Buchbesprechung

Neue Bücherwelt

Von Verena Roßbacher >>

Liest man Nicole Seiferts Buch „Frauen Literatur“, fühlt man sich ertappt. Man fühlt sich ertappt, wenn man überlegt, welche Bücher während der eigenen Schullaufbahn gelesen wurden, welche Bücher im wohlsortierten heimischen Bücherregal standen und welche Bücher in diversen Kanons vorkamen, deren Abarbeitung man sich über die Jahre unverdrossen widmete. Hauptsächlich männliche Autoren, muss man feststellen. Und noch während der Lektüre der ersten paar Seiten des vorliegenden Buchs stellt sich womöglich eine Art Verteidigungsreflex ein („Es kommt ja nicht darauf an, ob ein Mann oder eine Frau ein Buch geschrieben hat, hauptsache, es ist gut.“ Oder: „Ein gutes Buch setzt sich immer durch.“ Oder: „Vielleicht gibt es einfach nicht so viele Frauen, die schreiben.“). Ich kann aber berichten, dass dieser Reflex nachlässt, je weiter man lesend fortschreitet und einer gewissen Überraschung, um nicht zu sagen Erschütterung Platz macht (Was wir jedenfalls lernen müssen: Richtig – Hauptsache, es ist gut, und es scheint in der allgemeinen Wahrnehmung dabei leider sehr wohl darauf anzukommen, ob ein Mann oder eine Frau es geschrieben hat. Und: Nein, ein gutes Buch setzt sich nicht immer durch, dabei spielen einige Faktoren eine wichtige Rolle. Und: Doch, es gibt so viele Frauen, die schreiben.)
Die Autorin selbst setzt übrigens genau da an: Bei ihrer eigenen Lesebiografie, die, ohne, dass sie es so gewollt oder geplant hätte, eine dezidiert männliche ist, einfach, weil es „normal“ war, niemand hat es hinterfragt, geschweige denn geändert. Es brauchte eine bewusste Zäsur im eigenen Leseverhalten, die erstmal radikal erscheint und womöglich ein gewisses Unbehagen auslöst („Eine Frauenquote in der Literatur?!“): Seifert entscheidet sich, für ein Jahr ausschließlich Bücher von Autorinnen zu lesen. Und weil sich da plötzlich quasi ein neuer Kosmos der Lektüre auftut, bleibt sie fürs erste dabei und aus dem einen Jahr werden rasch drei, und ein Ende ist nicht abzusehen. Weil es so viel zu entdecken gibt? Ja. Weil es da einiges aufzuholen gilt? Ganz sicher. Weil es so gut ist? Das eh.
Es gibt viele relevante Fragen, denen sie während dieses Projekts nachgeht, allen voran die Merkwürdigkeit, dass es so etwas wie den Begriff „Frauenliteratur“ überhaupt gibt. Was ist das eigentlich? Bücher über Frauen? Von Frauen? Für Frauen? Und warum genau? Gibt es das Pendant dazu, die „Männerliteratur“? Nein, die gibt es nicht, alles andere ist nämlich automatisch Literatur, wichtiger und richtiger irgendwie, weil, ja was eigentlich, nicht so, äh, reduziert, auf den weiblichen Blick und diese frauliche Lebenswelt, die ja eine ganz kleine Welt ist und das ist gewiss interessant für Frauen, aber, naja, was soll denn ein Mann mit so etwas anfangen? Klingt übertrieben? Zugespitzt? Tja, es scheint nur nach wie vor so zu sein, „dass Frauen furchtlos Bücher lesen, die unter Umständen als ‚Männerromane‘ gelten könnten, während Männer immer noch glauben, ihnen fiele etwas ab, wenn sie ein paar Sekunden zu lange auf bestimmte, von Frauen hinterlistig miteinander kombinierte Wörter blicken“ – so Margaret Atwood zu demselben Thema.
Das ist alles ziemlich aufregend. Und Seifert weitet ihre Forschungen aus, sie zählt Rezensionen in Zeitungen, sie analysiert Besprechungen auf mögliche Geschlechtsvorurteile hin, sie begutachtet Verlagsvorschauen und die Verteilung weiblicher und männlicher Autoren, sie macht Umfragen unter Buchhändlern und schaut, wie es so an den Universitäten läuft, sie nimmt, kurzum, die gesamte hiesige Literaturlandschaft genau unter die Lupe. Das Ergebnis ihrer Nachforschungen ist, ich erwähnte es bereits, überraschend, nein, erschütternd. War man selbst so blind dafür, so ignorant? Und das trotz aller selbstverständlicher, feministischer Aufgeschlossenheit und der eigenen Überzeugung, dass das alles in der Zwischenzeit gerecht und fair zu- und hergeht, dass es da keine Unterschiede mehr gibt, dass da früher gewiss Fehler gemacht wurden, aber heutzutage so was nicht mehr vorkommt? Tja, Seifert lesen, Verteidigungsreflexe fahren lassen, Vorurteile ablegen und sich sodann fröhlich in die Lektüre stürzen, die man bisher verpasst hat – netterweise liefert sie dafür haufenweise Vorschläge.

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