Lieferkette von A bis Tset

Unternehmen und Industrie stehen vor der Herausforderung, ihren CO₂-Fußabdruck zu minimieren, ohne Kosten zu erhöhen. Die Wiener Firma „Tset“ hilft, Einspar- und Optimierungspotenziale von der Produktentwicklung bis zum Vertrieb zu finden und so nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Von Doris Neubauer
Europas Unternehmen sind sich ihrer Verantwortung in Sachen Klimawandel bewusst. Das lässt eine aktuelle Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC vermuten: 75 Prozent der 1.254 befragten CEOs in 20 EU-Mitgliedsstaaten haben Maßnahmen zur Reduktion ihrer CO₂-Emissionen umgesetzt oder arbeiten daran. In Österreich sind es sogar neun von zehn. Einsparungen sind notwendig, und das vor allem in der Industrie, ist das verarbeitende Gewerbe laut dem Datenportal Statista doch für etwa ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Nicht zuletzt seit der Corona-Pandemie hat die Branche die Dringlichkeit einer nachhaltigen Produktion erkannt. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der „Boston Consulting Group“ (BCG): 79 Prozent der befragten 1.800 Manager aus der Industrie haben sich demzufolge bis 2050 Netto-Null-Emissionen zum Ziel gesetzt. Anders als bei Klima- oder CO₂-Neutralität, bei der entstandene Emissionen durch Maßnahmen wie Zahlungen kompensiert werden, soll dabei das Ausstoßen von Treibhausgasen verringert werden.
Um CO₂, Methan und andere schädliche Abgase zu reduzieren, könnte ein Bauteil so konstruiert werden, dass weniger Material verbraucht wird. Oder es könnte aus einem nachhaltiger hergestellten Werkstoff produziert werden. Oder man könnte durch die Wahl eines näher gelegenen Lieferanten Transportwege verkürzen. „Unternehmen müssen hier im großen Universum der Möglichkeiten das Richtige finden, ohne dass die Kosten explodieren“, sagt Jakob Etzel von „Tsetinis Software GmbH“ – kurz „Tset“ . Gerade in der frühen Phase der Produktentwicklung gestaltet sich das allerdings aufgrund zahlreicher Variablen schwierig. Genau dabei möchte „Tset“ unterstützen. 2018 von Andreas „Tset“ inis und Sasan Hashemi gegründet, hat das Wiener Scale-up eine standardisierte Software auf den Markt gebracht, mit deren Hilfe die Kosten sowie Treibhausgasemissionen eines bestehenden oder geplanten Produkts effizient analysiert und optimiert werden können. „Wir schaffen Transparenz in Was-wäre-wenn-Fragen und schauen, wo Kosten und CO₂ sowie andere Treibhausgase entstehen“, erklärt der Customer Success Experte Etzel und bringt ein Beispiel: Der Lieferant eines Staubsaugerherstellers bietet an, ein Bauteil statt aus Stahl aus einem alternativen Material zu produzieren. Mithilfe von „Tset“ kann der Hersteller herausfinden, was den geringsten Fußabdruck zurücklässt und sich ökonomisch rentiert. „Den Klimaschutz per se verbessern wir nicht“, stellt der Mathematik- und IT-Experte klar, „wir liefern aber die Informationen, damit andere Entscheidungen treffen können.“
Magie der Simulation
Die Kalkulation des CO₂-Fußabdrucks umfasst bei „Tset“ die gesamte Wertschöpfungskette. „Cradle to Gate“ heißt das im Fachjargon – von der Wiege bis zum Fabrikstor. Herangezogen werden Rohmaterialgewinnung, einmaliger Aufwand und sämtliche Fertigungsprozesse entlang der Lieferkette bis das Produkt die Fabrikhallen verlässt. Die Software zeigt nicht nur den Gesamtwert an, sondern auch wie sich dieser zusammensetzt. „Ab der ersten Minute, in der ein Kunde den Zugriff zur Software bekommt, kann er CO₂-Kalkulationen simulieren: Was passiert, wenn ich den Standort des Lieferanten von Frankreich auf Polen wechsle oder statt herkömmlichem Strom auf Grünstrom setze“, sagt Etzel, „da liegt die Magie.“
