Plan B für die Wirtschaft
Der „Club of Rome“ wurde 1968 als informeller Zusammenschluss von Wissenschaftlern, Politikern und einflussreichen Unternehmern aus 53 Ländern mit dem Ziel der Erforschung der Menschheitsprobleme gegründet. Mit der Untersuchung von Dennis Meadows über „Die Grenzen des Wachstums“ aus dem Jahr 1972 fand die Arbeit des „Club of Rome“ ein weltweites Echo. Diese Aufnahme zeigt die Eröffnungssitzung einer Konferenz des „Club of Rome“ im Jahr 1974 im Schloss Kleßheim, Salzburg: Im Vordergrund der Bruno Kreisky (li.) und der damalige Club-of-Rome-Präsident Aurelio Peccei (re.). An der linken Tischseite sind zu sehen (v.l.n.r.): der österreichische Finanzminister Hannes Androsch, der mexikanische Präsident Luis Echeverria mit Victor Urquidi, der schwedische Premierminister Olof Palme sowie Eduard Pestel (Deutschland) und Richie Ryan (Irland). An der rechten Tischseite: (v.r.n.l.): der Präsident Senegals Leopold Senghor, Alexander King (Großbritannien), der kanadische Premierminister Pierre Trudeau und Frits Bottcher (Niederlande). Foto/UPI
Das grenzenlose Wirtschaftswachstum steht in der Kritik. Dass es einer Reform
unseres Wirtschaftssystems bedarf, steht für viele Theoretiker und Praktiker, Bürger und Konsumenten außer Zweifel – aber wie soll diese Reform aussehen?
Von Sarah Kleiner
Über 50 Jahre ist es nun her, dass der „Club of Rome“ die „Grenzen des Wachstums“ prognostizierte. 1972 hieß es im gleichnamigen Bericht, die Weltbevölkerung würde binnen des kommenden Jahrhunderts ein ökologisch nicht mehr zu bewältigendes Ausmaß erreichen, weshalb neue Vorgehensweisen notwendig seien, „um die Menschheit auf Ziele auszurichten, die anstelle weiteren Wachstums auf Gleichgewichtszustände führen“.
Vergangenes Jahr erschien ein weiteres Buch von Vertretern des „Club of Rome“ mit dem Titel „Earth4All”. Darin wird an die früheren Kritikpunkte angeknüpft und ein „Genesungsprogramm“ vorgestellt, das den Klimakollaps und die steigende Ungleichheit, die unvermeidlich zu sozialen Konflikten führen würde, verhindern soll. Die fünf Kehrtwenden, die in „Earth4All” als notwendig erachtet werden, lauten: Beendigung der Armut, Beseitigung der eklatanten Ungleichheit, Ermächtigung der Frauen, Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems und Übergang zum Einsatz sauberer Energie.
Heute wie damals sind neben dem „Club of Rome“ zahlreiche Theoretiker und Praktiker in die Debatte um die Reform des Kapitalismus involviert. Ihre Theorien versprechen ein Wirtschaftssystem, das auf lange Sicht die Umwelt nicht weiter zerstört und Phänomenen wie gesellschaftlichem Werteverlust, steigender Vereinsamung und sozialer Ungerechtigkeit entgegenwirkt. Im Wesentlichen scheiden sich die Geister der Kapitalismuskritik an der Kernfrage, ob unsere Wirtschaft – dahinterstehend das Kapital – ewig weiterwachsen kann oder ob wir einen Punkt erreicht haben, an dem Verzicht und ein bescheidener Lebensstil insbesondere das Leben in den Industriestaaten prägen müssten. Die zugrundeliegenden Fragen, sind Fragen der Definition: Was ist Wohlstand, was ist Fortschritt, was zeichnet eine hohe Lebensqualität aus?
Im Rahmen des „Green New Deal“ wird das als grün, nachhaltig, qualitativ oder auch intelligent bezeichnete Wirtschaftswachstum in Europa eindeutig forciert. Wachstum soll mit neuen Attributen versehen und in Branchen gelenkt werden, deren Produkte oder Dienstleistungen der Umwelt und Gesellschaft minimal schaden. Als Weichenstellungen sind hier zum Beispiel die 17 „Sustainable Development Goals“ (SDGs) genannt oder die ESG-Kriterien, die nachhaltige Investments befördern sollen, oder die CO2
Kompensation, die negative unternehmerische Externalitäten durch Umweltschutzprojekte wettmachen soll.
