Mein Wunsch

Foto Inna Kravchenko

Von Anna-Elisabeth Mayer

Als im Februar unser Hund mit 15 Jahren im Sterben lag, gab es einen Wunsch, der in seiner Erfüllung traurig und schön zugleich war: noch eine Nacht möge er leben – so leben, dass der Tierarzt nicht gerufen werden muss –, noch eine Nacht; damit wir, meine Tochter und ich, ein letztes Mal mit ihm zusammen sind, so wie wir es immer davor waren; und für meine Tochter, die jünger als er ist, war es ein „immer“ gewesen. Für sie war es auch noch ein sehr kranker Hund, das Sterben ahnte sie nur. Sein Tod würde der erste Bruch des Versprechens eines Immerdar werden.

Es war eine besondere Nacht, die wir alle gemeinsam im Kinderzimmer verbrachten. Der Hund schlief auf seinem Kissen neben dem Bett meiner Tochter, die ebenfalls eingeschlafen war – die Hand, die ihn gerade noch gestreichelt hatte, auf seinem Fell. Nur ich war wach, sah auf die beiden Schlafenden: Leben und Tod so nahe beieinander. Es war still im Raum, bis auf die Atemzüge der Anwesenden. Die Brustkörbe hoben und senkten sich. Das Zimmer war erfüllt von der Nähe, deren Unmittelbarkeit in Auflösung, aber in diesen nächtlichen Stunden fast weihevoll war. Die silbernen Schnurvorhänge bewegten sich unmerklich und reflektierten das gedämpfte Licht einer kleinen Lampe. Ich saß im Bett, spürte die Nähe, die ein Tier ausstrahlt. Es ist eine Nähe, die beruhigt, eine Wärme, die etwas anzeigt: Es gibt über Sprache hinaus ein Zusammengehören, auch mit einem Tier.

Mein Wunsch ging diese Nacht in Erfüllung, wir waren noch einmal alle zusammen gewesen – so wie immer. Ich erzähle hier nicht davon, wie es war, als der Tierarzt den nächsten Vormittag kommen musste; wie viele Tränen mein Kind weinte, weil nichts mehr wehtut als ein Immer-Bruch. Nein, ich komme zum Wunsch zurück. Denn in diesem einen Wunsch liegt in gewisser Weise ein Großteil meiner Wünsche: Dass das Besondere des Zusammenseins geachtet wird, ja, dass es das Fundament zwischen Menschen (egal woher), zwischen Menschen und Tieren, Mensch und Natur ist. Dass daraus eine Gegenerzählung zu der Welt wird, die uns ununterbrochen zum Anhäufen von Dingen anhält: Was zählt, ist nämlich nicht die Gesellschaft von Dingen. Denn Dinge sind vielleicht nicht sterblich, aber kalt. Und noch so viel kann uns gehören – Zusammengehören ist mehr. Selbst wenn davon einzig eine Erinnerung bleibt, wie die an unseren Hund.

Anna-Elisabeth Mayer wurde 1977 in Salzburg geboren und lebt heute in Wien. Sie studierte Philosophie und Kunstgeschichte an der Universität Wien und absolvierte ihr Zweitstudium am Deutschen
Literaturinstitut in Leipzig. Für ihren Roman „Fliegengewicht“ wurde sie 2011 mit dem Literaturpreis Alpha ausgezeichnet. 2015 erhielt sie den Reinhard-Priessnitz-Preis. Diesen Sommer erschien ihr neuer Roman „Kreidezeit“, der sich mit der fortschreitenden Digitalisierung im Bildungsbereich auseinandersetzt.

Tipp der Redaktion
Lesung von Anna-Elisabeth Mayer, Di, 17. Oktober 2023, 19.30 Uhr
Kuppelsaal Vorarlberger Landesbibliothek
Infos auf: vlb.vorarlberg.at/was-passiert


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