„Lass die Waffe fallen und ergreif den Bleistift“

Die Trägerinnen des Alternativen Nobelpreises 2022, Fartuun Adan und Ilwad Elman.
Von Kurt Bereuter
Es ist leicht, in unseren meist gemütlichen Wohnungen für Menschenrechte einzutreten und darüber zu schreiben – mit dem Stift in der Hand oder eher mittels Tastatur. Aber einem bewaffneten Kämpfer gegenüberzutreten und ihn aufzufordern, seine Waffe fallen zu lassen und dafür den Bleistift in die Hand zu nehmen, ist uneingeschränkt mutig – ja, sogar heldenhaft. Selbst, wenn das eine von tiefster Demut begleitete Bitte ist, ist es in einem Land, das von Bürgerkrieg, gewalttätigen Clans und Milizen strotzt, ein lebensgefährliches Unterfangen. Denn alle paramilitärischen Organisationen verteidigen sich einerseits mit Waffen, Gewalt und Unterdrückung gegen die jeweils anderen und üben damit andererseits ihre Macht über Regionen, Gesellschaften, aber auch einzelne aus. Das ist das Wesen von Bürgerkriegen oder von Terrorismus gebeutelten Gesellschaften. Für die Milizen werden Männer gebraucht. Gewaltsam rekrutiert oder propagandistisch mit Gruppenzugehörigkeit, (falschem) Ehrgefühl, „heilvollen“ und monetären Versprechen gelockt. Gewalt und Töten wird so zum Geschäft, zum Job oder zur Karriere und zum Heilsversprechen – und letztlich zum gewaltgetränkten Alltag, weit über die paramilitärischen Strukturen hinaus.
1990 war Somalia eine Diktatur unter Siad Barre, die von verschiedenen Gruppierungen mit deren Milizen bekämpft wurde. Gleichzeitig erwuchs ein Kampf zwischen diesen Clans, zwischen Warlords und deren militärischen Einheiten, um sich die Macht zu erkämpfen, zu erweitern und zu sichern.
Inmitten dieser von Gewalt geprägten Gesellschaft stehen eine junge Frau aus Mogadishu, Fartuun Adan, und ihr Mann, Elman Ali Ahmed, auf. Ihr Aufruf: „Drop the Gun, Pick Up the Pen“. Sie gründeten die „Elman Peace“-Organisation und setzen sich für Frieden in ihrem Land ein, wobei sie auch gleich eine konkrete Alternative zum „Kriegshandwerk“ bieten. Der junge Unternehmer, Elman Ali Ahmed, hatte einen Vertrieb für elektrische Generatoren und beschäftigte in diesem junge Männer, um sie dem Zugriff der Warlords zu entziehen, was ihm auch gelang. Drei Töchter sollten bald das Glück der Familie krönen. 1996 wurde Elman Ali Ahmed bei einem Anschlag getötet, aus Furcht um ihre Kinder flüchtete die Mutter, Fartuun Adan, mit ihnen für zehn Jahre nach Kanada, um anschließend zurückzukehren und die Arbeit von „Elman Peace“ wieder aufzunehmen. Denn der Bürgerkrieg war weitergegangen – auch mit Interventionen von umliegenden Staaten und deren Militärs.
Fartuuns Tochter, Ilwad Elman, schloss sich wenige Jahre später ihrer Mutter und deren Friedensprojekt an und gemeinsam rollten sie ihre Aktivitäten kontinuierlich über ganz Somalia aus. Dass Frieden mit Sicherheit, Gerechtigkeit und der Akzeptanz und dem Schutz der Menschenrechte einhergeht, ist Commonsense. Dass Bildung und Arbeit genauso dazugehören wie Fragen der Gleichstellung und des Umweltschutzes, erforderte noch Überzeugungsarbeit, die bis heute andauert. In einem Land, in dem immer noch weniger als die Hälfte der Bevölkerung alphabetisiert ist und das massiv unter der Klimaveränderung und daraus folgenden Hungerkrisen leidet. So gründeten die beiden mutigen Frauen „Sister Somalia“ mit und halfen – verstreut über das Land – mit, Zentren zu errichten, in denen Frauen nach Vergewaltigungen oder anderen geschlechtsspezifischen Gewaltakten Schutz und Unterstützung finden. Medizinische Hilfe wird dort ebenso geboten, wie psychischer und sozialer Beistand. Weil vor allem in Mogadischu immer wieder Säuglinge – meistens aus der Not der Mütter heraus – einfach auf den Straßen abgelegt wurden, etablierten die Friedensaktivistinnen Heime mit entsprechenden Sozial- und Bildungsangeboten, damit auch solche Kinder von Anfang an eine Chance für ein glückliches und wertvolles Leben erhalten.
Wie auch in anderen Bürgerkriegsländern gibt es in Somalia Kindersoldaten, die Schreckliches erlebten, oft traumatisiert sind und trotzdem wieder in eine zivile Gesellschaft integriert werden sollen. Die Herstellung der psychischen Gesundheit dieser Kinder erfordert neben einem intakten sozialen Umfeld auch die spürbare Sicherheit, Verständnis und Zuneigung. Dabei wird immer wieder auf neueste Therapieformen zurückgegriffen, wie in der Laudatio bei der Verleihung des „Right Livelihood Awards“ zu vernehmen war. Und erst vor vier Jahren gründete „Elman Peace“ gemeinsam mit der UNO das Netzwerk „Peace by Africa“, das zivile gesellschaftliche Organisationen unterstützt, ihre Wirksamkeit zu stärken. Gelingen soll das über eine Vernetzung solcher Organisationen untereinander, aber auch mit internationalen Experten, wo Räume entstehen, um Wissen und Erfahrungen auszutauschen, voneinander zu lernen und den Fokus auf funktionierende Vorzeigebeispiele zu richten, die dann auf nationaler und regionaler Ebene politisch wirksam werden sollen. Dass solche zutiefst humanen Anliegen und gesellschaftspolitischen Aktivitäten den Profiteuren von ungerechten Strukturen mehr als ein Dorn im Auge sind, führte wohl zur Ermordung der Tochter von Fartuun Adan, Ilwads Schwester Almaas
Elman. Die Diplomatin, die ebenfalls als Menschenrechtsaktivistin beim „Centre for Peace and Human Rights“ tätig war, wurde in Mogadischu auf dem Weg zum Flughafen in ihrem Auto erschossen.
Nur einen Monat davor, im Oktober 2019, war bekannt geworden, dass ihre Schwester
Ilwad auf die Shortlist für den Friedensnobelpreis aufgenommen wurde. Bekommen hat sie ihn nicht. Dass diese beiden Frauen, Mutter und Tochter, nun den Alternativen Nobelpreis, den „Right Livelihood Award“, überreicht bekamen, ist nicht nur eine späte Ehre für die ermordeten Familienmitglieder, sondern auch ein Zeichen für Mut, Entschlossenheit und Durchhaltewillen, wie sie nur selten auf unserem Erdboden zu finden sind. Das haben schon 2013 das Außenministerium der USA mit ihrem „Internationalen Preis für Frauen mit Mut“ und die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung 2014 mit ihrem Menschenrechtspreis anerkannt.
Foto: Fartuun Adan and Ilwad Elman. Foto Christian Gustavsson/Right Livelihood