Maria

Foto Stefan Fürtbauer
Von Sarah Kleiner
Im Café Schopenhauer ist mehr los als sonst, meint Maria Hofstätter, und setzt sich. Geschirr klirrt im Hintergrund, eine Handvoll Tische um uns herum ist besetzt, die Kaffeemühle heult regelmäßig auf. Die Schauspielerin wuchs im oberösterreichischen Mühlviertel auf und kam durch Zufall erst zum Kabarett und dann zur Schauspielerei. Die vielen Theater- und Filmrollen, die sie inzwischen schon verkörpert hat, die von ihr selbst produzierten Inszenierungen, ihre regelmäßigen Fernsehauftritte – das österreichische Publikum ist froh um „seine Maria“. Freundlich und am Boden geblieben, so nehmen viele sie wahr. Bei einer Melange im Kaffeehaus bestätigt sich der Eindruck.
Du bist in Gramastetten auf einer Landwirtschaft aufgewachsen. Wie war das?
Maria Hofstätter: Es war ein kleinerer Bauernhof, er wurde von meinen Eltern noch im Vollerwerb betrieben. Damals hat man versucht, möglichst viel selbst zu produzieren, wodurch wir sehr vielfältig und nachhaltig aufgestellt waren, also alles andere als Monokultur. Als mein Bruder den Hof übernahm, rund um den EU-Beitritt Österreichs, war es für kleinere Bauern schon nicht mehr so leicht möglich, davon zu leben. Er war gezwungen, in Nebenerwerb zu gehen, obwohl sich die Dimensionen des Hofs nicht verändert hatten. Ich find‘s sehr traurig, dass man die Bauern dazu brachte, entweder in die Größe oder in ein Nischenprodukt zu gehen. Letzteres ist für einige, die sehr engagiert sind, eine Möglichkeit, aber nicht für alle.
Hast du je überlegt, den Hof zu übernehmen?
Nein, ich habe sehr viele Brüder, zum Glück hat sich einer von ihnen dazu bereit erklärt. Auch das war schon nicht mehr selbstverständlich und ich hätte es nicht wollen, ich wollte weg vom Dorf. Ich hatte aber immer großen Respekt vor der Tätigkeit und würde zum Beispiel lieber auf einem Bauernhof arbeiten als in einer Fabrik, weil es selbstbestimmter und eine sinnlichere, eine erfüllendere Tätigkeit ist. Aber mein Traumberuf war es nicht.
Was war dein Traumberuf?
Ich hatte einen ganz konkreten Wunsch. Als ich jünger war, war von der Aufarbeitung des Nationalsozialismus noch überhaupt keine Rede, da war Österreich noch „das erste Opfer“ und wollte sich mit nichts aus der Zeit beschäftigen. Das hat erst mit der Waldheim-Affäre an Fahrt aufgenommen. Mein Ziel war damals, in dem Bereich tätig zu werden. Ich wollte die Matura machen, um dann Geschichte studieren zu können und mich auf Zeitgeschichte zu spezialisieren. Es gab so viele Bereiche, wie zum Beispiel das Euthanasieanstalt Schloss Hartheim, wo keine historische Aufarbeitung stattfand und ich wollte immer, dass endlich etwas passiert, solange es noch Zeitzeugen gibt.
Wie kam es dann, dass du zum Theater gegangen bist?
Ich habe zu studieren begonnen und Freunde kennengelernt, die Kabarett machten, und die glaubten, dass ich das auch kann. Ich hab‘ versprochen, einmal hinzugehen und es auszuprobieren. Und es hat Spaß gemacht. Da war auf einmal dieses Ventil, über das man viele Probleme thematisieren konnte, die einem wichtig sind; ein Forum, um sich auszudrücken. Dann kommt man auf einmal zu professionelleren Auftrittsorten, es gibt die ersten Kritiken und irgendwann war klar, wenn ich weitermachen will, muss ich mehr Zeit investieren.
Und das Studium?
Die Diplomarbeit hätte sehr viel Zeit erfordert, um nachher in dem Bereich wirklich ein Chance zu haben, beim Kabarett war es aber genauso. Die Entscheidung fiel mir definitiv nicht leicht, aber irgendwann war sie da. Ich bin ja jemand, der gerne zweifelt, also es gab Situationen, in denen ich hinterfragt habe, ob die Schauspielerei das Richtige für mich ist; ob ich die Nische finde, in der ich mich wohlfühle. Letzten Endes ist es eine Glückssache. Wen lernt man kennen, welche Angebote bekommt man, aber auch, was macht man selbst? Im Hinterkopf habe ich mir stets die Türe offengelassen, dass es die Schauspielerei nicht sein muss. Ich hätte mir zum Beispiel auch immer einen Sozialberuf vorstellen können.
