Leben ist ein Zyklus. Wohnen auch – Let’s keep it circular!

Am Stadtregal. Bild expressiv, GERNER GERNER PLUS. heri & salli

Das „Stadtregal“ in Wien zeigt, wie geförderter Wohnbau aussehen kann: Vielfalt auf allen Ebenen und nachhaltige Kreisläufe, bis hin zur Toilette, wo die „Urin-Falle” das kleine Geschäft zum Big Deal für die Umwelt macht.

Von Nina Kaltenbrunner

Wie sieht die Zukunft des Wohnbaus aus? Bevölkerungswachstum, Klimawandel, Energiekrise, Teuerung und Wohnungsknappheit fordern Städte heraus. Die Ansprüche ans Wohnen steigen ebenfalls: zentrumsnah, aber grün, gute Infrastruktur, aber leistbar, gute Verkehrsanbindung, dennoch ruhig. Auch neue Nutzungsformen, wie Wohnen und Arbeiten, sollen berücksichtigt werden. – Aktuell lebt bereits mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Ballungszentren, bis 2050 werden es mehr als zwei Drittel sein. Wie kann die Stadt der Zukunft wachsen und dabei lebenswert bleiben? – Vom Bauträgerwettbewerb über Stadtentwicklungsgebiete zum „Stadtregal“, einem zukunftsweisenden Wohnbauprojekt in Wien, das generationen-übergreifend konzipiert und der Nachhaltigkeit verpflichtet ist.

Was Bauen? Bauträgerwettbewerbe
In Wien entscheiden öffentliche Bauträgerwettbewerbe, in welcher Form zukünftige Wohnbauprojekte realisiert werden. Seit 1995 ist der Wettbewerb fixer Bestandteil im geförderten Wohnbau und Garant für Qualität und hohes Niveau. Gilt es doch, den besten Anbieter für den Bau eines Wohnbauprojekts auf einem bestimmten Bauplatz zu finden. Bewertet und ausgewählt werden die Einreichungen von einer interdisziplinären Fachjury nach den Kriterien Architektur, Ökonomie, Ökologie sowie soziale Nachhaltigkeit. Die Gewinner (Bauträger/Architekten-Teams) erwerben die Bauplätze mit der Verpflichtung, die jurierten Projekte kostentreu zu realisieren.

Wo Bauen? Stadt(teil)entwicklung. Beispiel Eurogate, Wien
Ein Paradebeispiel für zukunftsweisende Stadtentwicklung ist das Projekt Eurogate auf den ehemaligen Aspanggründen im dritten Wiener Gemeindebezirk. Nach der ersten Bauphase entstand hier bereits die größte Passivhaussiedlung Europas. In Bauphase II („Village im Dritten“) soll bis 2027 ein ökologisch nachhaltiges, elf Hektar großes Stadtquartier mit rund 2.000 Wohnungen fertiggestellt werden, die Hälfte davon gefördert. Das Zentrum des neuen Areals bleibt autofrei, in der Mitte des neuen Grätzels befindet sich ein zwei Hektar großer Park.

Wie Bauen? Beispiel: Am „Stadtregal“
Mit dem Vorzeigeprojekt „Stadtregal“ konnten die Architekten GERNER GERNER PLUS gemeinsam mit heri&salli und ARWAG den Wettbewerb um den Eurogate II-Baugrund 10 für sich entscheiden. Das „Stadtregal“ sind vier verschiedene Gebäude, die mehr als vier eigene Wände bieten. Das Wohnensemble in vier Punkten:

1. Das Regal: Bewegung, Kommunikation, Interaktion
Ein lebendiges Bauwerk wie das „Stadtregal“ hat auch ein Gesicht: das Regal. Der eigenständige Architekturkomplex ist den Wohnbereichen vorgestellt, kommuniziert und interagiert mit der Umgebung. Hier wird die gesamte Vielfalt des Wohnensembles zur Schau gestellt: „Das Regal ist sehr bunt, sozial nachhaltig, flexibel in der Nutzung – hier passiert ganz viel, das wollen wir sichtbar machen”, erläutert Architekt Matthias Bresseelers von GERNER GERNER PLUS. Neben Mikro-Einheiten, die für Arbeiten oder Wohnen von den Bewohnern auch kurzfristig zugeschaltet werden können, und temporären Starterwohnungen sowie Studenten-WGs, sind über die Geschosse auch Freiräume mit offener Nutzung verteilt. Das gesamte Erdgeschoss ist für Interaktion nach außen offen und bildet mit Öko-Spielplatz, Quartier-Kino, einem Jugendtreff und der Lehr-Konditorei „Kuchenamt“ unter anderem auch für die Nachbarschaft attraktive Grätzel-Spots.

2. Wohnen: Individualität, Rückzug, Sein
Wohnbedürfnisse verändern sich im Laufe der Zeit. Im „Stadtregal“ ermöglichen flexible Grundrisse den wechselnden Anforderungen gerecht zu werden. In zwei niedrigen, in rückbaubarer Holzhybridbauweise errichteten Baukörpern, befinden sich Wohnungen mit beidseitiger Belichtungs- und Belüftungsmöglichkeit, die teilweise mit Maisonette-Wohnungen kombiniert sind. Im turmartigen Ostgebäude eignen sich Clusterwohnungen, die um Gemeinschaftsräume angeordnet sind, für Personen mit ähnlichen Bedürfnissen wie zum Beispiel Alleinerzieher (z. B. Kinderbetreuung, Rückzug) oder Senioren (Gesellschaft etc.). Alle Wohnungen verfügen über großzügige, meist in den ruhigen Innenhof ausgerichtete Freiräume mit integrierten Pflanztrögen inklusive Bewässerungskits für urbanes Garteln.