Wie Recherchen der Zeit kürzlich zeigten, sind zahlreiche CO2-Zertifikate nicht wirklich mit Projekten des Umweltschutzes verbunden. Etikettenschwindel ist also sowohl hier, als auch bei nachhaltigen Investitionen und beim viel kritisierten „Siegel-Dschungel“ zu beobachten. Zudem führen Effizienzverbesserungen durch technologische Lösungen häufig zu sogenannten Rebound-Effekten, die Umweltprobleme sogar noch verschärfen. Ist das Grüne Wachstum also tatsächlich ein probates Mittel zur Erreichung eines Lebensstils, der ökologische Grenzen nicht überschreitet? Einige Konzepte, die besagen, es braucht mehr als die bisherigen Maßnahmen, seien hier vorgestellt.
Gemeinwohl-Ökonomie
„Ökonomie bedeutet, menschliche Grundbedürfnisse zu befriedigen und etwas Ethisches, Sinnvolles, Nachhaltiges in die Welt zu bringen. Das Unternehmen ist nur das Mittel dafür“, sagt Christian Felber. Er ist ein bekannter Vertreter der Gemeinwohl-Ökonomie im deutschsprachigen Raum und reist seit Jahren um die Welt, um das Konzept einer „ethischen Wirtschaft“ zu verbreiten. Felber kritisiert, dass die nationalen Bruttoinlandsprodukte ausschließlich finanzielle Wertschöpfung messen würden. „Wir brauchen statt des BIP ein Gemeinwohl-Produkt, das die gesamtgesellschaftliche Wertschaffung misst”, sagt er.
Christian Felber.
Foto Sven Fack
Ein Instrument zur Erreichung dieser Wirtschaftsweise ist im Rahmen des Modells die Gemeinwohl-Bilanz, die Unternehmen erstellen können. Sie misst in einem Punktesystem, wie in den fünf Bereichen Lieferanten, Eigentümer, Mitarbeiter, Kunden und gesellschaftliches Umfeld agiert wird. Sie werden hinsichtlich der Parameter Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitentscheidung bewertet. Anhand des Scores zwischen minus 3.600 und plus 1.000 Punkten sowie einer „Gemeinwohl-Ampel”, mit der Produkte versehen werden, sollen Konsumenten sichergehen können, dass sie nur das kaufen, womit kein oder möglichst wenig sozialer und ökologischer Schaden angerichtet wird. Mit der Zeit sollen so schädliche Produkte und ihre Hersteller vom Markt ausscheiden.
„Wir wollen eine soziale Marktwirtschaft ohne Kapitalismus etablieren“, sagt Felber, wohl wissend, wie schwierig die Grenzziehung zwischen den beiden Begriffen ist. „Sie soll eine kooperative, eine ökologisch nachhaltige, eine humane, eine solidarische Marktwirtschaft werden.“ Felber spricht von einem holistischen Konzept, seine Vorstellung der Gemeinwohl-Ökonomie beinhaltet ein neues Bildungssystem und Umverteilungsmaßnahmen, wie eine Begrenzung des Erbrechts und Vermögensobergrenzen, sowie verpflichtende Mitbestimmung der Belegschaft und anderer Betroffenengruppen in Großunternehmen. Felber verortet die Gemeinwohl-Ökonomie zwischen Sozialismus und „reinem Kapitalismus“.
Eine Kernfrage im Bezug auf die Gemeinwohl-Ökonomie ist, was denn überhaupt ethisch ist. Die gesellschaftlichen Vorstellungen davon können sich schlagartig ändern, zuletzt war in der Corona-Pandemie gut zu beobachten, wie sehr die Vorstellungen von Tugend und Moral innerhalb einer Gesellschaft auseinandergehen können. Felber meint, dass sich an der Definition von Menschenwürde und Grundrechten nichts geändert habe, dass allerdings gerade in Krisenzeiten die Definition dessen, was ethisch und was unethisch ist, Aufgabe der Bevölkerung sein sollte, die in Konventen auf demokratische Antworten kommen könne.
