Campesina und konnten diesen Weg schon einmal für ein paar Jahre gehen, bevor sie Eltern wurden und ab Oktober beide wieder in biologischen, bzw. sozialen, Gartenbauprojekten arbeiten. Ihr Ziel ist, wieder einen Hof zu finden und als Hofkollektiv eine vielfältige Landwirtschaft zu betreiben, in gemeinsamer, aber auch geteilter Verantwortung. Daneben suchen sie eine Fläche, um gemeinsam mit anderen Interessierten einen Garten zur Selbstversorgung anzulegen und zu bewirtschaften. Und tatsächlich haben auch Kommunen oder nicht bäuerliche Familien mit landwirtschaftlichem Grund und Boden erkannt, dass es neben der konventionellen landwirtschaftlichen Nutzung auch bessere Alternativen gibt. Nämlich Boden nachhaltig und sozial verantwortungsvoll für Gutes zur Verfügung zu stellen. Besonders interessant und wichtig ist für ihn und seine kleine Familie das Projekt der Hofnachfolge: wer immer kleinbäuerliche und solidarische, nachhaltige Landwirtschaft weiter erhalten will, ist bei den Bauernfamilien der Via
Campesina „in guten Händen“.
Eine interessante Geschichte erzählt Jürgen Mathis von seinem letzten Alpbesuch in Schönenbach, bei dem ein konventioneller Bauer mit rund 60 Kühen über die Notwendigkeit größer zu werden sinnierte, um „leben“ zu können. Daneben stand der Kleinbauer Alfred Hammerer aus Egg, der mit seinen zwölf oder dreizehn Kühen den „Via Campesina“ geht und ein einfaches und nachhaltiges Leben in und mit der Natur führe. Er setzt auf „Original Braunvieh“, die alte, vom Aussterben bedrohte und an die Alpen bestens angepasste traditionelle Rinderrasse. Ziegen und ein paar Schweine ergänzen die Tierwelt auf seinem Hammerer-Hof und besonders wichtig ist es ihm, die traditionelle Drei-Stufen-Landwirtschaft zu praktizieren. Also mit Talbetrieb, Vorsäß und Alpe.
Gemeinsam ist ihnen allen die Sehnsucht nach einer verlorenen bäuerlichen Kultur des Gemeinsamen und die wollen sie wieder schaffen. Dazu gehört nicht nur die Familie, sondern alle Menschen, die auf dem Hof (mit)arbeiten und mit denen nach getaner Arbeit auch, wie früher, zusammengesessen und gemeinsam gegessen und getrunken wird. Eben Gemeinschaft gelebt wird. Dass die Rolle der Frau eine besondere ist, versteht sich von selbst. Und weil neben der Arbeit auch Zeit für gesellschaftliches und politisches Engagement da sein muss, haben sich die Via-Campesina-Bauernfamilien im Land zu einer eigenen Regionalgruppe zusammengeschlossen und leisten Bewusstseins- und Weiterbildungsaktivitäten für Landwirte und solche, die sich für eine nachhaltige und faire Landwirtschaft interessieren. Durch die weltweite Vernetzung käme ihnen schon eine gewisse Einflussmacht zu und letztlich gehe es um die fortwährende Bewusstseinsbildung für die Zukunft unter dem Titel der Ernährungssouveränität.
Sie sind eine Gruppe von Menschen, die versuchen mit sich, den Tieren, den Pflanzen und der Natur in Einklang zu sein. Und das meint etwas viel Tiefgründigeres als immer alles eitel Wonne. Es meint das Gefühl, mit der eigenen Hände Arbeit und dem Bewusstsein für gesunde Lebensmittel den Boden zu bearbeiten und ihn gleichzeitig zu schützen und wertvoll zu erhalten. Und das sei ein verdammt gutes Gefühl, auch wenn es nicht immer so idyllisch sei. Es brauche schon viel Idealismus, denn finanziell honoriert würden die vielfältigen Leistungen der kleinstrukturierten Landwirtschaft im Vergleich zur industrialisierten Landwirtschaft viel zu wenig.
Wer sich für die Arbeit der Kleinbauern interessiert und Teil davon werden will: Mit einem Jahresbeitrag von 38 Euro lässt sich die Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit der ÖBV (Österreichische Berg- und KleinbäuerInnen-Vereinigung) unterstützen. Förderer aus dem nichtlandwirtschaftlichen Umfeld sind herzlich willkommen und erhalten dafür die Zeitschrift der ÖBV-Via Campesina Austria mit vielen wertvollen und interessanten Beiträgen dazu, das Leben in und mit unserer Landwirtschaft auf eine andere Art zu meistern, und gleichzeitig ein Teil davon zu sein.
Die ÖBV ist eine Interessensvertretung der Klein- und Bergbäuerinnen und -bauern und ein Teil einer weltweiten politischen Bewegung und kämpft für Ernährungssouveränität, Unabhängigkeit, Zugang zu Land, faire Arbeits- und Lebensbedingungen in der Landwirtschaft (z.B. Rights for peasants-Kampagne oder die Rechte für Erntehelfer_innen, etc.), für fairen Handel und gegen die Ausbeutung des globalen Südens, für artgerechte Tierhaltung, für Vielfalt und ökologische Alternativen in der Landwirtschaft, um die wichtigsten zu nennen.
Wir zeigen Missstände in der Landwirtschaft und Agrarpolitik auf und entwickeln bzw. kommunizieren gleichzeitig auch andere Wege und Werte in der Landwirtschaft. Dazu bieten wir Bildungsarbeit in diesem Sinne an und wollen Zusammenhänge sichtbar machen und gemeinsam an Perspektiven arbeiten. Unsere Ziele können wir nur in enger Zusammenarbeit mit den KonsumentInnen erreichen und sind dabei auch auf Ihre Mithilfe angewiesen! Sie können uns unterstützen, indem Sie:
• in unserer Regionalgruppe mitarbeiten und/oder unsere
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Kontakt ÖBV-Via Campesina, Regionalgruppe Vorarlberg:
Daniela Kohler, Tel. 0664 73427001, daniela-kohler@aon.at
Stefan Schartlmüller, mulorupop@gmail.com
Maria Schneller, maria_schneller@gmx.at
Highlight
ORIGINAL ON TOUR
O-Töne im Vorarlberger Landestheater
Podiumsdiskussion mit Vertretern des ÖBV
Moderation: Kurt Bereuter
Vorarlberger Landestheater, Foyer
Sonntag, 11. Oktober 2020, 11 Uhr