3. Freiraum: Durchatmen, Chillen, Garteln
Ein hoher Grünanteil und robuste Klimagehölze wie Felsenbirne, chinesische Wildbirne, Lederhülsenbaum und Zieräpfel kennzeichnen die Freiraumgestaltung. Ein Hain mit Kleingehölzen im Hof als kühler Rückzugsort, am Dach ein Wasser-Spiel-Deck als Highlight für Kinder und, gemeinsam mit dem Klima-Garten-Deck, schattenspendende Aufenthaltsorte. Hochbeete, Bienenstöcke und blühende Insektenweiden machen das Dach zu einem vitalen Gemeinschaftsbereich. Auf der stark durchgrünten Fassadenlandschaft wird es ebenfalls brummen.

4. Ökologische und soziale Kreisläufe
Das „Stadtregal“ ist intensiv mit Umwelt und Klima verwoben, und zahlreichen ökologischen Kreisläufen verpflichtet. Die Einspeisung von Energie von der Abwasserwärmerückgewinnung und einer Photovoltaik-Anlage tragen zu einer jährlichen Reduktion von 41 Tonnen CO2 bei. Die Versorgung der Gebäude mit Heiz- und Kühlenergie erfolgt primär über Geothermie. In den Gemeinschaftsräumen kommen Second-Hand-Möbel zum Einsatz und die Energie, die im Fitnessraum beim Geräte-Training entsteht, kann in Strom umgewandelt und in das hausinterne Stromnetz eingespeist werden. Ein Meilenstein in puncto nachhaltigem Abwassermanagement ist die Urin-Separationsanlage, die hier erstmalig in größerem Maßstab zum Einsatz kommt. Sie trennt Urin von Fäkalien und macht ihn zu wertvollem Dünger, der in den Grünflächen wiederverwertet werden soll.

Das Klo für eine bessere Welt
„Save!“ heißt die erste Separationstoilette der Welt, die „Laufen“ gemeinsam mit dem österreichischen Designstudio EOOS und der Eawag (Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz) zur Serienreife entwickelt hat. Die Schlüsselinnovation des Produkts ist eine von EOOS Design entwickelte „Urin Trap“, die Urin unter Ausnutzung der Oberflächenspannung in einen getrennten Ablauf ableitet und dadurch zwei Probleme an der Schnittstelle zur Kanalisation löst: die teure und aufwändige Aufbereitung von Urin im WC-Abwasser und die Verschwendung von wertvollen Ressourcen. In Folge werden Küsten, Flüsse und Meere nachhaltig vor dem Stickstoff, der im Urin enthalten ist, bewahrt. Die folgende Algenbildung wird vermindert, die Flussmündungen und Küstengebiete zu „Dead Zones“ macht.
Mit „Save!“ wird ein neues Kapitel im nachhaltigen Abwassermanagement aufgeschlagen: Der gesondert gesammelte Urin lässt sich im besten Sinn von Upcycling so extrahieren, dass der gereinigte Rest als wertvoller Dünger in Grünflächen und Landwirtschaft einsetzbar ist.
„Es ist ein völliger Wahnsinn: Wir nehmen Nährstoffe über die Nahrung auf und einen Großteil scheiden wir dann wieder aus. Dass man diese Nährstoffe wieder zurück in die Landwirtschaft bringt, ist irgendwie total logisch.” (Harald Gründl, EOOS)
Laufen save! Illustration grafisches Buero.
Foto Laufen save! Laufen

„Was ist einer der maßgeblichen Erfolge von Wohnen? Das Potenzial, Gemeinschaften zu bilden – Dafür steht das Stadtregal.”
Weil Wohnen sich nicht nur auf die eigenen vier Wände beschränkt, sollen möglichst vielfältige Querbeziehungen zwischen den Bewohnern und den verschiedenen Einrichtungen des Projekts aktiviert werden. Studierende können sich bei Vermittlungsangeboten für Kinder engagieren, Schüler Patenschaften für die Hühner, die am Dach vorgesehen sind, übernehmen. Deren Eier nutzt – ebenso wie den Bio-Honig vom Dach – die Lehr-Konditorei im Erdgeschoss, die auch den Öko-Spielplatz gastronomisch versorgt. Dadurch entsteht ein vielfältiger Lebensraum, in dem auch die Bedürfnisse kommender Generationen nachhaltig mitgedacht werden – Heute für morgen bauen.


Am Stadtregal
Architekten: GERNER GERNER PLUS, heri&salli
Wettbewerb: 2021 – 1. Preis
Baubeginn: 2022
Auftraggeber: ARWAG Living in Town GmbH
BGF: 15.084 m²
Wohneinheiten: 127 + MA11
Landschaftsplanung:
Carla Lo Landschaftsarchitektur, Wien
Soziale Nachhaltigkeit:
art: phalanx Kommunikationsagentur GmbH


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