Mobilitätswende: Bio, Wasserstoff oder Strom?

Der Verkehrssektor ist Österreichs umweltpolitisches Sorgenkind, die Elektromobilität die vermeintliche ökologische Wunderwaffe. Doch die Frage nach der Mobilität der Zukunft ist nur am Rande eine Frage der richtigen Technologie.
Von Johannes Greß
Die „Autofrage“, prophezeite der Mobilitäts- und Zukunftsforscher Stephan Rammler 2019 in einem Interview mit der Tageszeitung „Standard“, sei der „Kulturkampf unserer Zeit“. Die Frage, wer mit welchen Autos wann wohin und aus welchem Grund fahren darf, ist eine, die Wirtschaft und Politik seit Jahren beschäftigt. Sie beschäftigt vor allem die, die (täglich) auf ein Auto angewiesen sind, auch wenn das ökologische Gewissen etwas anderes sagt. Viel Hoffnung lastet auf der Technologisierung. Biokraftstoffe, Wasserstoff oder die Elektromobilität sollen den Weg in eine grüne Verkehrszukunft weisen, möglichst ohne Kulturkampf.
Trotz all der Lobeshymnen auf den technischen Fortschritt ist der Verkehrssektor Österreichs umweltpolitisches Sorgenkind, von den eigens gesteckten Klimazielen ist man denkbar weit entfernt, anders als in anderen Sektoren wurden im Verkehrsbereich seit 1990 kaum Fortschritte erzielt. Der höchste Anteil der Verkehrsemissionen entfällt noch immer auf den PKW-Verkehr. Halten die alternativen Technologien also, was sie versprechen? Und lohnt sich aus persönlicher Sicht eine (nicht gerade kostengünstige) Investition in einen grünen Neuwagen?
Die Ausgangslage ist denkbar schwierig: um das in Paris verabschiedete 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssen die Pro-Kopf-Emissionen weltweit auf 2,5 bis 3,3 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr sinken, Österreich liegt derzeit knapp über dem EU-Schnitt bei rund neun Tonnen pro Kopf. Wer täglich mit einem Diesel oder Benziner 20 Kilometer zum Arbeitsplatz und zurück fährt, verbraucht dabei im Schnitt knapp zwei Tonnen pro Jahr.
In den vergangenen Jahren rückte zusehends der Wasserstoff als Antriebstechnologie der Zukunft ins Rampenlicht, laut Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) soll Österreich „Wasserstoff-Nation Nummer eins“ werden. Die Stadt Wien will noch bis Ende dieses Jahres eine Wasserstoff-Tankstelle eröffnen. Doch unter Expertinnen und Experten ist die Technologie umstritten. De facto werde Wasserstoff bei der Ökologisierung des PKW-Verkehrs „kaum eine Rolle“ spielen, findet Ulla Rasmussen von der Mobilitätsorganisation VCÖ – Mobilität mit Zukunft.
Der Grund: Der sogenannte „Wirkungsgrad“ von Wasserstoff ist deutlich zu niedrig, viel Energie wird investiert, am Ende kommt nur wenig dabei raus. Je nach Studie landet bei Fahrzeugen mit Wasserstoffantrieb nur ein Viertel bis ein Drittel der eingesetzten Energie als Tempo auf der Straße. Der Rest verpufft in der Elektrolyse, dem Transport und den Brennstoffzellen. „Beim Versuch, Wasserstoff als die Technologie der Zukunft zu etablieren, geht es zuvorderst darum, bestehende ökonomische Interessen zu berücksichtigen“, erklärt Rasmussen den „Hype“ rund um den Wasserstoff. Der ökologische Gedanke stehe hier, wenn überhaupt, erst an zweiter Stelle.
Noch schlechter fällt der Wirkungsgrad bei sogenannten E-Fuels aus, synthetischen Kraftstoffen, die mittels Strom aus Wasser und CO2 hergestellt werden. Hier fließen laut der Organisation „Transport and Environment“ lediglich zwischen 16 und 20 Prozent der eingesetzten Energie in den Antrieb des Fahrzeugs. Rasmussen spricht von „Energieverschwendung“.
Ulla Rasmussen und Johannes Wahlmüller sind überzeugt davon,
dass E-Mobilität das Rennen um die grüne Verkehrszukunft
machen wird.
