Patina und Personality

Sonja Messing (li.), Alexandra Alge und Daniel Büchel

Vintage ist seit Jahren ein Hype. Sonja Messing, Alexandra Alge und Daniel Büchel beschäftigen sich schon lange und auf unterschiedliche Weise mit dem Phänomen des Vergangenen, das auch in der Zukunft weiterbesteht. Von Monika Bischof

„Vintage als Begriff ist verwirrend“, erklärt Sonja Messing, Inhaberin von Schoscha Interiordesign in Lindau. „Er wird oft mit dem Begriff Retro verwechselt. Während Vintage für originale Dinge aus früheren Jahrzehnten verwendet wird, gilt Retro für neue Dinge, die auf alt gemacht werden.“ Sie ist nicht nur Interior-Designerin, sondern sie berät fachkundig, konzeptioniert und führt auch aus: für das private Zuhause, das Büro, das Ladengeschäft oder die Gastronomie. Und sie ist eine Pionierin. So entwickelte sie schon vor Jahren in Lindau am Hafen mit der „37 Grad Kaffeebar“ ein Vintage-Café mit einem damals einzigartigen Konzept: „Hier konnte man alles kaufen, was man sah oder verzehren konnte. Vom Stuhl, auf dem man saß, bis zur Kaffeetasse, aber auch die Kaffeebohnen, die Lampe über dem Tisch oder den Rosmarinstock auf der Theke.“ Dieses Konzept fand viele Nachahmer. Ihre Vielseitigkeit hat Sonja Messing schon oft unter Beweis gestellt. Nach einem längeren Zwischenstopp in Bregenz mit einem Geschäft in einer alten Villa direkt am Bodensee mietete sie in Lindau eine Industriehalle mit 500 Quadratmetern Ausstellungsfläche, die Kunden aus ganz Europa anzog. Nun ist sie mit ihrem Conceptstore mitten in Lindau zu finden, dort wird neues Design mit Antikem und Vintage aus verschiedenen Jahrzehnten kombiniert.

Die Faszination für alte Möbel entstand dabei schon im Kindesalter. „Mir wurde schon früh bewusst, wie viel Arbeit und Liebe dahintersteckt.“ Vintage bedeutet für sie in erster Linie hochwertige Qualität und Nachhaltigkeit. „Das sind Möbel, die mindestens fünfzig Jahre alt und immer noch gut sind. Ich bevorzuge Möbel aus den 1960er-Jahren, in dieser Zeit herrschte eine ganz besondere künstlerische Ausgelassenheit, Detailverliebtheit und Farbenfroheit“, sagt Sonja Messing. „Vielleicht macht gerade diese Intensität an Farben den Hype um Vintage-Möbel aus? In Zeiten wie diesen vertragen wir doch alle ein wenig mehr Fröhlichkeit, oder etwa nicht?“ Weitere Erkennungsmerkmale, die Vintage-Möbel für die Interiordesignerin auszeichnen, sind spezifische Highlights. „Es wurden neue Formen entwickelt wie etwa beim Geschirr. Da gab es auf einmal ovale Teller, was vorher unüblich war.“ Für die Vintage-Expertin endet die Zeit des innovativen Möbeldesigns in den 1970er-Jahren – eine durchaus streitbare Position. „Damals wurden beispielsweise noch Stühle in S-Form entwickelt, was eine völlige Novität darstellte. Es gibt keine Neuerungen im Design aus den Jahrzehnten danach.“

Mit ihrer persönlichen Vorliebe trifft Sonja Messing den Puls der Zeit – die Vintage-Gegenstände erfreuen sich großer Beliebtheit. „Der Kunde kommt, sieht ein Produkt – und es findet eine spontane Verliebtheit statt. Das ist immer etwas Spontanes und Freudiges. Entweder sieht man den Gegenstand sofort oder eben nicht.“ Das Wohnen mit Vintage-Gegenständen bedeute auch eine permanente Auseinandersetzung mit den Dingen, die ihre eigene Geschichte und Persönlichkeit mitbringen. „Ich bin seit vielen Jahren als Einrichtungsberaterin tätig. Oft werde ich von Leuten angerufen, die eine tolle, neu eingerichtete Wohnung haben, sich darin aber nicht wohlfühlen. Es braucht manchmal einfach nur einen Gegenstand aus einer anderen Zeit, um die Sterilität und Kälte auszuhebeln.“


Zeitlosigkeit und ein wenig Glamour
Einen gänzlich anderen Zugang zu Vintage verfolgt Daniel Büchel. Er ist Künstler und Innenarchitekt – und er hat sich weit über Österreich hinaus als Gestalter von Räumen, Wohnungen, Häusern, Hotels und noch vielem mehr einen Namen gemacht. Seine Vorgangsweise ist einzigartig, da er in erster Linie Dinge, die bereits vorhanden sind, verwendet, gebrauchte Möbel einem neuen Zweck zuführt oder diese in einen anderen Kontext setzt. Dadurch erzielt er höchst originelle Ergebnisse, denen eine gewisse Zeitlosigkeit, aber auch ein wenig Glamour anhaftet. Seine Büros befinden sich in Wien und in Klaus in Vorarlberg.
„Vintage, Re-use, Upcycling und, wie die Dinge noch so benannt werden, sind ein Riesentrend und eine hochpreisige Modeerscheinung. Dabei ist das alles nichts Neues! Ich beschäftige mich schon sehr lange damit. Schon die Römer verwendeten zum Beispiel in ihren Opus signinum-Böden altes Baumaterial“, sagt Büchel. Für ihn gelte dabei der Ansatz, die vorhandenen Dinge anders zu sehen. „Im besten Fall ist alles schon da. Ich arbeite mit möglichst geringem Material- und Werkzeugeinsatz. Es ist doch paradox, einen Stuhl um mehrere hundert Euro renovieren zu lassen, wenn man das doch ganz einfach selbst machen kann und dieser dann genauso funktionstüchtig ist“, sagt Büchel. Für ihn muss jeder Schritt sinnstiftend sein. Bei einem neuen Projekt lasse er alles zuerst auf sich wirken und arbeite dann konzeptionell direkt vor Ort.

