Modern Farming

Fleisch aus dem Bioreaktor? Proteine, die von Mikroben aus CO2 erzeugt werden? Hightech-Lebensmittel könnten das Konzept Landwirtschaft ganz schön auf den Kopf stellen.
Von Nina Kaltenbrunner

Apocalypse Cow
Der weltweite Fleischhunger bringt die Erde bereits jetzt an ihr Limit. Massentierhaltung, allen voran die Rinderzucht, das damit einhergehende Tierleid, der Verbrauch enormer Landflächen, fossiler Rohstoffe und Wasser führen zu großen Mengen klimaschädlicher Emissionen. Auch der intensive Anbau von Nutzpflanzen mit Monokulturen und massivem Einsatz von Pestiziden fördert die Zerstörung natürlicher Lebensräume. Doch der globale Fleischkonsum steigt. Bis 2050 soll er sich im Vergleich zu 2000 verdoppelt haben – das ist mit den verfügbaren Ressourcen nicht machbar. Alternativen sind daher gefragt, denn: ohne Proteine geht es nicht.

Fleisch aus Stammzellen
Wohin geht also die Reise? Die Idee, Fleisch ohne Viehzucht zu kultivieren, ist nicht neu. Winston Churchill thematisierte schon 1931 in seinem Essay „Fifty Years Hence” die Absurdität ein ganzes Huhn zu züchten, um anschließend nur dessen Brust oder Keulen zu essen. Und prognostizierte: „In 50 Jahren werden wir diese Teile separat in einem geeigneten Nährmedium züchten.” Willem Van Eelen, „The Godfather of Cultured Meat”, kam in den 1950er Jahren auf die Idee, Fleisch in einem Labor anzubauen, reichte allerdings erst 1994 sein erstes Patent ein. 2013 wurde es schließlich ernst: der niederländische Forscher Mark Post präsentierte der Welt vor laufender Kamera den ersten In-Vitro-Burger: aus den Stammzellen einer Kuh im Labor gezüchtetes Fleisch. – Science-Fiction oder die Lösung des Welternährungs- und Klimaproblems? „Wenn du die Leute dazu bringen kannst, Weißwurst zu essen, kannst du sie überzeugen, alles zu essen”, bringt Post seine Überzeugung von Laborfleisch auf den Punkt. Zahlreiche Investoren erkannten ebenfalls das Potenzial, darunter Bill Gates sowie Virgin-Milliardär Richard Branson, und stecken hohe Beträge in die Forschung, Optimierung und Skalierung von „Clean“ oder „Cultured“ Meat. 2021 wurde schließlich in Singapur erstmals Zellkultur-Fleisch zugelassen und „Chicken Nuggets” im Restaurant serviert. „Clean Meat ist keine Science-Fiction mehr”, so Marcus Keitzer, Vorstand für alternative Proteinquellen bei PHW, Deutschlands größtem Geflügelzüchter – er muss es wissen.

Proteine: Proteine bilden das Fundament aller Stoffwechselprozesse des menschlichen Körpers. Ihre kleinste Einheit sind Aminosäuren, die mit der Nahrung aufgenommen werden müssen. Aminosäuren aus tierischen Quellen sind jenen des Menschen am ähnlichsten und können deshalb besonders gut verwertet werden. Pflanzliches Eiweiß (zum Beispiel von Hülsenfrüchten) dagegen muss in größeren Mengen aufgenommen werden

Bioreaktor: Ein Bioreaktor (Fermenter) ist ein Behälter, in dem speziell herangezüchtete Mikroorganismen oder Zellen unter möglichst optimalen Bedingungen in einem Nährmedium kultiviert werden, um entweder die Zellen selbst, Teile von ihnen oder eines ihrer Stoffwechselprodukte zu gewinnen.

From Lab to Table
„Clean Meat“ ist Teil der „Zellulären Landwirtschaft”. Sie verfolgt das Ziel, Tiere von der Fleischproduktion zu entkoppeln und „echtes” Fleisch ohne Aufzucht sowie Schlachtung herzustellen. Die positiven Nebeneffekte: Flächen für Futter und Haltung fallen ebenfalls weg, der Wasserverbrauch sinkt und auch Antibiotikagaben (in den USA werden 80 Prozent aller Antibiotika in der Tierindustrie eingesetzt, in Deutschland 50 Prozent) entfallen. Hier werden Zellen zu Ressourcen. Es gilt, die „unsterbliche“ Stammzelle anstelle der Tiere zu domestizieren. Dabei geht es nicht darum, die traditionelle extensive Tierhaltung abzuschaffen, sondern die Kluft zwischen ethisch vertretbarem, hochwertigem Fleisch und der enormen Nachfrage zu schließen. Für Experten ist es längst keine Frage mehr ob, sondern wann „Clean Meat“ die Fleischindustrie ablösen wird. Gerodete Wälder und andere Flächen könnten sich wieder erholen, der Planet etwas aufatmen. Oder, um weiter mit Churchill zu sprechen: „Parks und Gärten werden die ehemaligen Weiden und gepflügte Felder ersetzen.” Schöne neue Welt, in der man mit den Zellen eines einzigen Huhnes die gesamte Menschheit ernährt?