Auch Biokraftstoffe werden bei einer möglichen Transformation des Individualverkehrs wohl kaum eine Rolle spielen. Das grundsätzliche Problem dabei ortet Johannes Wahlmüller, Klima- und Energie-Campaigner bei der Umweltschutzorganisation Global 2000, in der begrenzten Verfügbarkeit der dazu notwendigen Ressourcen. Biokraftstoffe werden aus Biomasse wie Ölpflanzen, Getreide oder Holz hergestellt – „und hier stoßen wir sehr schnell an ökologische Grenzen“, erklärt Wahlmüller. Flächen, die sich für den Anbau von Biomasse eignen, sind begrenzt. Außerdem mache es wenig Sinn, dass Felder, auf denen bisher Futter- oder Lebensmittel angebaut wurden, weichen müssen, um damit Autos anzutreiben.
Wahlmüller und Rasmussen sind überzeugt davon, dass E-Mobilität das Rennen um die grüne Verkehrszukunft machen wird. Zwischen 70 und 77 Prozent der eingesetzten Energie können hier direkt in den Antrieb des E-PKWs umgewandelt werden. Eine Studie der Technischen Universität Wien zeigt, werden erneuerbare Energien konsequent ausgebaut und in anderen Sektoren Energie eingespart, kann Österreich den Strom zur Elektrifizierung des Verkehrs zukünftig zu 100 Prozent aus nachhaltigen Quellen beziehen.
Zum Jahresende 2020 waren hierzulande 44.500 Elektro-PKWs zugelassen, im Vergleich zu knapp 4,5 Millionen Diesel- und Benzinautos. „Aber jedes Jahr rücken wir mehr in Richtung Elektrifizierung“, zeigt sich Wahlmüller angesichts steigender Neuzulassungen von E-Fahrzeugen optimistisch. Und: je mehr Stromer auf dem Markt sind, desto günstiger wird die Anschaffung, prognostiziert Wahlmüller. Er geht davon aus, dass in den nächsten zwei Jahrzehnten mehr als 85 Prozent des österreichischen Verkehrs elektrifiziert sein werden – „das ist machbar und notwendig“. Auch Rasmussen glaubt an das technische Potenzial der Elektrifizierung: „Die Batterien werden leistungsfähiger, die Reichweite steigt – wir beobachten hier eine rasante Entwicklung!“.
Gleichzeitig warnen Rasmussen und Wahlmüller davor, das E-Auto zur umweltpolitischen Wunderwaffe zu erklären. „Das jetzige Verkehrsverhalten eins zu eins durch E-Mobilität zu ersetzen, kann nicht das Ziel sein“, betont Rasmussen. Denn auch wenn ein Stromer im Betrieb kaum CO2 ausstößt, ist die Herstellung um ein Vielfaches energie- und ressourcenintensiver als die eines Verbrenners. Und auch ein E-Auto ist am Ende: ein Auto. Das Lärm macht und Platz nimmt, der vor allem innerstädtisch für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs benötigt wird.
Die Vision einer umweltfreundlichen Mobilität der Zukunft versinnbildlicht Rasmussen anhand einer Pyramide: An deren Sockel müsse es darum gehen, Verkehr zu vermeiden, etwa weniger LKW-Verkehr durch regionale Produkte, kürzere Wege durch die Stärkung von Ortskernen und einen Stopp der Zersiedelung, weniger Geschäftsreisen durch Videokonferenzen und weniger Autopendlerverkehr durch vermehrtes Homeoffice. Der Mittelbau der Pyramide sieht die Verlagerung des Kfz-Verkehrs hin zu energieeffizienteren Fortbewegungsmitteln vor, bei kurzen Strecken auf Radfahren und Gehen, bei längeren auf öffentliche Verkehrsmittel. Erst an der Spitze kann es darum gehen, verbleibende Autofahrten zu elektrifizieren.
Letztlich ist der „Kulturkampf unserer Zeit“ nur am Rande eine Frage der richtigen Technologie, sondern viel mehr eine Frage, wie wir uns zukünftig fortbewegen, wie wir zukünftig leben wollen – eben eine Frage der Kultur.