Nicht nur in die Apokalypse schauen“

Die Leitung der „Klima Biennale“: Claudius Schulze und Sithara Pathirana. Foto Mafalda Rakoš

Im April startet die erste „Klima Biennale Wien“. Ihre Kuratoren, Sithara Pathirana und Claudius Schulze, fragen, wie unsere Gesellschaft mit der globalen Erwärmung umgehen wird. Alles nur Greenwashing und City-Marketing oder eine echte Investition in die Zukunft?

Von Nicole Scheyerer

Auf dem bunt gekachelten Haus wächst ein Wald. Als Friedensreich Hundertwasser 1989 die ehemalige Thonet-Möbelfabrik in das Kunst Haus Wien verwandelte, schuf er sich auch eine private Oase. Vor seiner Wohnung im obersten Stock des Museums pflanzte der Künstler Bäume, in deren Schatten er gerne malte oder turnte. In den letzten zehn Jahren hat sich das Kunst Haus Wien wieder mehr auf die Mission seines naturbewegten Gründers besonnen und sein Ausstellungsprogramm verstärkt Umweltthemen gewidmet. Ab April wird es zur Zentrale der ersten „Klima Biennale Wien“ und präsentiert als seinen Festivalbeitrag die Schau „Into The Woods“.

Kunst Haus Wien.
Foto eSeL.at/Lorenz Seidler


60 Kooperationen, 100 Tage, 1,5 Millonen Euro: Dieses Frühjahr veranstaltet die Stadt Wien erstmals ein gut budgetiertes Festival, das in Zukunft alle zwei Jahre Antworten auf die dramatische Erderwärmung suchen soll. Ein Vorläufer war die „Vienna Biennale for Change“, die das Museum für angewandte Kunst (MAK) seit 2015 vier Mal veranstaltet hat. MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein legte den Fokus dabei vor allem auf Design und Architektur. Nach seinem Abgang als Museumsleiter übernahm Wien die Staffel. Im Rathaus ziehen für die Biennale gleich drei Ressorts – Klima, Kultur und Wirtschaft – an einem Strang.

„Bei unseren Recherchen im Vorfeld haben wir gesehen, dass in Wien schon sehr viel zum Klima-Thema passiert“, erzählt die Kuratorin Sithara Pathirana. Die in Graz geborene Kulturmanagerin leitet gemeinsam mit dem Künstler Claudius Schulze die ersten beiden Ausgaben des Festivals. Sie konnten Institutionen wie das Weltmuseum, Belvedere 21, Kunsthalle Wien, MAK, Foto Arsenal Wien oder das Stadtkino als Kooperationspartner gewinnen. „Es geht bei der „Klima Biennale“ weniger um Ökologie als man vielleicht denken könnte. Anstatt in die Apokalypse zu schauen, fragen wir, wie sich die Gesellschaft zur Krise positionieren könnte und wie das 1,5-Grad-Ziel erreicht werden kann“, erklärt Schulze zur programmatischen Ausrichtung.

Der in München geborene Künstler hat im Kunst Haus Wien 2020 schon eigene Arbeiten zum Thema Biodiversität gezeigt. Vergangenes Jahr veranstaltete das Paar in Hamburg das „ClimateArtFest“. Dabei fanden auf einem historischen Hafenkahn zehn Tage lang Ausstellungen, Performances und andere Events statt, welche die Klima-Debatte „spielerisch und lustvoll“ aufbereiteten. Nun möchte das kuratorische Duo Berührungsängste zwischen Wissenschaft, Kunst und Aktivismus abbauen. „Veränderung kann nur funktionieren, wenn wir alle mehr zusammenrücken und Lösungen suchen“, betont Schulze das Ziel, über die getrennten Sparten hinweg zu wirken.

