„Öl ist für uns wie Blut“

Monira Al Qadiri. Foto Cornelia Hefel

Die Arbeiten von Monira Al Qadiri kreisen um die Geschichte der Petro-Staaten, sie gibt Erdöl eine Stimme. Was es zu sagen hat, verrät die Künstlerin im Interview.
Von Angelika Drnek

Sie haben Ihre Studien in Japan mit einer Dissertation zur „Ästhetik der Traurigkeit im Nahen Osten“ abgeschlossen. Welche Rolle spielt die Traurigkeit in der Kultur dieser Region der Welt?
Monira Al Qadiri: Ich bin in Kuwait aufgewachsen, dort ist Traurigkeit eine Art noble Emotion, die das Leben formt. So viel Poesie, Lieder und religiöse Rituale zelebrieren die Tragödie. Ich liebe das Konzept, die Atmosphäre, die all das umgibt. Es ging mir ab, als ich Kuwait verließ. Meine Arbeit wirkt auf den ersten Blick oft flashy, bunt und witzig – aber im Grunde geht es immer um das Tragische. Traurigkeit ist Teil der emotionalen Landschaft des Menschen. Sie ist nicht zwingend etwas Negatives, sie kann auch etwas Schönes sein. Auch im deutschsprachigen Raum haben Künstler früher, Goethe etwa, die Melancholie gefeiert. Heute sollen wir produktive Menschen in einer modernen Gesellschaft sein, da kommt es zur Trennung der Emotionen. Ich bin nicht sicher, ob das der richtige Weg ist.

Ihre Arbeit kreist um die Petro-Staaten und die Frage, wie sich die Ökonomie des Öls auf diese ausgewirkt hat. Wo liegt der Knackpunkt?
Kuwait war ein sehr armes Land, es gab kaum andere Ressourcen, es ist eben eine Wüste. Die meisten Menschen lebten an der Küste, wo sie fischten und nach Perlen tauchten. Das war die Haupteinnahmequelle, auch wenn es nicht eben viel einbrachte. Mein Großvater war Teil der Perlenindustrie, als Sänger auf einem Perlentaucherboot. In den 1930er Jahren implodierte die Industrie, weil man in Japan entdeckt hatte, wie man Perlen im Labor züchten kann. Genauer gesagt war es Kokichi Mikimoto – in unseren Geschichtsbüchern wird er heute noch wie ein Staatsfeind beschrieben.

Und dann kam das Öl?
Dann kam das Öl. Das radierte das Perlentauchen schließlich komplett aus. So sehr, dass die Menschen irgendwann nostalgisch wurden und sich ihrer Perlentaucher-Vergangenheit versichern wollten. Allerdings auf eine fast cartoon-artige Weise. Ohne all die Armut, die harte Arbeit. Es ging nur noch um eine magische versunkene Welt. Diese starke Verzerrung unserer Geschichte hat Öl uns angetan. Das Öl brachte radikale Änderungen mit sich. Fast so, als wären wir von Aliens eingenommen worden.

Sie haben dem Öl in Ihrer Arbeit sogar eine eigene Stimme gegeben. Als wäre es eine Figur.
Ich stelle mir das Öl wie einen Flaschengeist vor, einen Trickster, ein Alien. Wesen, die vergänglich sind, so wie auch das Öl vergänglich ist. Zwar ist es gekommen, aber es wird auch wieder gehen. Dann wird etwas anderes seinen Platz einnehmen. Etwas, das das Öl komplett ersetzt. Wir wissen alle, dass das Ende kommen wird. Für den Westen mag das problematisch sein, für Staaten wie Kuwait aber ist es existenziell. Öl ist für uns wie Blut, das durch unsere Adern fließt. 90 Prozent der Ökonomie bauen auf Öl auf. Die Frage, was danach kommt, beschäftigt jeden in Kuwait. Auch wenn niemand darüber sprechen will. Werden wir wieder nach Perlen tauchen? Wohl eher nicht. Aber es betrifft uns ja alle. Der Entstehungsprozess von Öl dauert tausende von Jahren – und dann verbrennen wir es am Weg zum Supermarkt. Nicht gerade nachhaltig. Wir haben unser ganzes Leben auf Öl aufgebaut. Es wird überall verwendet. Ich frage mich, wie wir wohl davon loskommen werden.

