Nehmen Sie das Haar einfach aus der Suppe

Von Verena Roßbacher

Bonnie Garmus
Eine Frage der Chemie
Roman
464 Seiten
ISBN-978-3-492-07109-3
Piper, 2022

Schon wieder war es Sommer, schon wieder standen die Ferien vor der Tür, schon wieder tüftelte jeder an der ultimativen Urlaubslektüre. Und auch, wer ansonsten gerne mal ein bisschen über drei komplexe Zeilen Wittgensteins nachdenkt oder der experimentellen Lyrik frönt, ahnte nun: Es war nicht die Zeit dafür. Erstens wegen nachdenken und zweitens wegen experimentell und drittens wegen Lyrik – sprich: es ist entweder zu anstrengend (erstens, zweitens) oder zu kurz (drittens).
Es ist Sommer! Wir wollen gute Unterhaltung, aber blöd soll sie auch nicht sein, wir wollen Masse, aber nicht auf Kosten der Qualität, wir wollen, dass sie uns über lange Zugfahrten, endlose Tage am Meer oder lauschige Abende unterm Birnbaum hinweg begleitet, ohne, dass es uns fad wird dabei. Wir wollen Spaß und Drama, das volle Programm, gute Figuren, Witz und eine Story, die den Namen verdient. Ist das denn zu viel verlangt? Natürlich nicht. Autorinnen und Autoren sollen sich mal ein bisschen anstrengen (es sind nicht alleweil Ferien!) und was Ordentliches liefern. Natürlich hilft es uns für diesen konkreten Sommer überhaupt nicht, wenn alle Autoren nun ertappt aufspringen, ihren Urlaub Urlaub sein lassen und allesamt zu ihren Schreibtischen eilen und tüchtig in die Tasten hauen.
Aber wir können schauen, wer denn in weiser Voraussicht unseres Bedarfs schon etwas im Angebot hat für die kommenden heißen Tage und wir sehen: Bonnie Garmus hat mit „Eine Frage der Chemie“ wirklich ihr Bestes gegeben, uns nicht traurig und Lektüre-los stehen zu lassen.
Elizabeth Zott ist die Protagonistin dieses Buchs, es sind die Fünfzigerjahre, und unsere Hauptfigur, eine begnadete Chemikerin, hat es in dieser Zeit denkbar schwer, umstandslos Karriere zu machen – es ist für Frauen eigentlich nicht vorgesehen. Anstatt zu promovieren, beginnt sie, als Laborassistentin in einer südkalifornischen Kleinstadt zu arbeiten. Sie trifft auf die Liebe ihres Lebens, wie man so sagt, Calvin Evans, ebenfalls Chemiker, lebt mit ihm in wilder Ehe zusammen, und wiewohl nichts ihr ungeheures gemeinsames Glück trübt, ist sie irgendwann alleinerziehende Mutter eines kleinen Mädchens (Drama!). Ob der unehelichen Schwangerschaft entlassen (noch mehr Drama!), versinkt sie aber mitnichten in Schwermut und Depression, nein, sie reißt zuhause die Einbauküche heraus und richtet sich ein Labor ein. Dort forscht sie weiter; dem aber nicht genug, übernimmt sie sodann eine Kochshow im Fernsehen, „Essen um sechs“. Was die Programmdirektoren entsetzt, nämlich ihre Überzeugung, dass es sich beim Kochen um eine ernsthafte Wissenschaft handelt – „Kochen ist Chemie“, sagte sie. „Und Chemie ist Leben, ihre Fähigkeit, alles zu ändern – Sie selbst eingeschlossen –, beginnt hier.“ –, ist beim Publikum erstaunlich erfolgreich. Immer mehr Hausfrauen verfolgen abends um sechs die Sendung dieser schrulligen Frau im Laborkittel, die ihnen zweierlei klarmacht: Diese eure Arbeit – das Kochen – ist wichtig. Und jede denkbare andere Arbeit, auf die ihr vielleicht Lust habt, die ihr euch aber nicht zutraut, kann von euch getan werden. Es ist eine Art emanzipatorischer Akt, den Elizabeth Zott hier begeht, und dies ohne jeden fundamentalistischen Eifer. Sie emanzipiert ihre Zuschauerinnen durch ihre unbeirrbare, unbekümmerte und trockene Art, die Dinge einfach zu tun, und das ist, nicht zuletzt, ungeheuer komisch (unterm Strich sogar: mehr Spaß als Drama).
Klar könnte man dem Buch einen gewissen Hang zu ein paar, sagen wir: amerikanischen Mängeln vorwerfen – an den Haaren herbeigezogener Plot, da und dort ein bisschen gar einfache Figurenzeichnung, hier ein Klischee, da eine Vereinfachung, aber: geschenkt. Es ist Sommer, man sollte nicht in jeder Suppe ein Haar suchen, überhaupt ist „Eine Frage der Chemie“ ja eher auch keine Suppe, es ist ein herrlicher eisgekühlter Kaffee, den man bevorzugt unter einem hübschen Sonnenschirm trinkt, und mein Gott, wenn an einem Eiswürfel mal ein Stück Plastikfolie klebt, dann ist das auch kein Weltuntergang. Raus damit, weitertrinken. Eine gesunde Ignoranz gegenüber allfälliger Störfaktoren ist ein sicherer Weg zum Glück, zumindest zu einem glücklichen Sommer. Und das ist dann ganz sicher eine ausgezeichnete Grundlage für den Herbst. Und alles danach.


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