My home is my Castlewagen

Das Wohnmobil erlebt ein Revival. Der Versuch, die Reise im Heim auf vier Rädern mit regionaler Wertschöpfung zu verknüpfen, brachte das Projekt „Bauernleben” hervor.
Von Jürgen Schmücking

Wohnmobilisten kennen die Situation nur zu gut, Nichtcamper können sie sich lebhaft vorstellen: Die Rucksäcke sind gepackt, die Mountainbikes fixiert und verschnürt. An alles ist gedacht, Bushcraft Messer, Kompass, Campinggeschirr, Outdooroutfit. Die Freiheit ruft, fernab touristischer Massenströme und weit weg von seelenlosen all-inclusive Clubs. Bis man am Campingplatz ankommt und sich das Bild vom einsamen Platz am rauschenden Gebirgsbach in Luft auflöst. Behördlich bewilligte Campingplätze haben nicht selten den morbiden Charme von Schrebergartensiedlungen. Nur, dass die Häuser eben Räder haben. Der Mikrokosmos Campingplatz ist geprägt von Enge, zuweilen Geselligkeit und der faktischen Absenz jeglicher Intimität. Vieles wird man bei einem Campingurlaub finden. Freiheit und Spontaneität werden eher nicht dabei sein. Andererseits sind Schilder in freier Wildbahn mit der Aufschrift „Campen erlaubt“ äußerst selten und so wahrscheinlich wie ein Gewinn im Lotto. Und das Wohnmobil einfach auf „Gut Glück“ am bereits genannten rauschenden Gebirgsbach abstellen? Ganz blöde Idee. Hier gilt die Regel: Je schöner der Platz, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer Besitzstörungsklage.

Trotzdem erlebt das Wohnmobil – Corona sei Dank – eine kleine Renaissance. In Deutschland blättern Camper im Schnitt 73.000 Euro für ein „Zimmer-Küche-Kabinett-auf-Rädern“ auf den Tisch. Eine Menge, die zeigt, dass es beim Campen längst nicht mehr um sparsames Reisen geht, sondern vielmehr um Individualismus. In Österreich sind derzeit etwa 30.000 Wohnmobile zugelassen, Tendenz stark steigend.
Diese Zahlen sowie die persönliche Erfahrung einer Reise im eigenen Wohnmobil zu deutschen Bauern brachte den Niederösterreicher Franz Roitner, selbst leidenschaftlich Reisender mit Wurzeln in der Landwirtschaft, auf eine Idee. „Bauernleben“ heißt das Projekt und es funktioniert so: Landwirte, die ihre Produkte direkt, also ‚ab Hof‘ vermarkten, stellen campenden Reisenden für deren Wohnmobil 24 Stunden lang einen Stellplatz in unmittelbarer Nähe des Hofs zur Verfügung. Kostenfrei. Als Gegenleistung kann der Gast den Hof besichtigen und sich im Hofladen mit Produkten eindecken. Dem Ganzen liegt eine fundamentale Idee von Fairness zugrunde.
Begonnen hat das Projekt im vergangenen Herbst. Die Beherbergung von Gästen war damals ebenso verboten wie öffentlicher Ausschank oder Verpflegung. Nicht verboten war allerdings der Verkauf von Lebensmitteln und ein Wohnmobil vorm Scheunentor stehen zu haben. Das Konzept ging auf. „Den Anfang haben die innovativen Produzenten gemacht, die Köstlichkeiten wie Whisky, Straußenfleisch oder Kernöl im Sortiment haben. Mittlerweile ist aber die gesamte Vielfalt der heimischen Landwirtschaft vertreten“, erzählt Roitner.

Die Logistik ist unkompliziert. Camper bestellen via Website einen Guide samt Startpaket. Das Paket umfasst ein schön ausgestattetes Hardcover-Buch, eine App, einen Mitgliedsausweis und einen Sticker fürs Wohnmobil. Im Buch lässt sich schmökern, in der App die Reise planen. Dann beim Most-, Wein- oder Gemüsebauern seiner Wahl anrufen und fragen, ob der Stellplatz zum gewünschten Termin frei ist. Reservieren. Anreisen. Sobald die Corona-Beschränkungen vorbei und mehr und engere Kontakte möglich sind, spricht nichts mehr gegen eine gemeinsame Verkostung oder einen Abend in der Stube. Am meisten verbreitet ist dieses Reisekonzept in Frankreich, wo auch seine Wurzeln liegen. 1993 fiel dem Herausgeber eines renommierten Weinmagazins auf, dass Urlauberinnen und Urlauber, die mit Campingbussen und Wohnmobilen unterwegs waren, Schwierigkeiten hatten, kurzfristig Stellplätze für die Nacht zu bekommen. Daraus entstand die Initiative „formule invitation“, die es Gästen ermöglichte, ihre Mobile unkompliziert auf den Grundstücken der „vignerons“ zu parken. Das Projekt wurde so erfolgreich und lukrativ für die Winzer, dass sich daraus die Marke „France Passion“ entwickelte, zu der mittlerweile neben Winzern auch Käsereien und Handwerksbetriebe gehören.
Was Österreich betrifft, gibt es noch ein spürbares Ost-West-Gefälle. Während die Konzentration der teilnehmenden Landwirte (und damit auch Auswahl und Attraktivität) im Osten des Landes recht hoch ist, reagieren die Bauern in Tirol und im Ländle noch mit Zurückhaltung auf das neue Projekt. In der südlichen Steiermark und im nördlichen Niederösterreich sind es viele Höfe, an denen sich ein Platz fürs Wohnmobil findet. Einer mehrtägigen Entdeckungsfahrt durch die hügeligen Weinberge steht somit nichts im Weg. Die Regeln sind klar und einfach. Sie beruhen auf Respekt und Wertschätzung. Kein Lärm, kein Müll, kein Lagerfeuer. Betriebsgebäude sind ebenso tabu wie private Räumlichkeiten, das Füttern und Streicheln der Tiere ist untersagt. Ausgenommen, Bäuerin oder Bauer sind dabei und stimmen zu. Aber das sagt einem eigentlich schon der Hausverstand. Oder in diesem Fall – der Wohnmobilverstand.


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