Langsam reisen, zu schnell denken

Von Reinhard Geßl und Sonja Wlcek

Sabbatical leitet sich vom hebräischen „Šabat“ ab und steht in unserer Arbeitswelt dafür, sich vom Ewiggleichen während einer bestimmten Zeit zu distanzieren und damit neue Kraft und Ideen zu finden. Unser Sabbatical nutzten wir 2016 und 2017 dafür, ohne Stress und offenen Herzens herausragende Bio-Projekte in Nordafrika und Asien zu erforschen. Was seither geschah? Neuer Schwung führte uns zu alten Freundinnen und Freunden und Beharrungsvermögen zog uns einen Nerv.

Bio-Safranernte in den Bergen Marokkos, Wüstenbegrünung nach biodynamischen Grundsätzen in Ägypten, Bio-Reisanbau in Vietnam, Seiden-, Pfeffer- und Bergnussanbau in Laos und schlussendlich der Besuch des hundertprozentigen Bio-Staates Sikkim in Nordostindien zählten zu den Highlights unseres neunmonatigen organic17-Forsch-ungssabbaticals. Überall fühlten wir uns bei gastfreundlichen, offenen Menschen herzlich willkommen. Beeindruckt haben uns die vielen schillernden Persönlichkeiten, die die visionäre Umsetzung der Prinzipien der biologischen Landwirtschaft in den Fokus ihrer Herzensprojekte gesetzt hatten.

Ein Jahr, ein Traum?
Von Anfang an war klar, dass wir diese motivierende „neue Welt“ wieder verlassen müssten und uns im „Hamsterrad“ wiederfinden würden. Die Rückkehr in die Arbeitswelt und Treffen mit „alten“ Bekannten gestaltete sich dennoch frustrierend. Unsere Reise hatte nämlich nur uns weitergebracht, alle anderen waren stehengeblieben. Uns fiel auf: Die immer gleichen Personen spielten noch immer die gleichen Rollen im gleichen Stück. War ein Jahr vergangen oder war unsere Reise nur ein Traum? Also hielten wir regen Kontakt zu den neu gewonnenen Freunden der „anderen Welt“. Mit großer Leidenschaft reichten wir die hundertprozentige Bio-Umstellung des indischen Bundesstaates Sikkim als besonders preiswürdig beim „One-World-Award“ ein. Unsere Freude war groß, als im September 2017 Shri Pawan Chamling stellvertretend für den Bio-Staat im Allgäu die hohe Auszeichnung entgegennahm. Nachdem die ihn begleitenden Beamten – ja, es waren nur Herren – schon einmal in unserer Nähe waren, organisierten wir für sie eine Reise zu den herausragenden Bio-Initiativen Österreichs.

Bio-Vordenker auf Augenhöhe
Wenig initiativ empfanden die indischen Herren den Besuch im Landwirtschaftsministerium, bei dem ihnen die österreichischen Ideen zur Ökologisierung der Landwirtschaft vorgestellt wurden. Sie fragten nach der österreichischen Bio-Vision und verstanden die Antwort, schon bald 30 Prozent bio erreichen zu wollen, nicht. Die darauffolgende Fahrt zur Bio-Kräuterfirma Sonnentor und zur biodynamischen Vielfaltsgärtnerei Bioschanze wurde dagegen zu einem lustigen Treffen auf Augenhöhe. Mit großer Freude bestimmten die Sikkimer Bio-Experten im Wiener Glashaus Nutzpflanzen, die bei uns nicht einmal benannt werden können, und lehnten das Gastgeschenk (Waldviertler Mohnzelten) entsetzt ab. Mitte 2018 lud uns die ORF Ö1-Sendung punkteins ein, ausgewählte Erlebnisse unserer Bio-Reise zu erzählen. Im Gespräch skizzierten wir unsere Ideen für eine konsequent ökologisch-tiergerechte Landwirtschaft auch für Österreich und erhielten viele positive Reaktionen. Daraus entwickelten sich Kontakte zu engagierten, pensionierten Universitätsprofessoren, die gerne gemeinsam mit uns die Vision einer hundertprozentigen Biolandwirtschaft für Österreich dingfest machen wollten. Gemeinsam mit weiteren Experten erarbeiteten wir ein stimmiges, mutiges Visionspapier, das wir mit dem ägyptischen Bio-Pionier Helmy Abouleish abstimmten. Dann hatten wir den Eindruck, dass unsere „Bio-Vision“ für Österreich genau das wäre, was dem burgenländischen Landeshauptmann vorschwebte und stellten sie hochrangigen Mitarbeitern in Eisenstadt vor.

