No Plastic Planet

Klein, aber „Ooho“: Ein Londoner Unternehmen will mit essbaren Verpackungen aus Braunalgen überflüssigen Plastikmüll vermeiden.
Von Sarah Kleiner

Gesundheitsschädliche Chemikalien, Mikroplastik in Gewässern und im menschlichen Organismus, tonnenweise Abfall, der einst idyllische Strände in Müllhalden verwandelt: Kunststoff zählt heute zu den größten Bedrohungen für Mensch, Tier- und Umwelt. Etwa 150 Millionen Tonnen Plastik schwimmen in den Gewässern der Erde, mehr als 350 Millionen Tonnen werden jährlich weltweit neu produziert. Dabei werden noch immer 99 Prozent der Kunststoffe aus fossilen Rohstoffen wie Gas, Erdöl oder Kohle gewonnen, etwa ein Drittel des Plastikabfalls in Europa wird recycelt. Je größer die Umweltbelastung durch Kunststoffe wird, umso gefragter werden alternative Materialien wie Glas, Bioplastik und auch Produkte wie „Ooho“.
„Wir hatten kein Labor, also haben wir die ersten Versuche in unseren Küchen gemacht“, sagt Pierre Paslier vom britischen Unternehmen Notpla am Telefon. 2013 war das. Der gebürtige Franzose hatte damals im Zuge seines Masterstudiums in Innovation Design Engineering in London mit seinem Geschäftspartner Rodrigo García González an einem Bio-Kunststoff gearbeitet. „Wir wollten eine menschengemachte Verpackung entwickeln, die eher so funktioniert, wie die Natur Dinge verpackt“, sagt Paslier. Die Jungunternehmer entwickelten ein elastisches Material aus Braunalgen, das transparent, leichter als Plastik, in kurzer Zeit biologisch abbaubar und sogar essbar ist – die „Oohos“ waren geboren. Dabei handelt es sich um kleine Säckchen, die mit Saucen, Cremes, Säften oder andere Flüssigkeiten befüllt werden können. Die beiden Jungunternehmer tauften ihr Unternehmen vergangenes Jahr „Notpla“ für „Not Plastic“ und heute sitzt Piere Paslier in seiner eigenen Werkstätte in London.
Besonders bei Single-use-plastics – also Einwegprodukten, die bei hohem Ressourcenaufwand oft nur kürzeste Zeit genutzt werden – ist ein Umdenken gefordert. Es dauert bis zu 450 Jahre, bis eine PET-Flasche komplett biologisch abgebaut ist, nachdem sie oft nur minutenlang im Einsatz war. Im Gegensatz dazu dauert das bei Oohos vier bis sechs Wochen. Der potenzielle Markt ist enorm, denkt man an die vielen Take-Away-Angebote, an öffentliche Veranstaltungen wie Marathons oder Festivals oder auch an Fast-Food-Ketten. „Eine externe Analyse einer regulären Heinz-Ketchup-Schale zeigte, dass wir den ökologischen Fußabdruck durch die Verpackung in Oohos um 68 Prozent reduzieren“, sagt Paslier.