In einer Ihrer Arbeiten verbinden Sie einen Dinosaurier mit dem legendären Autotune-Effekt. Wie geht das zusammen?
Der Autotune-Effekt erzeugt eine automatische Tonhöhenkorrektur. Es gibt mittlerweile kaum einen Song, bei dem nicht damit gearbeitet wird. Der Erfinder dieses Audio-Effekts kommt aus der Öl-Industrie, Andy Hildebrand. Um Ölfelder ausfindig zu machen, werden Schallwellen verwendet. Hildebrand hörte irgendwann in den 1990er Jahren einen Song im Radio und bemerkte, dass der Sänger den Ton nicht richtig getroffen hatte. Da dachte er sich, dass er das mit seinem hochtechnologischen Akustik-Equipment korrigieren könnte. Und es funktionierte. Auf diese Weise ist Öl verbunden mit einer Popsong-Software. Öl entsteht unter anderem aus den Resten von uralten Organismen, auch von Dinosauriern. So habe ich einen Dinosaurier Karaoke singen lassen, natürlich in Auto-Tune. Einen traurigen Song über die Einsamkeit und das Warten auf die Liebe.

Auch die Wüste ist ein wiederkehrendes Motiv, was erzählt Sie Ihnen?
Ich bin in der Wüste aufgewachsen, für mich ist diese Landschaft ganz normal. Es ist ein einsamer, ein rauer Ort. In einer Wüste allein zu sein, bringt Melancholie mit sich. Auch daher kommt wohl diese Idee der Traurigkeit. Und – so schlimm es ist – die Wüste ist die Zukunft. Nach dem Klimakollaps wird alles zur Wüste werden, oder? Post-apokalyptische Szenerien werden auch immer in der Wüste angesiedelt. Für mich ist die Wüste aber auch ein Ort der Schönheit.

Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit: Oft denken wir, dass diese drei Stadien völlig voneinander losgelöst sind. Sie machen die Übergänge aber immer wieder sichtbar. Zudem hatten Sie in Japan in dieser Hinsicht ein besonderes Erlebnis.
In Japan werden die Vorfahren verehrt, es herrscht ein regelrechter Kult. Das war mir völlig neu. Dann lernte ich eine Frau kennen, die Ghost Reader ist, also mit Geistern in Kontakt treten kann. Geister sind in Japan keine Märchengestalten, sondern faktischer Teil des Alltags. Deshalb ist Ghost Reader auch kein außergewöhnlicher Job. Normalerweise jedenfalls sieht ein solcher Ghost Reader dann vielleicht die Großmutter oder den Großvater des Klienten, bei mir waren es aber gleich 40 bärtige Männer. Damals fand ich das lustig, später dachte ich dann aber mehr und mehr darüber nach. Ich wollte wissen, wer diese 40 Männer sind. Vor einigen Jahren entwickelte ich schließlich eine Theater-Performance, in der ich mit den 40 Männern sprach. Dabei ging es auch um die Unmöglichkeit, mit der Geschichte in Berührung zu kommen, darin wirklich einzusteigen, sie gänzlich zu erfassen. Ohne Lost-in-Translation-Moment ging es nicht. Auch die Geschichte unseres Landes hat kein durchgehendes Narrativ. Menschen von auswärts thematisieren das oft. Da heißt es dann: „Ihr habt ja gar keine Geschichte. Eure Städte schossen erst aus dem Boden, als das Öl kam.“ Das stimmt natürlich nicht. Fakt ist aber, dass es natürlich vieles gibt, worüber nicht gesprochen wird, es gibt große Lücken. Dinge, die einfach ausgelassen werden. Und das liegt an dem Umstand, dass wir nicht in einer Demokratie leben. 


TIPP DER REDAKTION
Die Ausstellung
Monira Al Qadiri
Mutant Passages
ist noch bis zum 2. Juli 2023 im Kunsthaus Bregenz zu sehen.
kunsthaus-bregenz.at

Monira Al Qadiri, Choreography of Alien Technology
Shell, 2023
Ausstellungsansicht 1. Obergeschoss Kunsthaus Bregenz, 2023, Foto: Markus Tretter
Courtesy of the artist und König Galerie, © Monira Al Qadiri, Kunsthaus Bregenz


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