Mein Wunsch

Von Kurt Bereuter

Habe ich überhaupt einen Wunsch, also einen, der über das bloße Überleben und Gesundbleiben hinausgeht? Ich meine, eine unangenehme Nervosität in mir zu spüren. Habe ich vielleicht das Wünschen verlernt, oder vielmehr vergessen ob all der tagtäglichen Herausforderungen? Klar, materieller Wunsch fällt mir keiner ein. Dafür der, dass der Krieg in der Ukraine enden soll und mit ihm das Sterben und der ökologische Wahnsinn, dass wir als Menschheit überleben und unsere Kinder und Kindeskinder noch eine schöne, friedliche Welt vorfinden. Aber mein Wunsch – der müsste doch tatsächlich mehr mit meiner Existenz zu tun haben – mit dem, wie ich hinausgehalten bin in diese Welt. Habe ich überhaupt einen Wunsch?

Bin ich etwa schon zu alt (59) für einen Wunsch, zu saturiert oder – im Gegenteil – zu bescheiden und zu abgestumpft, um noch einen Wunsch zu haben? Muss ich denn einen haben? Keine Ahnung. Aber eigentlich habe ich im Leben immer Wünsche, immer Ziele gehabt – und es war gut so, das spüre ich. Größere und kleinere Ziele und die Wünsche dahinter haben mich motiviert und zum Machen angetrieben – und meistens wurden sie dann auch Wirklichkeit. Ich weiß schon, wer alle seine Ziele erreicht, hat sich zu kleine Ziele gesetzt, aber mir haben sie gereicht und ich bin und war mit ihnen zufrieden.

Und jetzt? Heute bringe ich auf diese einfache Frage keine Antwort zusammen. Was ist los mit mir? Brauche ich einen Psychiater, denn Vision habe ich auch keine (mehr), also keine, die über die Hoffnung hinausgeht, möglichst noch viele Jahre gesund zu bleiben und noch ein paar Jahre (wie viele denn?) Motorrad zu fahren, auf Berge zu wandern oder Touren zu machen und das Leben meiner Kinder zu verfolgen und mit ihnen Zeit zu verbringen – schöne, gute Zeit. Vielleicht mit Enkeln, die ich noch nicht habe, aber deren gedachte Körperwärme, Geruch und kindliches Lächeln mit einem Male anrührt.

Und tatsächlich merke ich, wie ich beginne mir zu wünschen, genau das: Opa zu sein. Das war bisher nie mein Thema, aber jetzt sehe ich es: mit kleinen Kindern und einer Geschichte einzuschlafen, mit ihnen das eine oder andere zu unternehmen, vielleicht sogar mit der Spannsäge oder dem Hammer ihnen beim Baumhausbauen zu helfen oder einen Hasenstall zu zimmern und ihnen die kleinen, flauschigen Wesen in die Armbeuge zu legen. Ja, ich spüre den Wunsch in mir hochsteigen und er ergreift mich und plötzlich sehe ich den alten Mann mit seinen Knieschmerzen auf dem Sofa und wie er die Salbe nimmt und in die Werkstatt geht und sein altes Motorrad richtet und seine Enkelin für eine Ausfahrt abholt. Werbung, ich weiß, aber so könnte mein Wunsch aussehen. Vielleicht hat gerade jetzt im Nachdenken über meinen Wunsch mein Geist – mein Denken – mein biologisches Alter eingeholt. Ja, das wünsche ich mir, dass mein Körper nicht schneller alt wird als mein Geist. Vielleicht ist gerade das jetzt geschehen. Danke, mein Wunsch. Schlaf gut, „Opa“.

Kurt Bereuter, 1963 in Alberschwende in eine Handwerkerfamilie geboren, studierte BWL, Philosophie und Politikwissenschaften, arbeitet als freier Journalist, selbständiger Organisationsentwickler und Moderator bei dem von ihm gegründeten Vorholz-Institut für praktische Philosophie. Er ist Vater von sechs Kindern zwischen 15 und 32 Jahren in Alberschwende und Rankweil.

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