PARTNERSCHAFT STADT UND LAND

Warum Kreisläufe in der Landwirtschaft funktionieren müssen
Von Josef H. Reichholf
Illustration Johann Brandstetter
Er könnte so schön laufen, der Kreislauf zwischen Stadt und Land. Die Landwirtschaft erzeugt, was die Städter nötig haben. Dafür zahlen sie gutes Geld. Beide leben partnerschaftlich zufrieden und schätzen einander. Schön wär’s; offenbar allzu schön, um wahr sein zu können. Fast immer und nahezu überall verhält es sich anders. Konflikte sind die Folge. Warum ist das so? Fehlt guter Wille? Mangelt es an Kooperationsbereitschaft? Was wäre zu ändern, um die Partnerschaft gelingen zu lassen? Oder bleibt guter Kreislauf eine Illusion? Sehen wir uns kurz an, wie das Agrarsystem funktioniert. Daraus ergibt sich, wie es funktionieren sollte. Und warum es so schwierig ist, sich dem Ziel wenigstens zu nähern.
Landwirtschaft funktioniert langfristig nur aus Kreisläufen: Pflanzen, düngen, ernten, nutzen und wieder zurückgeben, was die Ernte entzogen und das Vieh genutzt hat. In der Natur gibt es viele Kreisläufe dieser Art. Was Pflanzen erzeugen, wird zum Teil von Tieren (und Menschen) genutzt, letztlich aber wieder in den Boden zurückgebracht, in dem Mikroben die Nährstoffe den Wurzeln erneut verfügbar machen. So reiht sich Kreislauf an Kreislauf. Perfekt, wenn da nicht ein riesiges Problem gegeben wäre. Der ideale Kreislauf liefert keine Überschüsse. Was ein solcher produziert, wird „recycelt“ mit geringer Zeitverzögerung. So verhält es sich im Urwald. Tiere und Menschen machen einen verschwindend geringen Teil im Geschehen darin aus. Nutzer können in einem Wald nicht häufig sein, der sich im Gleichgewicht befindet. Wenn alles perfekt fließt und recycelt wird, fällt zu wenig ab für sie. Um mehr nutzen zu können, muss das System stark verändert, „jugendlicher“ gemacht werden. Denn die Anfangsstadien natürlicher Entwicklungen erzeugen nutzbare Überschüsse. Weil die Systeme wachsen. Die Nutzbarkeit nimmt mit weiterem Wachstum und dem Reifen hin zum Gleichgewichtszustand stark ab. Wie auch der sogenannte Grenzertragsnutzen in der Wirtschaft. Die Landwirtschaft hält daher aus zwingenden Gründen die Fluren fern vom Gleichgewicht. Das ermöglicht hohe Erträge. Diese müssen ausgeglichen werden, wenn man sie abschöpft. Sonst sinken die Erträge rasch. Im Klartext: Der Boden wird unfruchtbar.
Produktion und Verbrauch können zudem nicht gleichzeitig stattfinden. Sie müssen zeitlich aufeinander folgen. Die Jahreszeiten geben dies ganz von selbst vor. Aber Produktion und Nutzung müssen auch räumlich voneinander getrennt stattfinden. Die Rückführung der Abfälle, wie erforderlich für den Kreislauf, wird umso schwieriger, je weiter Produktion und Verbraucher voneinander entfernt liegen. Was zwischen Dorf und Flur noch verhältnismäßig leicht wechseln konnte, wird für Stadt und Land schwierig. Große Städte erhalten Nahrung aus der Ferne. Aber nicht nur Menschen, sondern auch das Stallvieh. Mit Futtermitteln aus Südamerika erzeugt es Fleisch und Milch. Die Abwässer und Abfälle kommen nicht dorthin zurück, wo die Futtermittel erzeugt wurden. Die globalen Dimensionen erzeugen ein parasitäres System. Mit unserer landwirtschaftlichen Produktion werden Flächen und Länder ausgebeutet, in die nichts mehr an Stoffen recycelt wird und wenig Geld als Kompensation zurückfließt. Die Abfälle häufen sich bei uns an in Form von Güllemassen, Abgasen und Abfällen.
Deutschland wird alljährlich mit über drei Milliarden Kubikmeter Gülle geflutet. In Österreich liegt die Menge mit gut 2,2 Millionen Kubikmeter pro Jahr zwar beträchtlich niedriger, aber es kommen doch rund 15 Kubikmeter Gülle auf jeden Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche.
