Pilze als Designer
Die akustischen Wandpanele von „Mogu“ aus Myzelgewebe. Foto ©Mogu srl.
Kann durch Pilze die Textilbranche nachhaltiger werden? Das norditalienische Unternehmen SQIM ist überzeugt davon und entwirft daraus Lederalternativen und Interior. Die Frankfurter Heimtextil Messe stellte dessen Marke „Mogu“ unlängst als wegbereitend für eine Zukunft der Kreislaufwirtschaft vor. Von Magdalena Mayer
Die Stoffprobe, die Maurizio Montalti von seinem Tisch nimmt und zur Begutachtung hochhält, könnte als Leder durchgehen. Die Optik des schwarzen Rechtecks in seinen Händen entspricht täuschend echt einer gegerbten Tierhaut, doch zeigt Montalti eine Naturtextilie. Er hat sie mit dem norditalienischen Innovationsunternehmen SQIM entwickelt, dessen Mitbegründer er ist. Sie basiert auf einem biologischen Rohstoff, mit dem man die Textilbranche revolutionieren will – Myzel oder auch Myzelium. SQIM setzt das Wurzelgeflecht von Pilzen für Stoffe wie diesen in seiner Geschäftssparte EPHEA ein, bei der unter anderem Kleidung für namhafte Modemarken entsteht. Und schon länger arbeitet man mit der Interior-Linie „Mogu“ an Bodenbelägen und akustischen Wandpanelen aus Pilz. Diese wurde gerade auf der Heimtextil Messe in Frankfurt als eine der zukunftsweisenden Designinitiativen vorgestellt. Ihre Biodesign-Produkte, die mit ausgefeilten technischen Verfahren aus Myzelgewebe angefertigt werden, sollen nämlich nicht nur eine Alternative zu anorganischen Materialien sein, der natürliche Werkstoff ist auch wiederverwertbar – und dieses Potenzial soll der Transformation von einer linearen zur zirkulären Wirtschaft nutzen.
Foto ©Mogu srl.
Zirkuläre Zukunftstrends
Die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft standen bei der Messe, wo die internationale textile Einrichtungsbranche stets zum Jahresauftakt zusammenfindet, diesen Jänner generell im Zentrum. Unter dem Motto „Textiles Matter“ fokussierte sich die Messe auf Impulse, mit zirkulären Ansätzen Ressourcen wiederzuverwerten. Ein Weg, den immer mehr Unternehmen gehen, wie die „Trend Preview“ im Ausstellungsbereich der Messe und eine „Future Materials Library“ vorführten. Zuständig für die Innovationen-Schau war die Londoner Zukunftsberatungsagentur FranklinTill, die mit zwei anderen Designagenturen das „Trend Council“ der Messe bildet. Die Agentur gliederte den „Trend Space“ in zwei thematische Nutzungskreisläufe, um die Vielfalt an Herangehensweisen aufzuzeigen: Technische Kreisläufe, bei denen anorganische Materialien, von Plastik bis Metall, mitunter in möglichst abfallfreier Produktion und geringer Umweltbelastung recycelt werden; biologische Kreisläufe mit Textildesign, das auf Naturfasern und natürlichen Färbemitten beruht – oder für das organische Materialien mit modernen Techniken verarbeitet werden. Für letzteren Themenbereich zeigte FranklinTill „Mogu“ als Paradebeispiel, „wie Natur und Technik für Materialien zusammenkommen können, die smart und funktional sind, keine Kompromisse bei Ästhetik und Qualität eingehen, aber gut für den Planeten sind“, erklärt Britt Berden, leitende Kreativstrategin der Agentur.