Nordwestbahnhof, Postbusgaragen,
„Klima Biennale Wien“. Foto Sophie Halder

Neben dem Kunst Haus Wien wird eine Halle am Areal Nordwestbahnhof zu einem Zentrum der „Klima Biennale“. Auf diesem Festivalgelände möchten Pathirana und Schulze eine „urbane Utopie“ verwirklichen. Das Transportgelände, wo derzeit noch Leerstand und Wildwuchs dominieren, wird bis 2035 ein neuer Stadtteil für rund 16.000 Bewohnerinnen und Bewohner. Für die „Klima Biennale“ adaptiert nun das Architekturbüro StudioVlayStreeruwitz eine der großen ÖBB-Hallen. Gemeinsam mit der Landschaftsplanerin Isolde Rajek soll unter anderem ein Bewusstsein für die Ruderalvegetation in dem Gebiet geweckt werden. Damit ist die vorwiegend krautige Vegetation gemeint, die durch den Einfluss des Menschen in Siedlungsgebieten, auf Industrieanlagen und Verkehrswegen entsteht.
Dabei beleuchtet die international besetzte Gruppenschau „Songs for the Changing Seasons“ den affektiven Umgang mit der Klimakrise. „Wie fühlt es sich an, dass wir unsere klimatische Heimat verlieren, dass wir dem Verlust ins Auge blicken müssen?“, möchte Schulze wissen, der die Schau gemeinsam mit den Kuratorinnen Lucia Pietroiusti, „Head of Ecologies“ der Londoner Serpentine Galleries, und Filipa Ramos vom Basler „Institute Art Gender Nature“ konzipiert. Die ausgewählten Arbeiten drehen sich um Trauer ebenso wie um Chancen eines Neuanfangs. In der zeitgenössischen Kunst gäbe es heute zwar deutlich mehr Auseinandersetzung mit Umweltfragen als früher, aber es werde wenig thematisiert, wie diese Veränderungen auf unsere Gesellschaft wirken.

Am Nordwestbahnhof mischt auch die „Vienna Design Week“ mit. Die Ausstellung „Design with a Purpose“ klopft grüne Produkte aus Österreich auf deren tatsächliche Nachhaltigkeit hin ab. Rund um das Thema finden Talks und Vorträge statt. Wer möchte, kann sich dabei mit einem Shake aus Insektenprotein stärken. Die „Klima Kantine“ erkundet mit experimenteller Kulinarik, wie die Lebensmittelversorgung der Zukunft schmecken könnte. Auch die Hochschulen bringen sich bei der „Klima Biennale“ ein. Studierende der Universität für angewandte Kunst Wien, der Akademie der bildenden Künste Wien und der Technischen Universität Wien werden in Workshops „Strategies & Solutions“ für die globale Erwärmung entwickeln.

Und was ist mit den Klimaaktivisten, die zuletzt am lautesten ein Umdenken forderten? „Wir haben höchste Achtung vor dem Aktivismus und seiner Bedeutung für die Demokratie“, betont Pathirana. Im Rahmen der Wiener Festwochen ab 12. Mai eröffnet im Volkskundemuseum ein Aktivismuscamp, das an der Biennale mit einer Carte Blanche teilnimmt. Es sei ein extrem langer Prozess gewesen, Bewegungen wie „Fridays for Future“, „Letzte Generation Österreich“, „Extinction Rebellion“ oder „Greenpeace“ ins Boot zu holen. Diese Gruppen wollen nicht vereinnahmt werden. „In den Gesprächen wurde uns zurückgespiegelt, dass viele Initiativen derzeit ausgelaugt sind. Sie benötigen einen Safe Space zum Kräftesammeln, was daraus entsteht, verantworten sie selbst“, sagt Schulze.

Wien soll eine europaweit vorbildliche „Klimamusterstadt“ werden. So versprach es das 2020 von SPÖ und Neos verfasste Regierungsprogramm. Die „Klima Biennale Wien“ als imageträchtiges Aushängeschild ist leichter zu bewerkstelligen, als etwa eine radikale Reduktion des Autoverkehrs. Dennoch hört sich das Bildungs- und Vernetzungsprogramm der Biennale vielversprechend an. „Die Du-Beziehung zur Natur muss wieder hergestellt werden“, forderte Ökopionier Hundertwasser schon vor Jahrzehnten. Die Zeichen stehen gut, dass die „Klima Biennale Wien“ mehr als kommunales Grünwaschen zuwege bringt.


5. April bis 14. Juli 2024
Stadtraum Wien
biennale.wien


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