ORCHESTER IN DER SCHWEBE

In Vorarlberg steht ein ganzes Orchester still, in Warteposition, seit Monaten. Nach einer neuen Opernproduktion und einer vor Freude überschäumend musizierten Konzertmatinée bei den Festtagen im Festspielhaus 2020 sah es für die neue Saison den Umständen entsprechend gut aus. Präventionskonzepte waren erstellt und genehmigt worden, statt zwei Konzertabenden sollte es pro Veranstaltung vier Termine geben, um den Besucher|innen angemessen Platz und Abstand bieten zu können. Es kam anders: Aufgrund einer Verordnung der Landesregierung konnte kein einziges der geplanten Abonnementkonzerte im Herbst über die Bühne gehen, während im restlichen Österreich Kulturveranstalter ihre Arbeit mit aller gebotenen Vorsicht erfolgreich umsetzten – und die offiziellen Informationen zwischen der einen und der nächsten Absage waren so spärlich, dass man immer nur warten konnte.
WIR HOFFEN ALLE
„Warten und hoffen!“ betont Bianca Riesner, Cellistin, und Mitbegründerin der IG Freie Musikschaffende, einer Interessensgemeinschaft, welche nun vor allem als Ansprechpartner für Kulturpolitiker|innen auf Landes- und Bundesebene funktioniert und dort über Belastungen und Notwendigkeiten von Musikerinnen und Musikern sowohl in dieser Situation, als auch bei längerfristigen Themen Auskunft gibt. „Natürlich muss man sich am Instrument fit halten und weiterüben, auch wenn man den Zeitpunkt nicht weiß, wann man wieder spielen darf.“ – Und zwar vor Publikum! Bei der einzigen Produktion, die gespielt werden konnte, dem Festival texte&töne, ausgestrahlt vom ORF, hätte der Austausch mit live anwesendem Publikum vielen Kolleginnen und Kollegen schmerzlich gefehlt.
Christoph Ellensohn, Hornist und Orchestervertreter, zieht Bilanz: „Ich hatte im letzten Jahr nur zehn Auftritte, die meisten davon nicht einmal auf einer Bühne, wirklich unglaublich!“ Da sei es manchmal schon sehr zäh, ohne jede Perspektive die Motivation zum Weiterüben zu finden.
„Kurios“ findet die Schlagwerkerin Anna-Maria Schuchter die ganze Situation. Zuvor hätte die Musik ihr ganzes Leben ausgefüllt, jetzt wäre dieser große Teil in ihrem Leben wie künstlich mundtot gemacht. – Die Schwerpunkte verlagern sich, sie steckt jetzt mehr Energie ins Unterrichten.
SICHERHEITSNETZ MUSIKSCHULE
Sie ist, wie viele der Musiker|innen des SOV, an einer Musikschule beschäftigt, und ohne diese Sicherheit wüssten viele nicht, wie eine so lange Zeit in der Schwebe zu bewältigen gewesen wäre – und noch ist. Doch auch hier schaut man sorgenvoll ins nächste Schuljahr.
Werden die Familien im kommenden Jahr noch genug Geld für Musikunterricht haben? Ein Großteil der Stunden muss online abgehalten werden, und die Onlinetechnik stößt bald an Grenzen, wenn es um schönen Klang, genauen Rhythmus oder richtige Haltung geht. Bianca Riesner setzt den Schwerpunkt auf die persönliche Betreuung der Kinder, denen die sozialen Kontakte so sehr fehlten und auch Anna Schuchter bestätigt, dass ihre Beziehung zu den Schüler|innen inniger geworden sei, so vom eigenen Arbeits- direkt ins Kinderzimmer gezoomt zu unterrichten. Doch ohne Tage der offenen Tür und persönlicher Begegnung könne man kaum sagen, wie sich die Schülerzahlen entwickeln würden, und ein Rückgang würde dann die Lehrenden direkt treffen, sorgt sich Musikschuldirektor Ellensohn.
STILLSTAND ALS PROBE
„Das sind ganz verrückte Zeiten für uns,“ sagt auch Pawel Zalejski, Konzertmeister und freischaffender Musiker, „wir müssen mit positiver Energie mit dieser Realität zurechtkommen. Die Lage ist ernst, viele fragen sich, wie die Zukunft wohl aussehen wird.“ Das SOV wäre in seinen Augen ein wirklich einzigartiges Orchester, nicht einfach nur Berufsmusiker|innen, sondern hier herrsche eine ganz besondere Atmosphäre, es gäbe eine großartige innere Dynamik, und Emotionen, die sie alle zusammenhalten würden. Dieser aufgenötigte Stillstand fühle sich nun auch wie eine Probe für die Freundschaft und den Zusammenhalt des gesamten Orchesters an. „Wir wissen nicht, wie sich die Kulturlandschaft unter und nach der Pandemie verändert, aber die Gesellschaft muss einen Weg finden, den Faden zur Kunst nicht zu verlieren!“
WIR SIND BEREIT!
Dass das Management des SOV alles darangesetzt habe, für ausgefallene Abokonzerte Abschlagszahlungen zu leisten, rechnen die Musiker|innen der Geschäftsführung hoch an. Das Team rund um Geschäftsführer Sebastian Hazod arbeitet seit fast einem Jahr an Präventionskonzepten, wechselnden Budgetsituationen, Testorganisationen, Kartenrückerstattungen und vor allem an Verschiebungen von ausgefallenen Konzerten und wird nicht müde, alle bei der Stange zu halten: das Orchester, aber vor allem auch das Publikum. „Wir möchten unserem Publikum signalisieren: wir sind bereit! Wenn wir wieder spielen dürfen, dann machen wir das!“