Mit Bodenseewasser die Energiewende schaffen

Foto Andreas Weilguny

Mit Seethermie-Projekten, die den Bodensee als riesigen Wärmespeicher nutzen, wollen Bregenz, Hard und Lochau in Zukunft CO2-neutrale Energie und Wärme realisieren. In Bregenz sollen bereits im ersten Quartal 2025 die ersten Anlagen in Betrieb gehen.

Von Karlheinz Pichler

Die Sonnenuntergänge am Bodensee sind idyllisch wie kaum anderswo und als Postkartenmotive geradezu prädestiniert. Und für die Naherholung und Freizeitaktivitäten sind die Ufergebiete von unschätzbarem Wert. Doch es gibt noch andere Aspekte des Sees. Etwa als lebenswichtiges Trinkwasserreservoir für viele Orte und Städte und in Zukunft auch als Lieferant von CO2-neutraler Wärme und Energie. Das Grundprinzip für Letzteres erscheint einfach, die Umsetzung in die Tat ist allerdings herausfordernd: Dem See wird in etwa 25 Metern Tiefe Wasser mit circa sieben Grad Temperatur entnommen und über eine Pumpstation in den Technikraum zu einem Wärmetauscher geleitet. Dieser entzieht dem Seewasser Wärme beziehungsweise Kälte und beliefert die infrage kommenden Gebäude mit Energie. Das Wasser fließt danach um zwei Grad kälter in 30 Meter Tiefe des Sees zurück.

Rund um den Bodensee beschäftigen sich derzeit viele Länder und Kantone der Anrainerstaaten fieberhaft mit dem Thema Seethermie. Also jener Technologie, die Wärme aus dem See holt und nutzbar macht. In Vorarlberg hat das Land im Frühjahr 2023 in Kooperation mit den Gemeinden Bregenz, Hard und Lochau eine Untersuchung in Auftrag gegeben, ob und wie diese Gemeinden ihre Wärmeversorgung und Kühlung im Sommer mit Energie aus dem Bodensee realisieren könnten. Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich im Landhaus vorgestellt. Dabei wurden sieben potenzielle Entnahmestellen identifiziert: zwei in Lochau, vier in Bregenz und eine in Hard. Auch wies die Studie nach, dass sich die Seewassernutzung nicht negativ auf Ökologie oder Trinkwassergewinnung auswirke. So sei der Temperaturabbau im See minimal. Laut Adi Groß, dem Energie- und Klimaschutzbeauftragten des Landes, liege er im Zehntel-Grad-Bereich und sei vernachlässigbar. Aufgrund der Klimaerwärmung sei eine Abkühlung sogar erwünscht. Auch habe die Wärmegewinnung keinen negativen Einfluss auf Flachwasserzonen, Freizeitnutzung (Baden) oder Naturschutzgebiete.

Weit fortgeschritten mit der Energie- und Wärmegewinnung aus dem See sind die Stadtwerke Bregenz. Laut dem zuständigen Bregenzer Stadtrat Heribert Hehle (Grüne) werden derzeit 15 Millionen Euro in eine See-Energiezentrale investiert, über die das neue Seehallenbad und das Festspielhaus versorgt werden sollen. Bereits Mitte August 2023 wurde mit dem Bau der thermischen Seewassernutzung begonnen. Im ersten Schritt wurde mittels Horizontalbohrung die Entnahme- und Rückgabeleitung in den Bodensee getrieben. Nach dem Einspülen der Rohrleitungen Ende des Jahres starteten Anfang 2024 die Tiefbauarbeiten für die Energiezentrale. Die Fertigstellung der ersten Baustufe ist laut Oliver Drees, bei den Stadtwerken Bregenz für regenerative Energie zuständig und Leiter des Bodenseeprojekts, auf 2025 terminisiert. Dann soll die Seewassernutzung für die Wärme- und Kälteversorgung des neuen Bregenzer Hallenbads und des Festspielhauses mittels Wärmepumpen und „free cooling“ starten. In einem nächsten Schritt soll 2027 auch die Hypobank an das Anergienetz angeschlossen werden. Mit weiteren Interessenten sei man in Verhandlung, um den Netzausbau bis 2030 weitgehend abzuschließen, so Drees. Parallel liefen Planungen für weitere See-Energiezentralen.

