Nutzen, was man hat
Fahrbarer Hühnerstall.
Zu Besuch bei einer solidarischen Landwirtschaft
beim ORF-Sender Moosbrunn
Reportage von Sarah Kleiner. Fotos Christopher Glanzl
Der große Brachvogel braucht offene Landschaften«, erklärt Sara Schaupp. Sie steht am Rande eines eingezäunten Beetes, vor ihr wachsen Butternusskürbisse und Jalapeños aus dem Boden. Der Wind pfeift über die umliegenden Wiesen und Felder. In der Mitterndorfer Senke ist es flach. »Wir haben eine Förderfläche am Betrieb, auf der wir nichts anbauen und zu speziellen Zeiten, in der Brutzeit zum Beispiel, nur gewisse Teile mähen«, sagt Schaupp. Der natürliche Lebensraum des Brachvogels soll vom landwirtschaftlichen Betrieb nicht gestört werden. »Die ökologischen Nischen nutzen, die man vorfindet«, formuliert es Sara Schaupp. Mit dem Verein Ouvertura hat sie mit vielen anderen hier seit 2017 eine solidarische Landwirtschaft errichtet. Hunderte Meter entfernt ragen 60, 70 Meter hohe Antennenkonstruktionen aus der ebenen Landschaft. Rund um den Sender Moosbrunn, einer Kurz- und Mittelwellensendeanlage des ORF, entstehen im kollektiven Zusammenschluss Obst, Pilze, Nüsse, Tees, Gewürze, Getreide – Lebensmittel für über 100 Personen.
Die solidarische Landwirtschaft (SoLaWi) will Konsument/innen und Produzent/innen zusammenbringen. Laut Regierungsprogramm sollen neue Formen der Landwirtschaft wie Community-Supported Agriculture (CSA) unterstützt werden. Die Begriffe beschreiben im Wesentlichen landwirtschaftliche Betriebe, die über eine gemeinschaftliche Finanzierung bestehen und dem Einzelnen dafür einen Ernteanteil überlassen. Die organisatorischen Details unterscheiden sich von Projekt zu Projekt, auch die landwirtschaftliche Praxis reicht von konventionell über Bio- oder Demeter-Standards hin zu permakulturellen und experimentellen Konzepten. In den meisten Fällen aber lebt die solidarische Landwirtschaft von Nachhaltigkeit, dem Arbeiten mit der Natur und dem Beitrag von vielen.
»Nächstes Jahr wandert der Hühnerstall hierher, und die Beete kommen in den anderen Bereich«, sagt Sara Schaupp. Im abgezäunten Bereich nebenan gackern die Hühner rund um einen fahrbaren Stall. Das »Ou« in Ouvertura steht für das rumänische Wort für Ei. Alle Lebensmittel, die hier entstehen, werden unter den Mitgliedern von Ouvertura aufgeteilt. Sie können herkommen, sich das Gelände ansehen und beim Ernten und Verarbeiten der Lebensmittel helfen. Sie zahlen monatlich einen vereinbarten Betrag, der an die eigene Lebenssituation angepasst werden kann. Ihren Ernteanteil holen sich die Mitglieder an verschiedenen Standorten in Wien und Niederösterreich ab.
»Für viele Menschen, die zu uns kommen, ist es wie eine Oase, etwas zu machen, was nicht sinnentkoppelt ist«, sagt Rosi Kaspar von der GeLa Ochsenherz, einer solidarischen Landwirtschaft in Gänserndorf. »Für uns am Betrieb ist wiederum die körperliche Arbeit leichter zu machen, weil wir jede Woche strahlende Gesichter sehen, wenn sich Leute ihren Ernteanteil abholen«, so Kaspar. Der Betrieb hat vor etwa zehn Jahren als erster in Österreich begonnen, »Gemeinsame Landwirtschaft« zu betreiben. »Der Grundgedanke der CSA ist es, den Bauern existenziell abzusichern«, sagt Rosi Kaspar. »Er hat die ganze Arbeit, aber erst, wenn die Ernte gut gelaufen ist, finanzielle Sicherheit.« Ernteausfälle und -überschüsse können in einer solidarischen Landwirtschaft flexibel verteilt werden: Neben den abholbaren Kisterln gibt es bei den beiden Betrieben zum Beispiel Stellen zur freien Entnahme, an denen Mitglieder wie im Laden aus dem Sortiment auswählen können.
Wege in die solidarische Landwirtschaft
Ouvertura und GeLa Ochsenherz sind eng miteinander verknüpft. Teilweise ergänzt sich das Angebot der beiden noch, die Kundenstämme überschneiden sich. Sara Schaupp hat den Gärtnerhof Ochsenherz als Praktikantin kennengelernt. 2014 hat sie mit anderen beschlossen, das Projekt bei Moosbrunn zu starten, die Felder stellte ein engagiertes Mitglied zur Verfügung. »Was solidarische Landwirtschaft nicht sein will, ist ein hochpreisiges Projekt für ein paar, die sich diese Qualität leisten können«, sagt Schaupp. Sie habe den Anspruch, die Menschen in einer Region mit wirklich guten Lebensmitteln vor Ort zu versorgen, ohne die Natur zu zerstören.
»Wir haben heute eine gewisse Dichte an Menschen in den Städten, nicht jeder hat Platz für ein eigenes Gemüsebeet«, sagt Valerie Seitz. Die CSA sei deswegen nicht zuletzt für urbane Gegenden eine interessante Alternative. Seitz ist Leiterin der Permakultur Austria Akademie in Wien, die auch einen Universitätslehrgang an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik anbietet. »Bei einem CSA-Projekt hat man ein neues Wirtschaftsmodell, das aus der Konsumdynamik aussteigt und einen Superlink zwischen Kunden/innen und Landwirten erzeugt«, sagt Seitz. Wissensvermittlung, Erhaltung alter Sorten, das Gefühl für Saisonalität, der bewusste Umgang mit dem Boden, die Erhaltung von Artenvielfalt und Lebensräumen – für Seitz gibt es viele Gründe, solidarökonomische Modelle im Lehrplan zu haben.
www.ouvertura.at
www.solawi.life
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