Postwachstumsökonomie
„Die grundsätzliche Analyse, auf der die sogenannte Gemeinwohl-Ökonomie gründet, ist populistisch, weil sie nur die bequeme Hälfte der Wahrheit beinhaltet”, sagt wiederum Niko Paech. Der Volkswirt lehrt an der Universität Siegen im Studiengang „Plurale Ökonomik“ und ist erklärter Wachstumskritiker. „Für Felber gibt es zwei Ursachen des Übels, nämlich die Gewinn- sowie Konkurrenzorientierung von Unternehmen. Aber das ist viel zu undifferenziert, weil damit die Rolle der Konsumenten völlig außer Acht gelassen wird.“ Konkurrenz und Wettbewerb würden auch innerhalb der Gesellschaft gelebt, wer hat das größere Haus, das teurere Auto, den besseren Job? „Verbraucher maximieren ihren materiellen Wohlstand genauso rücksichtslos wie Unternehmen ihren Gewinn“, sagt Paech.
Niko Peach
Für ihn ist unser Wirtschaftssystem entkoppelt von den Bedürfnissen der Menschen und dem, was ein „gutes Leben” tatsächlich ausmacht. „Wir brauchen eine gute Lebensqualität und eine würdige Versorgung mit materiellen Gütern. Aber zu diesem Zweck weiteres Wirtschaftswachstum zu fordern, ist verantwortungslos, denn wir stehen am ökologischen Abgrund“, sagt Paech. „Umverteilung, Genügsamkeit und Selbstversorgung wären stattdessen die Mittel der Wahl.“ Theoretisch sei nicht erklärbar, wie wirtschaftliches Wachstum von ökologischen Schäden entkoppelt werden könne, „in praktischen Versuchen sind nicht nur Szenarien des Scheiterns zu beobachten, sondern sogar kontraproduktive Effekte.“ Nach Paech habe das Grüne Wachstum erst neue Kategorien von Umweltschäden entstehen lassen.
„Der Begriff des Fortschritts ist auslegungsbedürftig und ambivalent“, sagt er im Bezug auf die Kritik, dass das Wachstum des Kapitals erst technologischen Fortschritt hervorbringen würde. „Wenn Fortschritt all das meint, womit sich neue Möglichkeiten erschaffen lassen, dann trägt er nicht unbedingt zur höheren Lebensqualität bei. Langfristig kann auch das Gegenteil herauskommen. Dass Smartphones die Welt besser gemacht haben, lässt sich nicht beweisen, das ist eine reine Interpretation“, sagt Paech.
Eine Postwachstumsökonomie würde sich für ihn durch eine 20-Stunden-Woche auszeichnen, wodurch einerseits Vollbeschäftigung erzielt würde und andererseits die Menschen Zeit hätten, Initiativen und Projekte zu starten, um wieder einen Teil ihrer Versorgung selbst zu übernehmen. „Wenn wir die Wirtschaft verkleinern, die Industrie, die Globalisierung und auch den Technikeinsatz maßvoll und sozial ausgewogen zurückführen wollen, werden Menschen gefragt sein, die Kraft ihrer Hände Arbeit Werte schöpfen“, sagt Paech. Er kritisiert in dem Zusammenhang einen „Akademisierungswahn“, der bewirke, dass handwerkliches Können und damit auch die Selbstwirksamkeit der Bevölkerung verloren gingen. Um das Wirtschaftswachstum einzudämmen, könne zum Beispiel der Personen- und Güterverkehr auf Transitrouten gedrosselt oder die weitere Flächenversiegelung gestoppt werden.
Shared Value Creation
„Wachstumskritiker zu sein in einer idealtypischen Form, ist eine Verkennung der Realität”, sagt hingegen die Wirtschaftsethikerin Ramona Kordesch. „Unser Wirtschaftssystem ist nun einmal auf einem kapitalistischen Getriebe aufgebaut, das kann man so schnell nicht ändern.“ Ihr wesentlicher Kritikpunkt an der Gemeinwohl-Ökonomie ist, „dass man das Gemeinwohl nicht als ,Add-on‘ bei unserer Wirtschaft hinzufügen kann, sondern wir müssen es zu einem Bestandteil unternehmerischer Wertschöpfung machen.”