Meeresfische ohne Meer
Auch die Weltmeere und ihre Bewohner ließen sich nach demselben Prinzip entlasten. Indem man zum Beispiel Thunfisch- oder Lachsfilet im Bioreaktor züchtet, könnten die mächtigen blauen CO2-Speicher vor weiterer Überfischung und Aquafarming (=Massentierhaltung und Antibiotika) bewahrt werden. Die Forschung und Entwicklung laufen auch beim sogenannten „Clean Fish“ längst auf Hochtouren.

„Clean Meat“ ist gut, pflanzliche Ernährung besser
Nun gilt es jedoch noch, den im Vergleich zur Tierindustrie zwar drastisch reduzierten, aber immer noch hohen Energieaufwand (und CO2-Emission), sowie die hohen Produktionskosten von Labor-Fleisch und -Fisch in den Griff zu bekommen. Auch die mangelnde Akzeptanz der Konsumentinnen und Konsumenten steht einem Durchbruch derzeit im Weg. Trotz dieser Hürden gilt künstlich gezüchtetes Fleisch als Milliardenmarkt. Durch Skalierung der Produktion und der Entwicklung kostengünstiger Nahrung für die Zellen, sollen auch die Kosten signifikant sinken. Spätestens in fünf Jahren, schätzen Experten, wird „Cultured Meat“ den europäischen Markt erobern. Bis „Clean Meat“ aber ein saftiges Steak auch in seiner Struktur ersetzen kann, müssen sich Fleischtiger mit Burger, Wurst oder Nuggets zufriedengeben, in denen sich der Mix aus Muskelfleisch und Fett aus Stammzellen „verstecken” kann. Dass aber rein pflanzliche Ernährung sowieso das Beste für den Planeten wäre, darüber sind sich alle Expertinnen und Experten einig.

Die Start-up Gründer von Arkeon. v.l.n.r.: Dr. Simon Rittmann, CSO; Dr. Gregor Tegl, CEO; Dr. Günther Bochmann, CTO. Foto Christoph Öhlknecht, Arkeon


Noch besser: Protein aus CO2
Die Lösung für diese Probleme könnte das Wiener Start-up Arkeon Biotechnologies bereits parat haben. Mithilfe von Mikroben und einer neuen, völlig unabhängigen Technologie stellen die Jungunternehmer Proteinzutaten aus CO2 und Wasserstoff her. Ihre Mission lautet: Das nachhaltigste, nahrhafteste und ethischste Lebensmittelsystem zu etablieren.
Zu schön, um wahr zu sein? Ist es aber! The long story short: 2009 entdeckte der Biotechnologe und Arkeon Co-Gründer, Simon Rittmann, eher zufällig die Fähigkeit der Urbakterien „Archaeen” CO2 in zwanzig für den menschlichen Organismus wichtige Aminosäuren umzuwandeln. In Folge wurde eine Technologie entwickelt, um in nur einem einzigen Fermentationsschritt die wertvollen Proteinbausteine zu gewinnen. Diese können nun wiederum in verschiedenen Zusammensetzungen mit unterschiedlichen Nährwert- und Funktionsprofilen erzeugt werden. Das für den Prozess notwendige CO2 erhält das Start-up durch Kohlenstoffabscheidung, also CO2-Capture-Technologie direkt aus der (beispielsweise Bier-) Industrie. Die Produkte sind somit kohlenstoffnegativ, zudem 100 Prozent vegan, GVO-frei und könnten als Clean-Label-Zutaten für pflanzliche Lebensmittel, Ernährungsprodukte, Getränke, als Zellkulturmedien für kultiviertes Fleisch und vieles mehr verwendet werden.
„Zum ersten Mal in der Geschichte können wir die Gleichung der modernen Lebensmittelproduktion auf den Kopf stellen und eine ressourcenintensive Industrie in ein nachhaltiges, emissionsarmes System verwandeln“, so Arkeon-CEO Gregor Tegl.
Seit einem Jahr führe er täglich Gespräche mit neuen Konzernen und Firmen, die händeringend nach innovativen Zutaten suchen. „Bis jetzt blasen die meisten Unternehmen das CO₂ in die Atmosphäre, nun gibt es Anreize, etwas Sinnvolles daraus zu machen.”

Zukunft passiert: Jetzt
Dass das junge Unternehmen auf dem richtigen Weg ist, untermauert auch ein 6,5 Millionen Euro Investment, das Arkeon unlängst lukrieren konnte. Das Geld wird nun zur Skalierung des Fermentationsprozesses eingesetzt.

In „Arkeon’s Protein Kitchen“ in Wien arbeiten unterdessen „Food Scientists“ mit Hochdruck an den ersten Showcase-Produkten. In dem kreativen „Food Lab“ wird mit unterschiedlichen Geschmäckern, Texturen und Aromen der Aminosäuren experimentiert. Neben einem „Blueberry Protein Water“ sind bereits Protein-Cracker, Protein-Chia-Pudding und zwei verschiedene Proteinriegel entstanden. In zwei Jahren sollen die ersten, auf dem neuen Protein basierenden Produkte in den Handel kommen. Noch schönere neue Welt! Wenn sich neun Milliarden Menschen von CO2-basierten Lebensmitteln ernähren, dann könnte nämlich auch der Planet wieder aufatmen. Ebenso könnten wir uns vermutlich auch genauso ernähren, wie „früher”: regional, saisonal, Fleisch einmal die Woche – maximal. 


Illustrationen von Next Nature Network & Submarine Channel, Bistro In Vitro

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