Mein Wunsch
Foto Ian Ehm, friendship.is
Michaela Bilgeri
Ja, ich komme nicht umhin, bei „Mein Wunsch“ an Misswahlen zu denken. Obwohl ich, so glaube ich, noch nie eine Misswahl gesehen habe. Trotzdem habe ich das Bild vor Augen, wie eine Kandidatin nach der anderen lächelnd, mit Tränen in den Augen, vorne am Mikrofon steht und zeigen muss, dass sie neben ihrer perfekt sitzenden Abendgarderobe auch Emotionen und ein soziales Gewissen hat – „Ich wünsche mir Weltfrieden“ scheint beides zu erfüllen. Wenn dann auch noch die (meist männliche) Jury anerkennend und gerührt dazu nickt, verdreht es einem innerlich die Augen bei so viel Kitsch und Pathos.
Heidi Klum greift in der letzten Staffel von Germany‘s Next Topmodel (ja, das habe ich mir angeschaut!) auch in diese Kiste. „Ihre Mädchen“ sollen einen „emotionalen Brief“ über ihre tiefsten und sehnlichsten Kindheitswünsche schreiben, diesen dann vorlesen, an einen Luftballon hängen und ans Universum freigeben.
Ganz schön ungerecht, findet Anita. Denn während ihre Mitbewerberin Noëlla als Kleinkind von ihren Eltern im Kongo zurückgelassen wurde und unter ärmsten Verhältnissen bei ihren Großeltern aufwuchs, weiß Anita nicht, womit sie „die Leute mitreißen“ soll. Denn sie hat „leider keine traumatische Story“.
Es geht mir wie Anita. Ich habe keine traumatische Story, die diesen Text mitreißend macht. Meine Familie, meine Freundinnen und Freunde sind gesund, ich bin es auch, ich lebe in einem friedlichen Land, ich habe ein liebes Umfeld, an das ich mich in allen Belangen wenden kann, ich habe keinen Hunger und ich habe keinen Durst.
Und wenn Anita ihren Wunsch ans Universum entlässt, dass sie, seit sie ein Kind war, ein Model werden wollte, damit die Menschen zu ihr aufschauen – ja, eh. Sie hat sich nichts anderes gewünscht, weil sie es nicht musste. Und das ist ihr doch wirklich zu wünschen.
In der Volksschule war mein Lehrer gleichzeitig auch der Leiter des Kirchenchors. Und wenn im Dorf jemand gestorben ist und der Kirchenchor gesungen hat, nun, da musste die ganze Klasse eben auch mit zur Beerdigung. Ich hab diese Menschen nicht gekannt, die da gestorben sind. Aber ich fand es trotzdem immer ganz schrecklich traurig. Und ich habe mir dann immer gewünscht, dass ich vor allen sterbe, die ich mag, damit ich nie so traurig sein muss. Denn ich musste nie so traurig sein und die Vorstellung allein fand ich furchtbar.
Und während ich so grüble, wie dieser Text eigentlich enden soll, passiert das:
Ich bin gerade in Lingenau bei meinen Eltern zu Besuch und heute ist hier vor unserem Haus am Dorfplatz ein Dämmerschoppen. Es ist schon weit nach Mitternacht, die Musik ist noch laut und dann hör‘ ich ein paar Übriggebliebene mitsingen: „Ein bisschen Friede, ein bisschen Träumen und dass die Menschen nicht so oft weinen.“ Der Kitsch hat mich doch noch eingeholt. Und eigentlich find‘ ich es schön. Ein bisschen Frieden, ein bisschen Freude, ein bisschen Wärme, das wünsch ich mir. Ja, warum nicht doch einfach das.
Michaela Bilgeri, aufgewachsen im Bregenzerwald, studierte Schauspiel und Germanistik in Wien. Seit 2012 ist sie Ensemble-Mitglied des aktionstheater ensembles, 2015 hat sie den Kulturpreis des Landes Vorarlberg gewonnen. Sie war Chefredakteurin des Landjäger Magazins, des Best of Vienna (Falter) und ist Initiatorin der Landjäger Kürzestfilm Festspiele.