Das Bäuerliche, das lange in kleinen, weitgehend geschlossenen Kreisläufen wirtschaftete, wurde wegrationalisiert. Reste davon blieben nur unter besonderen Bedingungen erhalten, wie im Gebirgsraum. Noch, aber wie lange noch? Recycelt wird tatsächlich immer weniger, auch wenn es so aussieht, als würde der Kreislauf funktionieren, weil Güllegestank die Luft erfüllt. Tatsächlich überdüngt dieser längst. Was früher Mangel war, ist des Guten zu viel geworden ist. Beschränkungen sind nötig. Deutschland ringt damit, Belastung von Natur und Umwelt durch das Übermaß an Stickstoff-Verbindungen zu vermindern. Die EU strengt Strafverfahren an. Dabei geht es „nur“ um die Qualität des Wassers, nicht um die ganze Natur. In dieser schwindet die Vielfalt. Hauptgrund ist die Überdüngung. Direkte Giftwirkungen stehen bei den Artenverlusten an zweiter Stelle. Der Stickstoff ist zum Erstick-Stoff für die Natur geworden. Auch für die Vielfalt der Kulturen und Produkte der Landwirtschaft. Sorten verschwinden, die weniger ertragreich sind, mögen sie noch so gut schmecken und gesund sein.
Wie kam es dazu? Hauptgrund war die Trennung von Preis und Kosten durch Subventionen. Die Landwirtschaft wurde nach dem Zweiten Weltkrieg massiv gefördert, um die Ernährung der Bevölkerung zu sichern. Was anfangs notwendig und gut war, schlug jedoch rasch in Überproduktion um. Seit einem halben Jahrhundert wird mehr erzeugt, als die Gesellschaft benötigt; viel mehr. Um den Preisverfall zu verhindern, wurden die Überschüsse von weiteren Subventionen gestützt auf den Weltmarkt geschickt und der internationalen Konkurrenz ausgesetzt. Nun sind aber die Produktionsbedingungen nicht überall gleich. Es gibt günstigere und benachteiligte Gebiete. Mit immer größeren Mengen an Hilfsstoffen, Dünger, Gülle und Pestiziden wurden natürliche Unterschiede ausgeglichen und immer mehr produziert. Längst klaffen bei vielen Produkten Bedarf und Erzeugung weit auseinander. Von Kreisläufen keine Spur mehr. Und immer weniger Solidarität mit den „Kleinen“. Sie wurden wegrationalisiert. Denn je größer die Flächen, desto größer auch die Menge der Subventionen. Das ist noch immer EU-Grundprinzip. Anstatt die Qualität zu fördern und bloße Massenproduktion mit ihren negativen Folgen entsprechend zu besteuern. Die Landwirtschaft und die örtliche/regionale Bevölkerung wurden in diesem System entkoppelt. Und zu Gegnern. Anstatt ihre Partnerschaft zu vertiefen. Das Vorbild dafür würden die Symbiosen abgeben. Sie funktionieren umso besser, je größer die wechselseitigeren Vorteile sind und je ausgewogener diese ausfallen. Der Weg dorthin wäre vorgezeichnet: Gutes Geld für gute Produkte der benötigten Menge. Erzeugt mit der geringsten Menge an Fremdstoffen (Dünger, Pestizide). Illusorisch? Hoffentlich nicht, denn wir brauchen nicht nur regional das partnerschaftliche Zusammenwirken. Es muss auch global funktionieren. Gegenwärtig plündern Europa, Nordamerika und Ostasien in noch nie da- gewesenem Umfang den großen Rest der Welt, übler als zu Zeiten des Kolonialismus. Gewaltige Migrationswellen sind die Folge dieser extremen Ungleichgewichte. Ein partnerschaftliches Verhalten wie in einer guten Symbiose könnte dies verhindern. Dazu müssen die Kreisläufe wieder kleiner und direkter gemacht, große Transportwege entsprechend hoch belastet und Subventionen abgebaut werden. Weil sie die tatsächlichen Kosten verschleiern; Kosten, die die Gesellschaft zusätzlich zu den Subventionen zu bezahlen hat. Das gegenwärtige System erzeugt staatsinterne Spannungen sowie zwischenstaatliche und internationale Konflikte. Bei der auf zehn Milliarden Köpfe zustrebenden Menschheit können wir uns die einseitige Begünstigung einiger weniger nicht länger leisten. Symbiosen sind überlebensnotwendig.
Josef H. Reichholf ist Evolutionsbiologe, Naturforscher und Bestsellerautor. Bis 2010 war er Leiter der Wirbeltierabteilung der Zoologischen Staatssammlung München und lehrte an beiden Münchner Universitäten. Zahlreiche Bücher, Fachpublikationen und Fernsehauftritte machten ihn einem breiten Publikum bekannt. 2007 wurde Josef H. Reichholf mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa ausgezeichnet, nach dem Cicero-Ranking 2009 gehört er zu den 40 wichtigsten Naturwissenschaftlern Deutschlands. Bei S. Fischer erschien von ihm: „Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends“, „Warum die Menschen sesshaft wurden“, „Einhorn Phönix Drache. Woher unsere Fabelwesen kommen“ und „Mein Leben für die Natur. Auf den Spuren von Evolution und Ökologie“.