Ramona Kordesch
Ramona Kordesch ist Direktorin für Internationale Kooperationen und Entwicklung beim Österreichischen Nachhaltigkeitsrat, einer Koordinierungsstelle der Allianz für Klima und Entwicklung. Sie vertritt einen niederschwelligen Reformzugang und erkennt die sogenannte „Shared Value Creation“ als Lösungsansatz für soziale und ökologische Fortschritte im Rahmen unternehmerischer Tätigkeit. Das Konzept wurde von der Harvard Business School entwickelt und fußt in der Ansicht, dass soziale Wertschöpfung in einer Gesellschaft nicht allein von Wohlfahrtsorganisationen oder der Zivilgesellschaft generiert wird bzw. werden muss, sondern auch von Unternehmen. Diese Wertschöpfung kann im Wesentlichen auf drei Wegen erzielt werden: Durch die Neukonzipierung von Produkten und Märkten, die Neubewertung der Produktivität in der Wertschöpfungskette oder die Entwicklung von lokalen Sozial- und Umweltschutzprojekten.
Nach Kordesch sei zentral, dass dieser Shared Value eine eigene Kostenstelle in Unternehmen bekomme. „Was nicht gerechnet werden kann, ist sozusagen nicht existent in der Ökonomie. Der Shared Value Beitrag ist keine Frage der Corporate Social Responsibility, sondern eine Frage der tatsächlichen Wertschöpfung“, sagt sie. Würde es durch entsprechende Projekte in Unternehmen zu einer finanziellen Wertschöpfung kommen, so wäre ein Anreiz geschaffen, sie weiter auszubauen. Ein Umbau von Geschäftsmodellen hin zur „Produktion von Werten“ sei so ein Weg, eine Win-Win-Situation zu schaffen und den Wachstumsdrang konstruktiv einzusetzen.
Für Kordesch steht fest, dass ein nachhaltiges Wirtschaftssystem möglich ist, aber: „Es braucht effektive Regulierungsmechanismen und Zertifizierungen für die Shared Value Creation“, sagt Kordesch. „Zu glauben, dass alle freiwillig ,gut‘ sind oder sein wollen, ist ein schöner Gedanke, aber man muss Zertifizierungen an Vergaberichtlinien binden und sie konsequent exekutieren.“ Zudem müssten sich Unternehmen Richtung Klimaschutz bewegen. „Der dritte wichtige Punkt ist das Konsumverhalten von Menschen. Was wird der Einzelne für die Zivilgesellschaft tun? Ohne den Beitrag des Einzelnen wird es nicht funktionieren“, sagt sie.
Der individuelle Beitrag – eine weitere Streitfrage
Der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber schlug kürzlich ein CO2-Budget für jeden Menschen vor, drei Tonnen solle ein Erdenbürger jährlich ausstoßen dürfen, um die
Erderhitzung unter zwei Grad zu halten. Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher Österreicher verursacht zur Zeit im Schnitt etwa sieben Tonnen im Jahr. Auch die Postwachstums- und Gemeinwohl-Ökonomie würden eine solche Regulierung vorsehen. Verbunden wäre sie damit, dass der CO2-Fußabdruck von Produkten gemessen und ausgewiesen und auch die Aktivitäten der Bürger hinsichtlich ihrer klimatischen Auswirkungen bis zu einem gewissen Grad beobachtet oder dokumentiert werden müssten. Aber geht es wirklich nicht anders?
Um die persönliche Verantwortung, die ein jeder Konsument, eine jede Bürgerin trägt, kommt die Kapitalismusdebatte freilich nicht umhin. Schaffen es insbesondere die Menschen westlicher Gesellschaften tatsächlich nicht, ihre Art zu wirtschaften und zu konsumieren freiwillig so zu ändern, dass ein ressourcenschonendes, nicht-ausbeuterisches und nicht-verschwenderisches Wirtschaftssystem entsteht? Oder braucht es Vater Staat, der dem Einzelnen sagt, wie viel er fliegen und wie viel er konsumieren darf? Die Frage der Zukunft unseres Wirtschaftssystems ist damit nicht zuletzt die Frage darum, wie vernunftbegabt und anpassungsfähig die Gesellschaft, der einzelne Mensch, ist. Vielleicht ist das sogar die noch viel größere Streitfrage, als die nach pro oder contra Wachstum.