Für den innovativen Innenarchitekten ist alles Rohstoff: „Ich schmeiße grundsätzlich nichts weg. Im Hotel Magdas in Wien, das ich eingerichtet habe, kam sogar das Abbruchmaterial zum Einsatz, indem die alten Einbauschränke aus Pressspanmaterial für das notwendige Zimmermobiliar verarbeitet wurden. Ausrangierte Möbel wurden von mir ergänzend verwendet. Oftmals sind die Auftraggeberinnen und Auftraggeber der jeweiligen Projekte erstaunt, wie wenig eine Neukonzeptionierung ihrer Räume kostet.“ Daniel Büchel arbeitet ressourcenschonend und nachhaltig: „Für mich sind diese Begriffe kein Gag. Ich gehe völlig vorurteilslos auf Gegenstände zu und überlege, wie ich diese jeweils integrieren kann. Oder wie sie besser zur Wirkung kommen. Eine Knopfleuchte ist ästhetisch nichts Besonderes, wenn ich aber hundert davon an eine Wand hänge, wirkt das wiederum schön. Manchmal muss man nur etwas addieren, um eine besondere Wirkung zu erzielen.“ Die Achtsamkeit Dingen und Gegenständen und deren Wiederverwendbarkeit gegenüber habe sich schon in seiner Kindheit entwickelt. „Meine Mama kommt aus Galtür, einer auf 2.000 Höhenmetern gelegenen, kargen Landschaft. Wenn das Feld beackert wurde, wurden die Steine auf die Seite gelegt und zum Bauen von Mauern oder zum Festhalten von den Schindeln auf den Dächern verwendet. Diesem Verwenden von Vorhandenem ist meine Mama treu geblieben, so wurde von ihr beispielsweise Verpackungsmaterial wie Netze von Orangen zu reißfesten Schnüren verarbeitet.“


Liebe zu Design und Schönem

Alexandra Alge, Gründerin der gleichnamigen Möbelagentur, hat die Liebe zu Design und schönen Dingen zu ihrem Beruf gemacht. Begonnen hatte sie im Jahr 2008 mit einem kleinen Geschäft im Dornbirner Oberdorf. Seit mittlerweile acht Jahren verfügt sie jedoch in Wolfurt über einen großen Schauraum in dem Gebäude einer ehemaligen Weberei. Auf ihren Streifzügen durch Italien hat Alexandra Alge eine beeindruckende Sammlung zusammengetragen. Möbel und Leuchten der wichtigsten italienischen Architekten, wie etwa Gio Ponti, Ico Parisi, Marco Zanuso, Osvaldo Borsani und Nino Zondaca, aber auch das ein oder andere zeitgenössische oder „no name“-Fundstück mischt sich darunter.

Die Design-Expertin freut sich über Besucherinnen und Besucher in ihrem hell und luftig angelegten Schauraum. „Die meisten Leute brauchen ein wenig Zeit, um hier anzukommen. Sie sind fasziniert von den Räumen und der Atmosphäre, gleichzeitig sind sie aber auch von der Fülle an Eindrücken überwältigt.“ Und Alexandra Alge verfügt noch über das besondere Talent, spannende, aber auch fachkundige Geschichten zu den präsentierten Objekten zu erzählen. Dabei betont sie auch die handwerkliche Qualität ihrer Ausstellungsexponate: „Diese wurden noch in kleinen Betrieben hergestellt, das war noch vor der Zeit der Massenproduktion. Heute ist dies kaum mehr möglich, das rechnet sich leider nicht mehr, weder vom Materialaufwand noch von der Arbeit“, sagt Alexandra Alge. „Mein Polsterer sendet mir öfters Fotos von seinen Arbeitsschritten und ich bin immer wieder aufs Neue fasziniert, wenn ich die nackte Holzkonstruktion eines Sessels sehe.“

Bis ein Möbelstück oder eine Leuchte bereit für den Verkauf ist, benötigt es eigentlich immer eine Auffrischung oder Restauration. Alexandra Alge legt jedoch großen Wert da-rauf, dass die Stücke nicht „zu Tode“ restauriert werden: „Ich bin übrigens immer auf der Suche nach Handwerkern, die das Gespür und diese Geduld haben, zu reparieren und zu restaurieren.“ Gut erhaltene Möbel in Originalzustand zu finden werde immer schwieriger. Der Hype um Vintage macht sich beim Angebot auf den Kunst-, Design- und Antiquitätenmärkten bemerkbar. Alexandra Alge hat sich in den letzten 16 Jahren ihrer Händlertätigkeit einen internationalen Kundenkreis über ihre Webauftritte und über Messebeteiligungen aufgebaut: „Ich freue mich jedoch sehr, wenn ich ein vermitteltes Stück in seinem neuen Zuhause persönlich bewundern darf.“ Allerdings trennt sie sich auch manchmal schwer von bestimmten Stücken, wie etwa vom Sessel von Nino Zoncada, der aus einem italienischen Kreuzfahrtschiff stammt und originalgetreu restauriert wurde: „Dieses Modell wurde sogar bei der Ausstellung ‚Ocean Liners‘ im Victoria and Albert Museum in London gezeigt.“


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