Mein Wunsch
Foto Rafaela Pröll/Suhrkamp Verlag
Von Clemens J. Setz
Ich wünschte, die meisten Menschen würden alle so früh wie möglich Kinder bekommen, sagen wir, mit 19, mit 22. Das bedeutet: Ich wünschte mir, die Bedingungen in der Gesellschaft wären dafür
ideal – und nicht, so wie heute, das absolute Gegenteil davon. Ich wünschte mir, es wäre nicht so abschreckend, so ein „großes Wagnis“, so ein ungeheures Risiko für junge Menschen, vor allem für junge Frauen.
Ich wünschte mir, ich würde nicht einen Teil meiner Bekannten auf Instagram sehen, wie sie ihre Follower darüber abstimmen lassen, ob es ethisch ist, Kinder in die Welt zu setzen, oder nicht. Ich selbst habe fast zwanzig Jahre in einem absurden Zustand der fortgesetzten Verdrängung des mit der Zeit immer lauter und klarer werdenden Kinderwunsches zugebracht, und habe an mir, aber auch bei fast all meinen Bekannten das allmähliche Gespenstischwerden des eigenen Lebens wahrgenommen, wenn die Wahrscheinlichkeit, ein Kind zu bekommen, jenseits der 35-Jahr-Marke rascher zu sinken beginnt.
Im Nachhinein sehe ich all die unglaublichen Szenen vor mir, die mir damals ganz normal vorkamen: etwa die unzähligen Male, da ich mit meiner damaligen Freundin in die Stofftier-Abteilung eines Spielwarenladens ging, um, wie wir es nannten, „ein neues Stofftier für unser Bett” zu kaufen. „Für unser Bett.” Oder das Einkleiden von Haustieren, das heißt von kleinen Hunden und Katzen, in selbstgeschneiderte Gewänder. Oder das gegenseitige, momentweise etwas schrille Versichern, man sei einander für immer genug, man könne alle Rollen, alle Bedürfnisse übernehmen, sei unendlich tragfähig und ergiebig als Paarhälfte.
Ich wünschte, das unbegleitete Umherirren moderner Paare wäre mir schon viel früher aufgefallen, vor allem in Bezug auf mich selbst. Aber für mich hatte dieses jahrelange selbstverschuldete Ausharren in vollkommener Hoffnungslosigkeit, dieses, wie Thoreau es nannte, „life of quiet desperation“, dieses emsige Ausfüllen der Leere mit immer neuen Fertigkeiten, Ablenkungen und Projekten, dieses Bereisen des ganzen Globus auf der Suche nach Trost, glücklicherweise ein Ende, Anfang 2022. Nun bin ich Vater einer Tochter, und endlich nicht mehr die Hauptfigur im Universum. Ich wünschte, es gäbe nicht so viele ungewollt in ihrer einsamen Hauptfigurenrolle verharrende Menschen.
Wenn jemand ohne Kinder aufrichtig zufrieden ist, wunderbar, more power to you. Mein Wünschen bezieht sich allein auf jene, die ohne eigene Schuld sehr lange oder vielleicht für immer im falschen Leben verheddert bleiben. Möge die albtraumhafte Zukunft einer unabhängig von allen Maßnahmen und Anreizen immer weiter fallenden Geburtenrate, die in einigen Ländern wie Italien und Südkorea bereits eingetreten zu sein scheint, doch irgendwie abwendbar bleiben. Alles ziemlich naives, weltfernes Gewünsche, aber es ist das einzige, das ich habe.
Clemens J. Setz, geboren 1982 in Graz, studierte Mathematik und Germanistik und arbeitet als freier Schriftsteller in Wien. Für seine Erzählungen und Gedichte wurde er bereits mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. 2021 wurde er beispielsweise mit dem renommierten Georg-Büchner-Preis geehrt und im vergangenen Jahr erhielt er den Österreichischen Buchpreis für den Roman „Monde vor der Landung“ (Suhrkamp).