Medienfasten

Kolumne von Sarah Kleiner, Foto: Ursula Röck

Wir machen eine Ausgabe über Verbundenheit”, sagte ich vor einigen Wochen bei einem Spaziergang zu einem Kollegen. Er lachte auf. „Also das, was es nicht mehr gibt”, sagte er. Ja, genau das. Irgendwie hat mich seine Reaktion verwundert, aber irgendwie auch nicht. In unserer egozentristischen Welt mangelt es nicht an Einzelgängern und skrupellosen Opportunisten, die für Solidarität und Gemeinschaft nicht viel übrig haben. Aber wenn ich an mein persönliches Umfeld denke, dann spüre ich durchaus Verbundenheit, Verlässlichkeit, erlebe ich Fürsorge durch andere und von mir für andere.

Eine Kommunikationsform, die unser Miteinander zweifelsohne verändert, sind soziale Medien. So viele Vorteile uns eine digitalisierte Welt gebracht hat; so groß die Errungenschaft, dass wir uns mit jeder x-beliebigen Person am Globus austauschen können, so groß sind auch die Schattenseiten, die die Digitalisierung auf unsere Gesellschaft wirft. Das äußert sich nicht nur in extremen Fällen medialer Hetzjagden, die Menschen in die Verzweiflung treiben, oder in der voranschreitenden Manipulation der öffentlichen Meinung. Das äußert sich auch in unserer wachsenden Mediensucht. Blickt man sich in der U-Bahn, Straßenbahn, in Restaurants, Museen oder auf öffentlichen Plätzen um, so ist das Bild oft dasselbe: Menschen, die sich selbst fotografieren, für Social-Media posieren; Menschen, die in ihre Smartphones starren – Augenkontakt unerwünscht.

Die Statistik-Plattform Statista hat in Kooperation mit dem Marktforschungsinstitut Marketagent vor zwei Jahren 993 Menschen in Österreich zu ihrer Mobiltelefonnutzung befragt. Neben den rund 30 Prozent, die vom Handy geweckt werden, gaben etwa 35 Prozent der Befragten an, innerhalb von zehn Minuten nach dem Aufwachen das Handy das erste Mal nach Neuigkeiten zu checken. 68 Prozent meinten, sich ein Leben ohne Handy eher oder gar nicht vorstellen zu können. Vor etwa einem Jahr wurden mehr als 13 Millionen mit dem Internet verbundene Mobiltelefone in Österreich registriert – weit mehr, als das Land Einwohner hat. Die durchschnittliche Nutzungsdauer sozialer Medien liegt laut Statista bei etwa 82 Minuten am Tag. Bei jungen Menschen erreicht sie Höhen von mehreren Stunden.

Ich selbst kann mich von diesem problematischen Umgang mit Social-Media nicht ausnehmen. Meine Bildschirmzeit allein auf Instagram betrug an Wochenenden zuletzt an Spitzentagen bis zu vier Stunden. Vier Stunden, die ich mit dem Scrollen durch anonyme Kurzvideos, mit Katzen- und Hundecontent, mit sinnbefreiten „Challenges“ verbracht habe, wo Menschen Käsescheiben auf die Stirn ihres Babys oder Kleinkinds klatschen und dessen Reaktion filmen. Mit „Kochrezepten“, bei denen US-Amerikanerinnen den Inhalt unterschiedlichster Konservendosen gemeinsam mit einem Block Cheddar-Cheese in eine Auflaufform gießen und das ganze eine vollwertige Mahlzeit nennen. („It smells so good!“) Natürlich waren auch informative und interessante Inhalte dabei, die aber mit jedem Swipe wieder aus dem Gedächtnis verschwinden. Vier Stunden „waste of time“. Ich war überrascht, aber gleichzeitig nicht ohne große Selbstüberwindung im Stande, diese Zeit zu reduzieren.

Vor einigen Woche habe ich deshalb ein Medienfasten gestartet. Kein Instagram am Smartphone mehr, lediglich berufliche Nutzung, die ich möglichst effizient und vom Laptop aus gestalte. Auf meinem Smartphone habe ich über die Einstellungen ein Limit für die maximale Bildschirmzeit gesetzt, das alle Apps betrifft. Ich versuche, nicht mehr als 30 Minuten am Tag aufs Smartphone zu schauen – was durchaus eine Herausforderung ist, probieren Sie‘s aus! Nach diesen 30 Minuten muss ich bei den einzelnen Apps zusätzliche Nutzungszeit freischalten.

An den ersten Tagen spüre ich eine Beunruhigung. Ich habe das Gefühl, nicht sichtbar zu sein. In den öffentlichen Verkehrsmitteln fallen mir die vielen Fahrgäste auf, die auf ihre Telefone starren, während sie ihren Kindern oder Freunden gegenübersitzen. Immer wieder will ich zum Handy greifen. Ich entsperre den Bildschirm und dann – weiß ich auf einmal nicht, was ich tun soll. Wenn es kein soziales Medium gibt, das man regelmäßig checken muss, macht es wenig Sinn, im Telefon zu stöbern. Wenn mich jemand kontaktiert, bekomme ich das ohnehin mit. Ich kann das Smartphone also mit gutem Gewissen zur Seite legen.

Nach einigen Tagen beginne ich, das Unbeobachtet-Sein zu genießen. Ich lese wieder mehr Bücher und Magazine. Ich kann mich besser auf den Text konzentrieren, konsumiere Nachrichten bewusster. Ich melde mich bei Freunden, von denen ich länger nichts gehört habe, weil sie nicht in den sozialen Medien präsent sind. Dadurch, dass nicht ständig ein vermeintlicher (digitaler) Schwarm Leute um mich herum ist, entscheide ich gezielter, mit wem ich Kontakt haben will. Abends beschäftige ich mich analog, mit persönlichen Treffen, mit Büchern, Haushalt und Dingen, die ich lange aufgeschoben habe. Mit Spaziergängen mit Bekannten.

Alles in allem habe ich das Gefühl, das Medienfasten tut mir gut. Ich merke, dass ich zufriedener sein kann, mit mir und meinem Leben, weil ich mich nicht ständig mit den geschönten Lebensversionen meiner Mitmenschen vergleiche. Ich bin mehr in der Realität. Es wird mir klar, dass es für eine Gesellschaft mit stärkeren Bindungen in erster Linie auf mein eigenes Verhalten ankommt. Und dass man dieses Verhalten auch mithilfe der Technologie verändern kann.

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