Wer Bio-Visionen hat, …?
Mit großen Augen wurde uns zugehört, wissend genickt und am Schluss gefragt, welche Agentur uns mit welchem Auftrag geschickt hätte. Die Ernüchterung, dass politische Proklamationen offenbar keine Visionen brauchten, zog unseren visionären Bemühungen den Nerv. Wir beendeten unsere Überlegungen für einen Verein, eine Gesellschaft oder einer wie auch immer gearteten „Bio-Bewegung“, die das fehlende Lobbying für Biolandbau hätte sein können. Ähnlich dürfte es unserem Freund Michael in Laos gegangen sein. Seine von uns angestoßenen Ideen zur Verbesserung des Bodens, der Fruchtfolge und der sozialen Situation der Menschen in den Dörfern führten beim französischen Besitzer der Bio-Farm Mai Savanh Lao zu Unverständnis und Unwillen. Einige Monate nach unserer Rückkehr trennten sich deren Wege und Michael kehrte mit seiner laotischen Frau Lé nach Deutschland zurück. Er war ebenso frustriert über die unüberwindbaren, beharrenden Kräfte wie wir. Vielleicht waren wir mit der „Bio-Vision“ einfach zu früh dran? Oder sind wir schon zu spät?

Kind aus Asien „verloren“
Zu uns kam dann Pim, ein 15-jähriges Schulmädchen aus Thailand. Sie suchte für das Schuljahr 2019/20 eine Gastfamilie in Österreich. Wir nahmen sie auch deswegen auf, weil wir dem Austauschnetzwerk ein Stück unserer Dankbarkeit für das Sabbatical „zurückgeben“ wollten. Dieses Auszeitjahr war ja nur möglich geworden, weil unser damals 15-jähriger Sohn von einer Gastfamilie in den USA aufgenommen worden war. Mit unseren Asien-Erfahrungen meisterten wir beträchtliche kulturelle Unterschiede und anfängliche Sprachlosigkeit recht zufriedenstellend: Bis zum Jahresbeginn 2020 war aus einem asiatischen, traditionell unterwürfigen Mädchen eine junge, selbstbewusste Dame mit Umwelt- und sozialem Engagement geworden. Unser Plan, 2020 den Kulturaustausch zu intensivieren und Pim Österreich abseits von Hallstadt und The Sound of Music zu zeigen, fiel der Pandemie zum Opfer. „Unser“ Mädchen musste von heute auf morgen nach Thailand zurück und dort in eine zermürbend lange Quarantäne. Das tat weh! Über die Frage, was Heimat ist und wo die sich befindet, konnten wir mit ihr nicht mehr diskutieren. Die Bilder, die sie seither aus dem von Covid-19 unbeeindruckten Land schickt, zeigen uns aber, dass sie ihren Weg gut geht!

Was wurde aus unserem Weg?
Unser privater Weg dagegen holpert noch ein bisschen. Der staatliche Umgang sowohl mit Covid-19 als auch mit Biolandbau, Bodenaufbau, Agroforst und anderen Zukunftsthemen frustriert mehr und mehr. Unsere Suche nach „Weltverbesserung“ stellt vor allem unser berufliches Engagement in Frage, denn wir merken mit Unbehagen, wie schnell die Zeit im „Hamsterrad“ vergeht. Langsamer verstrich sie im Sabbatical. Wir denken schon an das nächste für 2024.

Weitere Informationen: organic17.org


Teilen auf:
Facebook