Über die großteils unterirdische Technikzentrale beim Seehallenbad – mit einem Primärkreislauf von rund 1.500 Metern Seeleitungen für die Wasseransaugung und -rückführung sowie einem Sekundärkreislauf mit etwa 300 Metern Verteilerleitungen – sollen eine Wärmemenge von 3.300 MWh und eine Kältemenge von 1.330 MWh pro Jahr geliefert werden. In einer zweiten Ausbaustufe könnte das Bodenseewasser auch in einem erweiterten Versorgungsgebiet, wie etwa „Bregenz Mitte“, als regenerative Energiequelle genutzt werden. Dies sei deshalb interessant, weil es sich insbesondere für die Klimatisierung von Gebäuden um eine äußerst energieeffiziente und klimaschonende Technologie handle.

Denkbar wäre, die Energie aus dem See nicht nur an Unternehmen in Seenähe zu befördern, sondern auch an die Haushalte. (Oliver Drees)

Wasser aus tiefen Schichten des Sees

Die Seethermie funktioniert, wie auch die Erdwärme, nach dem Prinzip der Wärmepumpen-Technologie. Wasser wird dabei aus den tieferen Schichten des Bodensees entnommen. Denn in der Tiefe habe der See im Winter wie im Sommer eine konstante Temperatur zwischen vier und acht Grad, erläutert Oliver Drees.

Leitungen führen das Seewasser in die Betriebszentrale beim neuen Seehallenbad. Dort fließt es durch einen Wärmetauscher, der dem Wasser Wärme entzieht und diese auf einen zweiten Wasserkreislauf (Anergienetz) überträgt. Bei der Kundschaft situierte Wärmepumpen bringen dann das aus dem See gewonnene Wasser auf die benötigte Arbeitstemperatur. Und in der Folge kann die Wärme über die vorhandenen Heizungsleitungen im Gebäude wie gewohnt verteilt werden. Das Wasser fließe dann um etwa zwei bis vier Grad kälter wieder zurück in den See, so Drees.

Die Stadtwerke Bregenz realisieren dieses Vorhaben gemäß Drees in Zusammenarbeit mit PB-Ingenieure mit Sitz im schweizerischen Sarnen im Kanton Obwalden (Planung) sowie mit dem Nüziderser Unternehmen Wagner (Rohrleitungssysteme) und Equans Lauterach (Wärmepumpen). Laut dem Equans-Projektverantwortlichen Niclas Pichler kommen beim Seehallenbad zwei maßgeschneiderte Wärmepumpen mit dem natürlichen Kältemittel Ammoniak zum Einsatz, die das Seewasser als Wärmequelle nutzen. Als Senke gebe es zwei Temperaturniveaus zur Warmwasser-Bereitstellung (Ent-hitzer- und Kondensatorbetrieb). Das gewonnene Warmwasser werde primär für den Hallen- und Freibadbetrieb verwendet, und zwar sowohl für die Beckentemperierung als auch für die Hallenbeheizung, so Pichler.

Gemäß Oliver Drees ist das Interesse an Wärme und Energie aus dem See sehr groß. Für die Stadtwerke könnte sich daraus ein neues Geschäftsfeld entwickeln. Denkbar wäre, die Energie aus dem See nicht nur an Unternehmen in Seenähe zu befördern, sondern auch an die Haushalte. Dazu wären allerdings Wärmenetze erforderlich, und diese zu bauen ist ein kostenintensives Unterfangen. Investitionen von mehreren hundert Millionen Euro wären dafür notwendig, die sich allerdings über die Jahre amortisieren würden. Jedenfalls könne mit diesem Schatz vor der Haustür die Energiewende gelingen, ist der Bregenzer Energie-Stadtrat Heribert Hehle überzeugt.

Und Vorarlbergs Energie- und Klimaschutzbeauftragter Adi Groß meint, dass dies für Bregenz sicher zutreffe. Die Anfangsinvestitionen für so eine Wärmeversorgung seien zwar relativ hoch, aber Seewasser als Energiequelle sei kostenlos. Und mit brutto rund 15 Cent/kWh sei die nachhaltige Energie aus dem Bodensee auch für die Haushalte attraktiv. 

Infos: stadtwerke-bregenz.at/regenerative-energien/projekte/seewassernutzung


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