Du hast beginnend mit 1995 das Projekttheater Vorarlberg geleitet, gemeinsam mit Dietmar Nigsch. Verbindet dich etwas mit Vorarlberg?
Mittlerweile haben wir aufgehört dort zu produzieren, wir haben gesagt, jetzt sollen die Jungen ran. Wenn uns wieder einmal etwas unter den Nägeln brennt, können wir das aber noch machen. Wie vieles hat sich das Projekttheater eher zufällig ergeben. Ich war damals für eine Produktion im Theater Phönix engagiert und mit mir Kollege Nigsch, der aus Vorarlberg stammte, aber auch in Wien lebte. Er hatte schon Produktionen dort gemacht, weil es ihm wichtig war, Texte zu zeigen, die sonst nicht gezeigt würden. Anfang der 1990er gab es nur das Landestheater, keine freien Theatergruppen, das war sozusagen totes Gelände. Ihm war wichtig, auch Stücke von Thomas Bernhard oder Werner Schwab zu inszenieren. Wir haben uns gut verstanden und nachdem auch ich schon zwei, drei Produktionen selbst gemacht hatte, haben wir beschlossen, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Das war so eine feine Zusammenarbeit, dass sie sich über lange Zeit erstreckt hat.
Vieles in deinem Leben scheint sich zufällig ergeben zu haben – inwieweit findet der Schauspieler die Rolle und inwieweit findet die Rolle ihn oder sie?
Bis zu einem gewissen Grad hat jede Rolle, bei der man zusagt, etwas mit einem selbst zu tun, alleine weil es dein Körper ist, deine Stimme. Man stellt sich der Figur in einer besonderen Art und Weise zur Verfügung. Würde jemand anderer die Rolle spielen, wäre sie immer eine Spur anders. Dann gibt es klarerweise Rollen, wo man nein sagt, weil man sich nicht mit der Figur oder dem Thema beschäftigen will.
Eine Rolle, die dich sehr interessiert hat, war die der Gefängnislehrerin im Film „Fuchs im Bau“ von Arman T. Riahi. Du hast im Vorfeld viel recherchiert, Gespräche geführt, Gefängnisschulen besucht. Bereitest du dich immer so viel vor?
Das kommt darauf an, was von mir gefordert wird. Es gibt Rollen, auf die ich mich intensiv vorbereiten muss, weil ich zu wenig über die Figur oder ihr Umfeld, ihren Beruf weiß. Dann gibt es welche, die mir viel vertrauter sind, weil sie mehr mit mir selbst zu tun haben oder ich Erfahrungen in dem Bereich habe, da schränkt sich die Vorbereitung ein. Bei „Fuchs im Bau“ war es so, dass ich keine Ahnung vom Gefängnis hatte, geschweige denn von Pädagogik. Außerdem war klar, dass Laien die Gefängnisschüler spielen würden und es gab kein richtiges Dialogdrehbuch. Da musste ich mich damit beschäftigen, wie man mit schwierigen Jugendlichen umgeht, wie der Gefängnisalltag abläuft, wie Gefängnislehrer unterrichten.
Du hast vergangenes Jahr für die Rolle den deutschen Schauspielpreis erhalten, nur eine von vielen Auszeichnungen in deiner Karriere. Welche Ziele willst du in der Zukunft unbedingt erreichen?
Ich habe das in meinem Leben eigentlich nie so betrachtet, ich habe in der Hinsicht keine konkreten Ziele. Ich wollte nie unbedingt einen Schauspielpreis gewinnen, natürlich freue ich mich sehr, aber das war nie mein Ziel. Da bin ich ein Mensch, der in der Gegenwart lebt, der hofft, dass das alles so bleibt, dass ich von meiner Arbeit leben kann, dass sie mich auch noch längere Zeit interessiert und dass ich mit Menschen arbeiten kann, die ich schätze und mag. Das sind eigentlich meine Ziele. Und dass i g‘sund bleib‘.
Maria Hofstätter wurde 1964 in Linz geboren und hatte ihre ersten Auftritte in den frühen 1980er Jahren. Neben zahlreichen Inszenierungen im Projekttheater Vorarlberg war sie auf der Volksbühne Berlin, im Wiener Rabenhof Theater, dem Stadttheater Klagenfurt und auf zahlreichen weiteren Bühnen zu sehen. Kürzlich verkörperte sie die aus der griechischen Mythologie stammende Figur der Baubo im Wiener Kosmos Theater. Zu ihren bekanntesten Filmauftritten zählen beispielsweise die Rollen in der Paradies-Trilogie von Ulrich Seidl. 2023 wird sie im Film „Des Teufels Bad“ von Severin Fiala und Veronika Franz in den Kinos zu sehen sein.