Maurizio Montalti © Montalti
Züchten und Forschen
Als neuen Trend möchte Montalti seine Materialien auf Myzel-Basis allerdings nicht bezeichnen. Er forscht schon lange, wie Pilz-Ökosysteme für Produkte genutzt werden können. Vor über einer Dekade gründete er mit „Officina Corpuscoli“ in Amsterdam ein multidisziplinäres Studio, das an der Schnittstelle von Design und Biotechnologie agiert und Pionierarbeit bei auf Myzel basierten Technologien leistete, als davon noch niemand in der Textilindustrie, im Bauwesen oder einer anderen Branche sprach. Montalti begann, seinen Hintergrund im Ingenieur wesen und im Design mit Wissen der (Mikro-)Biologie zu ergänzen, mit Expertinnen zu kollaborieren und Myzel zu züchten. 2015 gründete er schließlich die Marke „Mogu“, um die Experimente auf ein industrielles Level zu heben und die Prozesse zu standardisieren. 2019 kamen die ersten Produkte von „Mogu“ auf den Markt und die Geschäftssparte EPHEA als zweites Standbein dazu. Auch mit dieser hat man Produkte auf dem Markt, Modelabels bekunden großes Interesse. Zur Paris Fashion Week 2022 brachte etwa das Premiumlabel Balenciaga einen Mantel mit EPHEA heraus. SQIM, die Technologieholding ist mittlerweile kein Start-up mehr, doch laut Montalti erst auf halbem Weg zum Ziel: Man will weiter expandieren, größere Produktmengen herstellen sowie die Kompetenzen im Team erweitern.
Hoffnungsträger Pilz
„Wir arbeiten in unserem Labor an Innovationen in viele verschiedene Richtungen“, sagt Montalti. Die eigens entwickelte Technologie beruht auf einer simplen Grundlage: Der Fermentation von Pilzen. Zu pflanzlichen Rückständen aus der Agrarindustrie wird Myzel hinzugefügt, das damit eine Symbiose eingeht und die Reststoffe zu einem neuen Material natürlichen Ursprungs bindet. Mit besserer Ökobilanz als vergleichsweise Tierleder, so Montalti: Die Myzele würden in wenigen Wochen wachsen, wenig Ressourcen und Energie brauchen, in jeder Größe und Form – auch flächensparend vertikal – angebaut werden können. Die Produkte seien antiallergen, langlebig und biologisch abbaubar. Auch andere Materialien wie Harze werden verwendet, dabei achte man auf einen hohen biologischen Anteil. Für Montalti ist das Erfolgsmodell aber klar das Myzel, wobei er lieber nicht von Material spricht, sondern von „Pilzen als Partnern“. Die lebenden Mikroorganismen sind immerhin Recyclingspezialisten, zersetzen beispielsweise Holz und geben Nährstoffe an den Boden zurück, fördern die Entstehung von neuem Leben. „Pilze werden zweifellos eine wichtige Rolle bei dem grundlegenden Wandel spielen, den wir brauchen“, meint er in Hinblick auf mehr Achtung des Naturkreislaufs und weniger Ausbeutung der Umwelt – gerade in der Textilindustrie, die allein für rund fünf Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist.
Auch andere Initiativen im textilen Sektor greifen mittlerweile auf Myzel zurück, weiß Britt Berden von FranklinTill: Von Verpackungslösungen über Lampenschirme bis zu mit Pilz erzeugten Farben (wie zum Beispiel von „Circular Union“ bei der Heimtextil vorgestellt). Ihrer Einschätzung nach steckt die Nutzung von Textilien aus Pilz zwar noch in den Anfängen – sie im Haus zu haben ist wohl noch gewöhnungsbedürftig. Doch schon jetzt können sich die Produkte sehen lassen, wie Montaltis Stoffprobe beweist: Edel, aber auf Grund der Textur mit eigenem Charakter. Für Berden steckt das Potenzial der Pilze vor allem in der Kreislauffähigkeit, weil sie eben kompostierbar und biologisch abbaubar sind und so der Erde zurückgegeben werden können. Längere Nutzungszeitrahmen und Wiederverwertung von Abfall seien wichtige Schritte weg vom linearen Wirtschaftssystem, mit dem man aktuell die Ressourcen von 1,75 Planeten verbrauche: „Es geht nicht nur darum, über das Endprodukt nachzudenken, sondern wirklich über jedes Element als Teil eines Kreises.“