Dieser Zauber beruht bei „Tset“ auf zwei Zutaten: Algorithmen, die Bauteile beschreiben und daraus einen idealen Fertigungsprozess ableiten können, und große Stammdaten. „Unternehmen kennen die eigenen Fertigungsprozesse und haben viele Daten dazu aus der Vergangenheit. Um eine sinnvolle Entscheidung zur Konstruktion zu treffen, muss man aber auch verstehen, was in der vorgelagerten Lieferkette passiert“, erklärt Etzel, der seit 2019 für das Scale-up tätig ist. „Tset“ hat diese Information: Daten zu Fertigungsprozessen, Maschinen, weltweiten Faktorkosten wie Lohnkosten, aber auch CO₂-Emissionen sind in der Datenbank abgespeichert. Diese Daten sind von den Informationen, die die Kunden in die Software hineinspielen, strikt getrennt. „Letztere gehören dem Kunden und werden von uns nicht für andere Zwecke verwendet“, so der Vertriebsexperte. Datensicherheit hätte das rund 70-köpfige Team anfangs stark beschäftigt. Inzwischen hat es eine „sehr gut gelungene“ Lösung gefunden: „Unsere Cloud-Infrastruktur liegt ausschließlich in Deutschland bei High-Class-Anbietern“, sagt Etzel, „außerdem sind wir selbst als Unternehmen TISAX zertifiziert, einem vom Verband der Automobilindustrie freigegebenem Prüf- und Austauschmechanismus.“

„Den Klimaschutz per se verbessern wir nicht, aber wir liefern die Informationen, damit andere Entscheidungen treffen können.“
Jakob Etzel. Foto Tset
Vorsprung der Autoindustrie
Hauptsächlich aus der Autoindustrie kommen auch die Kunden des Scale-ups. „Die Automobilindustrie hat verstanden, dass man in Produkten und den Lieferketten CO₂-Entscheidungen mitdenken und in einer holistischen Betrachtung umsetzen muss“, begründet Etzel, „andere Industrien hinken noch zwei bis drei Jahre hinterher, werden aber schnell aufholen.“ Wachsen möchte „Tset“ in den Bereichen landwirtschaftliche Maschinen, Freizeit-Vehikel, Baumaschinen- und Haushaltsgerätehersteller. Weiteres Potenzial sieht Etzel im Maschinenbau, in der Luft- und Schifffahrt, kurz: „überall, wo in großem Stil industriell gefertigt wird“.
In absehbarer Zeit werde Kostenmanagement, das Profitabilität und Nachhaltigkeit verbindet, ohnehin jeden beschäftigen. Schon seit dem Sommer sind im Rahmen der „Corporate Sustainability Reporting Directive)“ (CSRD der Europäischen Union Richtlinien für eine einheitliche Nachhaltigkeitsberichterstattung in Kraft. Zudem verpflichtet der „Carbon Border Adjustment Mechanism“ (CBAM) produzierende Unternehmen der EU, vierteljährlich nachzuweisen, in welchem Umfang sie emissionsintensive Güter wie Zement, Stahl und Eisen, Aluminium, Düngemittel, elektrische Energie und Wasserstoff von außerhalb der EU importiert haben. Ab 2026 müssen diese Emissionen durch CO₂-Zertifikate ausgeglichen werden. Diese Entwicklungen spielen „Tset“ in die Karten. „In fünf Jahren wird die Mehrheit der Unternehmen der Automobillieferkette und weißen wie gelben Ware unsere Software verwenden“, blickt Etzel entsprechend optimistisch in die Zukunft. Das heißt, besonders No-Name-Produkte und Haushaltsgeräte sowie schwere Geräte wie Baumaschinen sollen künftig das Angebot nutzen. Um Kunden wie diese weltweit besser servisieren zu können, arbeitet das Team an der Erweiterung der Vertriebskanäle. Neue Algorithmen sollen zusätzliche Transparenz und Simulationsmöglichkeiten bieten.
„Das hilft aber alles nicht, wenn es nicht weltweit ein halbwegs einheitliches Vorgehen gibt im Klimaschutz“, weist Etzel auf die Grenzen dieser Bemühungen hin, „solange einzelne Länder ausscheren und CO₂ geringer besteuern, wird die Industrie abwandern und unterm Strich wird wenig Einsparung übrig bleiben.“ Insbesondere für Unternehmen wie Autohersteller, die sieben bis zehn Jahre in eine Produktentwicklung investieren, seien Planungssicherheit und klare Vorgaben notwendig. Andernfalls halten sich Betriebe beim Klimaschutz zurück aus Sorge, danach im Regen zu stehen. Deshalb fordert er global einheitliche Regularien. „Das ist aber nicht Aufgabe der Unternehmen“, sieht der Mathematiker die Verantwortung bei der Politik und fügt hinzu: „Auch nicht Aufgabe von Software-Anbietern.“