Mein Wunsch

Von Monika Helfer

Ich wünschte und wünsche mir noch immer eine Einbildungskraft, die so intensiv ist, dass es gelingt, mir vergangene Augenblicke zu vergegenwärtigen. Ich kann durch feste Konzentration einen Zustand herbeiführen, der mir das Glück zurückbringt. Für Sekunden.
Es gelingt mir, drei bestimmte Augenblicke in Erinnerung zu rufen. Einbildungskraft ist mein Vermögen, meine Liebsten auch ohne deren Gegenwart vorzustellen.

Der erste Augenblick:
Unsere Familie, mein Mann, die vier Kinder sitzen um den Tisch, erst haben wir alle durcheinander geredet, Fragen, Antworten, Fragen. Lorenz sagt: Kennt ihr schon diesen Witz? Ein Musiker sagt zu seinem Freund, ich spiele Fagott. Der Freund: Warum spielst du Fagott, spiel doch für die Leut. Wir lachen, und dann ist es auf einmal ganz still, so als hätte man uns ausgeknipst. Wir schauen uns an.

Der zweite Augenblick:
Mein Mann und Oliver sitzen auf der Treppe, sie spielen Gitarre, es ist, als würden sie miteinander in Tönen reden. Sie vergessen sich dabei. Wir lauschen und nicken uns zu.
Lorenz zeigt Undine seine neu gemalten Bilder auf dem Handy. Die beiden stehen ganz eng zusammen. Wahnsinn, sagt die Schwester zu ihrem Bruder, und er: Jetzt zeig mir das Foto von deinem Baby. Besser als mein bestes Bild, sagt der Bruder und hält das Foto in die Runde. Ist er nicht ein Schatz, sagt Undine, schau dir nur seine Kirschaugen an? Die hat er von dir, sagt Lorenz.

Paula steht mit mir im Türrahmen. Da hatte sie noch zwei Jahre zu leben. Da war sie gerade achtzehn. Schau, Mama, ich zeig dir, was ich noch niemandem gezeigt habe. Sie zieht ein Foto aus ihrer Jeans, es ist vom vielen Küssen schon blass. Das ist mein Liebster, ist er nicht unglaublich schön? Aber das ist nicht der, mit dem du in Mexiko warst, sage ich. Nein, Mama, er ist Schlagzeuger, das wird mein Einziger sein. Ich gehe an die Filmakademie und drehe einen Film über unsere Familie, sagt sie.

Es ist vergangen. Ich darf es nicht verlieren, muss es bewahren. Es ist mehr die Einprägung als die Imagination.
Also ist Ermöglichung eines Wunsches mein Wunsch.


Monika Helfer, geb. 1947, lebt und arbeitet in Hohenems. Sie ist seit ihrem zwanzigsten Lebensjahr Schriftstellerin und veröffentlichte zahlreiche Romane, Erzählungen, Drehbücher, Hörspiele, Theaterstücke und Kinderbücher.


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