Prioritäten setzen

Foto Ursula Röck

Kolumne von Sarah Kleiner

Es ist zum Verzweifeln. Je schauriger die Prognosen über die Folgen des Klimawandels, desto mehr scheinen manche Menschen in eine bockige Abwehrhaltung zu verfallen. „Ich will mein eigenes Auto fahren – wann ich will und wohin ich will.“ „Ich will auf Urlaub fliegen, ich habe mir das bei fünf Urlaubswochen im Jahr verdient.“ Kennen Sie diese Gespräche? Wo schon beim Wort „Klima“ genervt Augen verdreht werden? Wo die „Klimakleber“ verlacht werden, plötzlich von politischer Instrumentalisierung und dunklen Machenschaften die Rede ist, anstatt von Umweltschutz?

Bei Unterhaltungen mit Menschen, die der Klimapolitik kritisch gegenüberstehen, zeigt sich einerseits, dass oft grundlegendes Wissen über die Klimaerwärmung fehlt. Die Sonnenstrahlung trifft auf die Erde und diese gibt langwellige Wärmestrahlung wieder ab. Je mehr Treibhausgase – wie CO2 – in der Luft, desto weniger Wärme kann in den Weltraum abgestrahlt werden – die Erde heizt sich auf. Soweit die am weitesten verbreitete Theorie, die von einem überwiegenden Teil der Forscher und Wissenschaftler gestützt wird. Die Medien sind über das Wiederholen und Erklären dieser Basics schon hinweggeschritten. Da, wo das Wissen darum fehlt, finden alternative Erklärungen einen Nährboden für Zweifel. Populisten kultivieren diesen und reden den Menschen ein, dass Klimapolitik unnütz sei und ausschließlich ihre Freiheit beschränken soll.

Den Skeptikern der Klimapolitik muss man in dem Punkt recht geben, dass bei Einschnitten in unser Leben zum Teil fragwürdige Prioritäten gesetzt werden, die den Anschein erwecken, dass Arm und Reich unverhältnismäßig zur Verantwortung gezogen werden. Im März dieses Jahres vermeldete Greenpeace zum Beispiel, dass die Zahl an Privatjet-Flügen in Europa um 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sei. Mehr als die Hälfte waren dabei Kurz- oder Ultrakurzflüge unter 750 Kilometern. Österreich liegt bei diesen Flügen im EU-Vergleich auf Platz fünf. Anstatt aber Privatjet-Flüge einzuschränken, wird Flugscham unter der arbeitenden Bevölkerung verbreitet, die hin und wieder in der Holzklasse im Flieger nach Griechenland sitzt, um den Kindern andere Kulturen zeigen zu können. Und anstatt den Flächenwucher einzudämmen, der in erster Linie der Bauindustrie und willfährigen Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung Gewinne einbringt, sagt man der mittleren Einkommensklasse, sie soll sparsamer, nachhaltiger, in kleineren Wohnungen leben.

Aber, wie holt man die Kritiker ab und gewinnt sie wieder für den Umweltschutz, der ja grundlegend eine bessere Zukunft für alle anstrebt? Bei der Skepsis, die sich zur CO2-Politik – angeheizt durch fälschlicherweise angebrachte Labels á la „klimaneutral“ und „CO2-kompensiert“ – breit macht, stellt sich die Frage, ob es nicht zielführender wäre, manchmal einen Schritt zurück zu machen und anstatt von unsichtbaren Gasen wieder mehr von der Umwelt zu sprechen. Von der Natur. Ich muss nicht wissen, wie viel CO2 die Plastikproduktion verursacht, um zu verstehen, dass Plastikmüllinseln im Meer in der dreifachen Größe Frankreichs ein Problem sind. Ich muss nicht den ökologischen
Fußabdruck eines Autos kennen, um krankmachende Abgase und Lärm problematisch zu finden. Es braucht keine Treibhausgasemissionsziele, um gegen den übermäßigen Insektizid- und Pestizideinsatz einzutreten, der viele Nahrungsmittel eigentlich ungenießbar macht.

Die Umweltberichterstattung sollte neben Konstruktivität und dem Aufdecken von Greenwashing verstärkt auch soziale Ungerechtigkeit in den Fokus nehmen und abtasten, wo bei den getroffenen Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion mit zweierlei Maß gemessen wird. Sie sollte sich mit den Kritikpunkten auseinandersetzen, Menschen ernst nehmen, die Sorgen haben, die zweifeln. Ansonsten verstärkt sich der Eindruck, dass Kritik an der Klimapolitik bewusst und absichtlich unterdrückt wird.

Es handelt sich beim Umweltschutz nicht um eine Entweder-Oder-Frage, reich oder arm – wer muss zahlen, wer muss seinen Lebensstil verändern? Wir Europäer sind global betrachtet allesamt Teil der reichsten Weltbevölkerung, die die Erde am intensivsten verschmutzt und aussaugt. Aber hierzulande über Prioritäten zu sprechen und darüber, wer wie weit und vor allem wer zuerst zur Verantwortung gezogen wird, ist meiner Ansicht nach angebracht. Sonst werden die, die den Populisten nachlaufen, nämlich immer mehr und dann ist es endgültig vorbei mit dem Umweltschutz. Egal, wie wir ihn nennen.


Sarah Kleiner, geboren 1991 in Oberösterreich, arbeitet als Journalistin in Wien. Sie leitet die Redaktion des ORIGINAL Magazins und publiziert in diversen Medien, wie zum Beispiel in der Forschungsbeilage „Forschung Spezial” des Standard.


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