1,6 Milliarden Plastikflaschen werden in Österreich jährlich in Umlauf gebracht


„Der Bioplastiktrend ist auch mit Vorsicht zu genießen“, sagt Lena Steger, Ressourcensprecherin bei Global 2000. „Er treibt die Wegwerfgesellschaft, das einmalige Verwenden von Produkten, weiter voran und stellt sie als in Ordnung dar“, sagt sie. Der kürzlich von der NGO publizierte Littering Report, der sich mit Abfällen auseinandersetzt, die nicht im Müll, sondern in der Natur landen, zeigte, dass etwa ein Viertel dieser Abfälle aus Plastik ist.
Die meisten Arten von Bioplastik werden aus Maisstärke, Zuckerrohr oder Kartoffelstärke hergestellt, die nicht zwingendermaßen aus biologischem Anbau stammen müssen. In der Produktion werden ebenso wie bei regulärem Kunststoff Emissionen freigesetzt, wird Wasser und Energie verbraucht. Für große Kunststoffproduzenten hat das Biomaterial – abgesehen vom grünen Image – den Vorteil, dass Produktionslinien weiterhin eingehalten werden können. „Es werden zwar keine fossilen Rohstoffe verwendet, aber es kann zu Problemen in anderen Bereichen kommen“, sagt Steger. Die können von der Rodung von Regenwäldern bis hin zum verstärkten Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger oder zu Konkurrenz mit der Lebensmittelbranche führen. Auch die Gewinnung der Braunalgen könnte langfristig und bei Produktion in großem Ausmaß problematisch für sensible Ökosysteme sein. „Wir müssen von diesem Kurzverwenden und Wegschmeißen hin zu Systemen kommen, die wirklich das Wiederverwenden in den Vordergrund stellen“, sagt Lena Steger. „Unser Ansatz ist deswegen: Jede Verpackung, die gar nicht erst produziert wird, ist ein Gewinn für die Umwelt, das Klima und den Ressourcenschutz.“
1,6 Milliarden Plastikflaschen werden in Österreich jährlich in Umlauf gebracht, aktuell werden davon etwa 70 Prozent wieder eingesammelt. Die EU-Richtlinie zu Single-Use-Plastics sieht vor, dass diese getrennte Sammelquote bis zum Jahr 2029 auf 90 Prozent ansteigt. Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) präsentierte Mitte September einen Drei-Punkte-Plan zur Reduktion von Plastik in Österreich. Vorgesehen sind einerseits ein Einwegpfand auf Plastikflaschen und Dosen, eine Quote für Mehrwegflaschen im Handel und eine Abgabe für Herstellung und Import von Kunststoff. Handelsvertreter und Wirtschaftskammer sind vehement gegen das Vorhaben, eine Einigung soll bis Ende des Jahres gefunden werden.


Ein Problem, das die essbaren Verpackungen von Notpla mit sich bringen, ist die Hygiene. Die kleinen Säckchen dürfen, wenn sie essbar bleiben wollen, am Weg vom Hersteller zum Endkonsumenten nicht schmutzig werden. Paslier und González haben ihr Geschäftsmodell deshalb so ausgerichtet, Maschinen in der Größe eines geräumigen Kühlschranks an Gastronomen und Unternehmer zu vermieten. „Zurzeit haben wir nur die Handvoll Maschinen, mit denen wir hier in London arbeiten“, sagt Paslier. Kunden senden ihre Produkte, Notpla verpackt sie und schickt sie ihnen zurück. „Aber das soll nur demonstrieren, wie diese Maschinen auch im kleineren industriellen Umfeld eingesetzt werden können“, erklärt Paslier. Durch das Vermietsystem können die Kunden dann Flüssigkeiten selbst vor Ort abfüllen, was eine Verunreinigung verhindert und Transportwege spart. Ab 2021 sollen die Maschinen zur Miete bereitstehen. Aktuell arbeitet das Londoner Unternehmen auch an einer Folie, robuster und langlebiger als Oohos, für feste Inhalte.
Bio-Kunststoffe allein werden die Ressourcen- und Umweltprobleme, die die Massenproduktion von Plastik mit sich bringt, nicht lösen können. Allerdings leisten sie in Kombination mit Pfandsystemen und einem bewussteren Umgang der KonsumentInnen einen Beitrag zu einer nachhaltigen Verpackungsindustrie. „Wir hoffen, dass wir, sobald mehr Maschinen zur Verfügung stehen, unsere Produkte auch nach Europa und in die USA bringen können“, sagt Pierre Paslier. Die Frage, wie der Brexit die ambitionierten Pläne des Unternehmens beeinflusst, ringt ihm ein müdes Lachen ab. „Unsere Kontakte zum Umweltministerium haben uns darauf hingewiesen, dass der Brexit die Umsetzung der Nachhaltigkeits-Agenden in Großbritannien beschleunigen könnte“, sagt Paslier. Die Fokussierung auf nationale Lösungen würde auch viel Energie und Bewegung im Sektor bewirken, für Notpla habe der Brexit deshalb gute und schlechte Seiten. „Aber um ehrlich zu sein: im Wesentlichen hat sich nichts verändert“, sagt Paslier. 


Informationen. Mehr zum Thema

www.notpla.com

Der Drei-Punkte-Plan
bmk.gv.at/service/presse/gewessler/20200907_3punkteplan.html

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