Martin Gruber

Mein Wunsch von Martin Gruber

In der Arbeit mit meiner Compagnie verhält es sich so, dass die Wünsche der einen mit jenen der anderen unter einen Hut zu bringen sind. Was verbindet, ist die gemeinsame Vision. Verlasse ich die Blase meines Ensembles und begebe mich in jene meines Wohnhauses, wird die Sache mit den gemeinsamen Visionen und Wünschen schon etwas komplizierter. Vor allem, wenn es um das Politische geht.
Nachbarin A meint, im Zuge des Ordnens der Recyclingsäcke vor unserer Garage, dass ihre Wünsche an die Politik während der Corona-Krise missachtet wurden und Nachbar B, der sich dazugesellt, ist sich sicher, dass ohne eine Persönlichkeit wie einst Bruno Kreisky sowieso nichts funktionieren kann. Diese Ansicht teilt C ganz und gar nicht und urgiert, während sämtliche Müllsäcke von ihm umgeordnet werden, eine vernünftige Mitte. Auf Nachfrage, was und wer denn diese Mitte sei, fügt er, als Referenz, die von ihm gewählte Partei hinzu. Nachbarin A kommt nun mit Schnaps und Gläsern für alle, findet aber, dass diese Gespräche überhaupt nichts bringen und sich „die da oben“ ohnehin alles ausmachen. Das denkt D zwar nicht, ist aber der festen Überzeugung, dass Klimakrise und Kriege uns letzten Endes den Garaus machen. Die präzise Sortierung der Säcke sollte derweil mithilfe von Nachbar D zur Finalisierung kommen. Nachbar B meint, der ganze Müllhaufen sähe zwar ziemlich schlampig aus, er findet aber auch, dass jetzt genug Platz sei, um zum Fahrradraum zu gelangen. Man ist sich nun einig und freut sich über den selbstgebrannten Schnaps.

Den Versuch, ein Gemeinsames zu finden, um den Schauplatz abermals zu wechseln, haben unlängst auch drei politische Parteien zwecks Regierungsbildung unternommen. Die einen schienen das Wohl der Gesellschaft in der Privatwirtschaft, die anderen in einer gerechteren Verteilung des Wohlstands zu suchen. Durchgesetzt hat sich dann aber ein lachender Vierter, weil er ja ursprünglich als Sieger durchs Wahl-Ziel gegangen ist. Um seine Wünsche wahr zu machen, braucht er zwar einen Partner, das ist aber nicht weiter schwer. Einer von denen mit den Privatwirtschaftsinteressen hat sich nämlich so sehr für sein Privates interessiert, dass er all seine anderen Wünsche ganz schnell bereit war über den Haufen zu werfen. Also all jene, die er über Jahrzehnte auf unzähligen Kanzeln formuliert hat. Das Problem, das sich jetzt aber auftut, ist, dass sich der Erste für die Wünsche aller anderen ganz und gar nicht interessiert. Auch nicht für die des neuen Partners. Diese sogar noch zu bekämpfen sucht. Das alles mit der Begründung, dass eben er als Erster durchs Ziel gegangen ist und darum, wie der in Amerika, genau sagen kann, was an welchen Platz gehört und was auszusortieren ist. So, dass endlich alles seine (also die einzig von ihm gewünschte) Ordnung hat.

Jetzt aber nun zu meinem Wunsch: Ich wünsche mir ein bisschen weniger Ordnung und mehr Visionen. Und keine oder viele Sieger. Ich wünsche mir, dass die Wünsche aller, auch jener, die noch kommen werden, Platz haben und dass nur diese Wünsche aussortiert werden, die einander wirklich widersprechen. Welche das sind, so wünsche ich mir, werden wir dann gemeinsam ausschnapsen.

Martin Gruber ist Regisseur, Autor und Leiter des „aktionstheater ensemble“. Gruber erhielt mehrere Auszeichnungen, unter anderem den Nestroy-Theaterpreis, den Österreichischen Kunstpreis und „Vorarlberger des Jahres“ in Wien. Mit seinem Ensemble erarbeitet Martin Gruber Theaterstücke, die sich mit den Auswirkungen des Politischen auf das Individuum auseinandersetzen.


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